„Können wir, es wird aber dem Verlauf der Dinge, die kommen werden, keine entscheidende Wendung geben.“
Johannes fragt sich, was das schon wieder bedeuten soll. Messy spricht für ihn in Rätseln.
Nachdem sie um zwei Ecken gebogen sind, sehen sie das Hostel, über dessen Eingang ein großes Neonschild hängt, auf dem leuchtend in blauer Schrift „Exil“ steht.
Johannes findet, dass der Name zu seiner Flucht aus München passt.
Zwei alte Freunde
Die Zeit hat ihn wirklich sehr verändert. Paul erkennt Simon kaum wieder, als er ihm in der Pestalozzistraße im Münchner Glockenbachviertel über den Weg läuft. Früher war Simon immer der coolste Typ im Viertel gewesen. Was Paul nun aber entgegenkommt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, mit den Augen den Boden absuchend, gleicht so gar nicht jenem Simon, dem er als Teenager immer nachgeeifert hatte.
Mit Simon hatte er das erste Mal gesoffen und auch gekifft. Er brachte ihm bei, wie man Bierflaschen mit den Zähnen aufmacht und verbot ihm, beim Gehen den Kopf und die Schultern hängen zu lassen.
„Simon!“ ruft Paul und stellt sich ihm in den Weg.
„Was?“, schießt es aus Simon hervor.
„Ich bin es!“, erwidert Paul freudig.
„Wer?“, fragt Simon, immer noch gedankenverloren.
„Ich!“, sagt Paul nochmal.
„Ach du!“ Endlich erkennt er Paul wieder.
Paul mustert seinen alten Freund von oben bis unten. Seine Hosen, die Simon früher beim Skaten immer so weit nach unten rutschen ließ, dass seine halbe Calvin Klein Unterhose herausschaute, ist nun mit einem altmodischen Gürtel nach oben gezogen, wodurch man seine weißen Socken sieht. Sein Haar ist nicht mehr kurz sondern schulterlang, gleichmäßig gescheitelt und sorgfältig gebürstet.
Paul dagegen trägt jetzt einen Schnauzbart, enge Hosen und hat in drei Jahren Berlin deutlich an Selbstsicherheit gewonnen.
Sie gehen einen Kaffee trinken, wobei Paul von Simon erfährt, dass er sich entschlossen hat, Priester zu werden.
In den nächsten Tagen treffen sich die beiden fast jeden Abend und schon zwei Wochen später fahren sie kurzentschlossen zusammen mit Simons Auto in den Urlaub. Ihr Ziel ist der Campingplatz in Toscolano-Maderno, am westlichen Ufer des Gardasees.
Im Auto grübelt Paul schon seit Minuten über die neue Geheimzahl seiner Bankkarte. Sie ist ihm vor zwei Tagen per Post zugegangen.
„Mein neuer Pin von der Bank ist viermal die Fünf“, meint Paul an Simon gewandt.
Simon antwortet, nach dem er kurz nachgedacht hat: „Das können die von der Bank doch nicht machen.“
„Warum?“ fragt Paul erstaunt.
„Na, das errät doch jeder.“
Paul stutzt. „Ja aber wieso? Da kommt doch keiner drauf.“
Er schaut jetzt unsicher. Sein Blick huscht skeptisch zu Simon.
„Was ist zum Beispiel,“ fährt Simon fort „wenn ein Betrüger hinter dir am Automaten steht und du drückst viermal auf die gleiche Taste?“
Paul atmet auf und spürt, dass jetzt alles wieder wie früher ist. Er ist glücklich, dass sie zusammen in den Urlaub zu fahren. Gleichzeitig ist er wieder zu Hause angekommen.
Kurz vor Garmisch fragt Simon freundlich, um Pauls Raserei zu unterbinden: „Soll ich dann auch mal fahren?“
„Nee, du fährst wie ne Oma, wenn ich fahre, sind wir gleich am See.“
Als sie das Ortsschild Garmisch passieren, beginnt Paul unruhig auf seinem Sitz herumzurutschen.
Simon bemerkt es. „Was ist los? Juckt dich was? Soll ich kratzen?“
„Nö, gerade nicht“, meint Paul.
„Was hast du dann?“. Simon ist irritiert.
„Können wir einen kleinen Umweg machen?“, fragt Paul und biegt in eine kleine, von Bäumen gesäumte Nebenstraße ab.
„Was sollen wir hier?“
Paul fährt immer langsamer, als sich der Wagen einem rustikalen Bauernhaus nähert.
„Scheiße“, meint Paul
„Was ist los?“
„In dem Haus wohnt Astrid“, fährt Paul fort.
„Ach die, mit der du vor zehn Jahren fast zusammen gekommen wärst?“
Paul scheint in Gedanken versunken. „Sie wohnt da jetzt mit einem viel jüngeren Mann.“
Er hält den Wagen abrupt an, öffnet die Tür und schleicht sich hinter die Hecke.
Simon seufzt und steckt sich eine Zigarette an. Er beobachtet im Rückspiegel, wie Paul verzweifelt mit einem Gebüsch kämpft, sich aber letztendlich durchsetzt und verschwindet. Nach zehn Minuten kommt Paul zurück in den Wagen. Sachte schließt er die Tür und fährt los.
Simon sitzt breitbeinig auf dem Beifahrersitz und unterbricht irgendwann Pauls Gedanken: „Jetzt sag endlich! Was hast du in der Hecke gesehen?“
Paul ist verärgert. „Ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass ich damals besser bei ihr geblieben wäre.“
„Soll ich fahren?“, fragt Simon abermals.
„Du darfst am See fahren.“
„Warum am See?“
„Da kann man keine Zeit gutmachen.“
Paul denkt an seinen Brenner-Highscore: In zwei Stunden von Innsbruck bis Rovereto.
„Wir brauchen noch ein Pickerl“ meint Simon.
„Das weiß ich.“
„Schau mal!“ entfährt es Simon. „Das Nummernschild vor uns: M-AB 5555! Nochmal ein Münchner mit deiner Geheimnummer.“ Simon lacht dreckig.
Paul grummelt in sich hinein: „Viermal die Fünf, das gibt’s doch nicht!“
„Zeichen sind immer was Komisches“, fügt Simon hinzu.
„Wieso Zeichen?!“, Paul blickt Simon an, der überlegt und sichtlich etwas in Worte zu fassen versucht.
„Es scheint manchmal, als wollten sie auf etwas aufmerksam machen.“
Paul muss an die Zeit denken, als Simon vor dreizehn Jahren zum ersten Mal einen Psychiater aufsuchte. Er hatte sich damals eingebildet, überall versteckte Dreiecke erkennen zu können.
Paul fährt in einen Tunnel.
Als das Licht am Ende des Tunnels erscheint, fragt Simon: „Sind dir noch nie die Wiederholungen aufgefallen?“
„Nö. Was für Wiederholungen?“
„Na es gibt Dinge oder Erlebnisse im Leben, die wiederholen sich so lange, bis man sich verändert hat.“
„Ist mir Wurst!“, nuschelt Paul und beginnt in der Nase zu bohren.
„Es ist fast so, als würde man für etwas trainiert“, fährt Simon fort.
Paul meint, so was wären Zufälle.
„Ist ja auch egal, erzähl lieber, was du in Astrids Hecke gesehen hast!“
„Ich will da nicht drüber reden“, entgegnet Paul.
„Komm, ich kenn dich! Du erzählst es mir sowieso spätestens am See.“
Paul überholt lebensgefährlich. Simon greift sich mit beiden Händen an die Brust.
Er