Winfried von Franken. Michael Sohmen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Sohmen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738057959
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Er sprach jedes Wort langsam und mit tiefer Stimme aus. »Ihr denkt, ihr könntet irgendjemandem auf dieser Welt vertrauen?«

      Das Licht änderte sich in weiß und Rick setzte wieder einen glückseligen Gesichtsausdruck auf, zog ein Bündel Geldscheine hervor, schritt bedächtig bis ans vordere Ende der Bühne, sodass ihn die vordersten Zuschauer mit ihren Händen berühren konnten - was auch einige begeistert taten - und sortierte die Geldscheine so, dass sie zwei Fächer bildeten. Mit erhobenen Armen und vollkommen zufriedenem Lächeln, einer Buddha-Statue gleich, hielt er die Geldscheine in die Höhe und rief: »Diesen könnt ihr vertrauen!«

      Eine Zuhörerin konnte sich nicht mehr halten, zerriss ihre Bluse, entblößte eine beachtliche Oberweite und schrie: »Rick, ich will ein Kind von dir!«

      »Dazu kommen wir später«, erwiderte er mit leichtem Grinsen. Winfried stellte sich die Kombination vor, ein Gnom mit solch riesigen … das, was er sich gerade vorgestellt hatte, schockierte ihn derart, dass er versuchte, das Bild für alle Zeiten aus seinem Gedächtnis zu tilgen.

      »Bevor wir zum Schluss kommen«, sprach der Vortragende, »will ich euch nicht vorenthalten, dass ich viele Tipps auch schriftlich festgehalten habe. Ich will Sie kurz auf mein neues Werk hinweisen: Wie werde ich reich ohne zu stinken. Kauft, ihr werdet es nicht bereuen!«, und zwinkerte dem Publikum zu: »Ich gebe euch noch einen Leitspruch auf den Weg. Denkt immer daran: jeder ist seines Schmiedes Glück.«

      Belustigt ergänzte Winfrieds Sitznachbar: »doch nicht jeder hat ein schönes Stück!« Winfried murmelte für ihn unhörbar: Mir reicht's gleich, halte endlich deinen Mund!

      Zum Schluss erhob Rick seinen Arm zum Publikum. Die rechte Hand zur Faust geballt, rief er den Zuschauern zu: »Jetzt der Schlachtruf: Hossa! Und alle: HOSSA!«

      Mit gestreckter Hand wäre das jetzt strafbar, dachte Winfried.

      Nach und nach stimmten immer mehr Leute in das Kommando ein, bis die aufgeheizte Menge wie aus einer Kehle brüllte: »HOSSA! HOSSA! HOSSA!«, was sich eine Viertelstunde hinzog, während Winfried darüber nachdachte, was der Erfolgsprediger vorgetragen hatte. Was hat er eigentlich gesagt? Etwas Wichtiges müsste doch dabei gewesen sein. Nur an die ständigen Kommentare des aufgetakelten Gigolos neben ihm konnte er sich erinnern.

      Das Publikum strömte dem Ausgang zu, dem Saal folgte eine Lounge. Begleitet von einer stark aufgebrezelten Blondine mit hochhackigen Schuhen drängte sich Winfrieds Sitznachbar herbei und stellte ihn seiner neuen Eroberung vor: »Das ist Ronald, mein bester Freund und Geschäftspartner« und blinzelte ihm schelmisch zu. Die Blondine schüttelte lächelnd Winfrieds Hand und das Pärchen entschwand händchenhaltend durch den Ausgang.

      *

      Das Jahr ging dem Ende zu. Es war Dezember und die Erstürmung der Burg begann. Verzweifelte Hilfssoldaten warfen Steine die Außenmauer hinab, konnten die zahllosen feindlichen Ritter jedoch kaum abwehren. Erneut lehnte eine Leiter an der Außenmauer, ein Soldat eilte zur Verteidigung herbei. Zu spät: sein abgetrennter Kopf schwebte kurz in der Luft, nahm im nächsten Augenblick Bodenkontakt auf.

      An seiner Stelle stand ein Ritter in schwarzer Rüstung und erledigte den nächsten Soldaten mit einem Handstreich. Sein Langschwert in die Höhe reckend, eilte er auf Winfried und seinen Kumpanen zu, die ihre Kurzschwerter zogen und in Stellung gingen.

      Der schwarze Krieger schlug aggressiv auf sie ein. Winfrieds Kumpan wehrte ab und vollzog einen Hieb, der jedoch ins Leere ging, eilte zu einem Pult und notierte etwas, während Winfried in Bedrängnis geriet. Er kehrte zurück, parierte einen Schlag des schwarzen Ritters, lief erneut zu seinem Pult und nahm eine Notiz vor. »Was schreibst du dort ständig?«, rief Winfried ihm zu. »Hilf mir lieber und kämpfe!« Aus dem Augenwinkel sah er die Notiz: Schlag pariert, mittlere Schwierigkeit: Multiplikator 2.5 auf einem Blatt mit der folgenden Überschrift: Gebührenordnung für Ritter.

      Plötzlich erkannte Winfried, wer sein Waffengefährte war. Sein Zahnarzt Dr. Ritter. Kurz war er abgelenkt, mit einem harten Schlag fegte ihm der schwarze Kämpfer das Schwert aus der Hand, warf ihn zu Boden, führte ihm die Klinge zum Hals und begann schallend zu lachen. »Haha! Jetzt bist du erledigt, kleiner Wicht!«, rief er mit bösartigem Grollen. Er zog das Visier seines schwarzen Helms hoch und Winfried blickte in das Gesicht einer Fliege, einer gemeinen Stubenfliege … Moment, das ist doch das Gesicht meines Chefs! Schwitzend schreckte Winfried hoch und war einen Moment verwirrt. Er richtete sich auf. Was war das denn für ein fürchterlicher Traum?

      Im Festsaal der Firma fand eine Weihnachtsfeier statt. Die Führungskräfte saßen nahe der Bühne an zwei Tischen. Winfried und seine Bürokollegen wurden gesondert platziert, auf Klappstühlen in der hintersten Ecke.

      »Ich will vorab bekannt geben, dass ich heute einige Ankündigungen zu vermelden habe«, eröffnete der Geschäftsführer die Feier. »Wegen des Strukturwandels müssen wir im Bereich des Personals mit sozialverträglichen Maßnahmen reagieren. Aber, bevor ich mit der Tür ins Haus falle, begrüße ich herzlich alle Mitarbeiter zu unserer Weihnachtsfeier. Und da mir vor wenigen Tagen mitgeteilt wurde, dass die finanzielle Förderung unseres Integrationsprogramms staatliche Zustimmung erfahren hat, begrüße ich besonders: unsere Menschen mit Migrationshintergrund!«

      »Sag doch gleich, dass ich gemeint bin!« Jorge alias Waldemar stand auf und brüllte: »Ich bin Ausländer! Ein Mensch zweiter Klasse!«

      Alle Köpfe drehten sich um, viele Augenpaare richteten sich in die hintere Ecke. »Pssst!«, zischte Winfried, »sei doch ruhig! Muss das immer sein?«

      »Die derzeit schwierige konjunkturelle Lage«, fuhr der Geschäftsführer fort, »zwingt uns, über die Effizienz bestimmter Abteilungen nachzudenken. Einiges ist zu optimieren. Und, wenn es nicht anders geht, müssen wir …« Er zögerte kurz und sprach leiser: »zum Wohl unseres gesamten Unternehmens den einen oder anderen Bereich verschlanken.«

      »Werden Leute rausgeschmissen?«, rief Jorge alias Waldemar. »Zuerst sind es bestimmt Ausländer wie ich, bevor ein Nazi gehen muss!«

      Der Geschäftsführer atmete tief durch und starrte, um Fassung ringend, in die vorlaute Ecke. »Ich wollte das eigentlich anders formulieren.« Er wurde laut: »Aber eure Abteilung verursacht ausschließlich Verluste! Ihr baut nur Mist, alle leiden darunter! Und das seit Jahren. Ich frage mich, was ihr den ganzen Tag anstellt! Kürzlich war ich dort und habe mitbekommen, was ihr so treibt: es wurde Fang-mich-doch auf dem Gang gespielt!«

      Verstohlene Seitenblicke zum promovierten Mathematiker Dr. Weingarten folgten. Für ihn hatte immer noch niemand eine Idee, wie man ihn sinnvoll hätte beschäftigen können. Leises Schluchzen war zu hören.

      »Genaugenommen heißt sozialverträglich«, endete der Geschäftsführer seine feierliche Rede: »ich werde eure Abteilung dicht machen, das ist für den Rest des Unternehmens sozial verträglich!«

      Dr. Weingarten war der Einzige, der von der Nachricht überrascht wurde. Er reagierte mit schockiertem Gesichtsausdruck: »Was? Verlieren wir Jobs?«

      »War es das, was du wolltest?«, wandte sich Rainer an den vorlauten Spanier. »Ihn derart zu provozieren?«

      »Ja!«, antwortete der Angesprochene lächelnd. »Ich wollte ehrlich und direkt hören, wie es läuft und was auf uns zukommt. Mich hat dieses nichtssagende, ausweichende Gerede genervt. Jetzt ist es raus.«

      Wie lange hatte Winfried überlegt, die Flucht zu ergreifen und aus dem Betrieb abzuhauen. Dies hatte sich nun erledigt.

      Das erste Mal seit vielen Jahren lächelte sein Chef. »Ah, der Herr Kunze. Sie kommen gerade recht, um Ihre Kündigung abzuholen«, sprach er gutgelaunt, als Winfried sein Büro betrat und reichte ihm einen Zettel: »Hier. Am besten, Sie packen Ihre Sachen sofort und verlassen den Betrieb. Ihren Resturlaub habe ich berechnet, der genügt für den Zeitraum der Kündigungsfrist. In Ihrem Sinne habe ich schon einen Antrag gestellt und genehmigt. Den Urlaub nehmen Sie ab sofort!«

      »Danke«, sagte Winfried, fragte sich aber im nächsten Moment, wofür. Er murmelte kurz: »In Ordnung.«

      Nachdem er sich von seinen Kollegen verabschiedet hatte, ließ