wurde. Aufgrund seiner damaligen Unerfahrenheit war es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem einheimischen Imker gekommen. Es handelte sich dabei um die Namensgebung des Honigs. Doch recht schnell hatte er begriffen, dass in diesem kleinen Ort das Wort Akazie wie ein kostbares Kleinod behandelt wird - gleichgültig, ob diese Bezeichnung zutreffend ist. Die Alteingesessenen fassten bald Vertrauen zu dem zugezogenen Neubürger und wählten ihn später sogar zum Bürgermeister. Dieses Ehrenamt übt er nunmehr schon zwölf Jahre aus und ist noch kein bisschen amtsmüde. Mit Feuereifer arbeitete er akribisch daran, dass sich vor allem junge Menschen in Akazienaue ansiedeln. Der Werbeslogan „Wohnen, wo andere Urlaub machen“, mit dem die Gemeinde weit über ihre Ortsgrenzen hinaus bekannt wurde, ist seinem Einfallsreichtum zu verdanken. Nur zu gut kann er sich noch an die Anfangsjahre in Akazienaue erinnern. Das stark renovierungsbedürftige Fachwerkhaus musste von Grund auf saniert werden. Die vormalige Gaststätte und Pension ergänzte er durch den Anbau eines Bettenhauses, einem Festsaal und einer Terrasse. Damit wurde aus der vormals kleinen Pension ein modernes Hotel mit einer dazugehörigen gehobenen Gastronomie. Den althergebrachten Name „Haus am Akaziensee“ behielt er traditionsbewusst bei. Die Freiterrasse bietet einen malerischen Blick auf den Akaziensee und das bewaldete Ufer auf der gegenüberliegenden Seeseite. Nur an wenigen Stellen wird der Waldgürtel unterbrochen. Zum einen durch das öffentliche Strandbad mit seinem goldgelb leuchtenden Sand und zum anderen durch zwei Anlegestege für die Sportangler. Unterhalb der Terrasse befindet sich die Landungsbrücke für Schiffe der Seerundfahrten. Auch diese ist das Ergebnis der eifrigen Bemühungen von Armin Wenzel. Selbstverständlich profitiert er nicht unerheblich von den zusätzlichen Besuchern seiner Gaststätte. Die meisten Lobeshymnen hört er, wenn die Herbstsonne auf die bunten Blätter der Buchen und Eichen am gegenüberliegenden Ufer fallen. Nicht wenige der Fremden bezeichnen diesen Panoramablick als etwas Einzigartiges in der zauberhaften Landschaft der Sandahlener Heide. Die zwölf Ferienwohnungen in seinem Hotel sind in der Saison vollständig ausgebucht. Die Einnahmen aus den Übernachtungen und dem Gaststättenbetrieb haben ihm zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Die Urlaubsgäste schätzen die intime Atmosphäre und danken es ihm - nicht unbedingt mit reichlichen Trinkgeldern - aber dafür kommen viele seiner Feriengäste Jahr für Jahr wieder. Das ist wichtig für ihn in Akazienaue. Nach der Urlaubssaison sind die Einkünfte nicht ganz so üppig. Es fehlen die Einnahmen aus dem Übernachtungsgewerbe. Die Angebote der Ausgestaltung von Feierlichkeiten und die kostenlose Nutzung seiner Räume für weitere kleinere Zusammenkünfte sind weithin bekannt. Sie werden gerne und zahlreich genutzt. Damit sichert er die Umsätze seines Gastronomiebetriebes auch außerhalb der Saison. Höhepunkte bilden der große Feuerwehrball und das Promenadenfest. Diese Veranstaltungen haben inzwischen einen festen Platz im Veranstaltungskalender der gesamten Region eingenommen. Viele bezeichnen Achim Wenzel auch als die Schlüsselfigur, die Akazienaue aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat. Sein ausgeprägter Realitätssinn bewahrt ihn an einer Überbewertung seines persönlichen Anteils an solch einer Wertschätzung. Er weiß genau, dass es ohne das gesamte Umfeld von Akazienaue diesen Aufschwung in den letzten Jahren nicht gegeben hätte. Dazu gehören der „Akaziensee“, ein Paradies für Wassersportler und Angler und die „Marina“, eine Ausleihstation für Yachten und Motorboote am Rande der Gemeinde. Weiterhin sind es die mustergültig ausgebauten Radwege und die einzigartige Landschaft der Sandahlener Heide, die viele Besucher wie ein Magnet anziehen. Sein Blick schweift über die Schlehenbüsche vor dem Waldweg. Deutlich erinnert er sich noch an einen Spaziergang Ende April. Da gehörte die Schlehenhecke zu den ersten blühenden Gewächsen in der ganzen Gegend. Die Hecke war, ohne ein einziges Blatt zu tragen, mit zarten, weißen Blüten förmlich übersät. Jetzt im September tragen die Büsche die kleinen, runden, blauschwarzen Früchte, die mit weißem Reif überzogen sind. Irgendwie erinnern sie ihn an die Urform einer Pflaume. Gegenwärtig sind sie ungenießbar. Einige Dorfbewohner sammeln sie nach dem ersten Frost und machen daraus einen leckeren Likör. Dieser Mühe unterzieht sich Armin Wenzel nicht. Den Schlehenlikör bezieht der Gastwirt aus der nahegelegenen Brennerei La Distillerie in Ballenhainischen.
Der Tatort
Plötzlich hört er ein Martinshorn und wird schlagartig aus seinen Gedanken herausgerissen. Im schnellen Tempo nähert sich ihm eine Autokarawane. Armin Wenzel springt auf und schwenkt aufgeregt seine Jacke über dem Kopf. Damit will er den Fahrzeugen signalisieren, wo sich die Tote befindet. Entgegen seinen Erwartungen kümmert sich keiner der Polizeibeamten um ihn. Etwas hilflos steht er herum und sieht dem geschäftigen Treiben interessiert zu. Zwei Schutzpolizisten sperren mit rot weisen Bändern die Stelle um den Schlehendorn ab. Weitere zwei Personen in hellen Schutzanzügen kümmern sich um möglicherweise hinterlassene Spuren. Die anderen Personen, eine männliche und zwei weibliche, begeben sich gemeinsam zu der Toten. Die Frau mit dem Medizinköfferchen in der Hand scheint die Ärztin zu sein - überlegt Armin Wenzel kurz. Wenige Minuten später kann er deren Gespräch genau verfolgen.
„Hallo Monika, nur die üblichen Fragen … kannst du schon etwas Genaueres zum Todeszeitpunkt und zur Todesursache sagen?“, fragt Hauptkommissarin Veronika Sommercamp.
„Entsprechend der Körpertemperatur … schätze ich … so vor zehn bis zwanzig Stunden … ich kann das sicher noch weiter eingrenzen … dazu muss ich sie aber erst einmal auf dem Operationstisch haben“, antwortet ihr die Pathologin Dr. Monika Bieberstein.
„Und die Ursache des Todes?“
„Ich meine, es ist eine Blausäurevergiftung … die leuchtenden roten Flecken auf der Haut lassen eine solche Schlussfolgerung zu diesem frühen Zeitpunkt zu … Genaueres erfährst du, wenn ich sie untersucht und den Mageninhalt überprüft habe.“
„Geht schon in Ordnung … dann muss ich eben bis morgen warten“, antwortet Veronika Sommercamp.
„Ich glaube, da wird wohl unser großer Chef nicht umhinkommen, eine Mordkommission einzurichten … alles andere würde mich sehr verwundern“, stellt die Pathologin fest.
„Weshalb denkst du an ein Gewaltverbrechen?“, fragt die Hauptkommissarin etwas verwundert.
„Es ist hauptsächlich der ungewöhnliche Fundort … und das Gift nimmt man nicht so einfach freiwillig ein … allerdings kann ich auf den ersten Blick keine äußere Gewaltanwendung erkennen … ich denke, die Dosis war ziemlich hoch und der Tod muss in wenigen Sekunden eingetreten sein.“
„Ist ja interessant … und woraus schlussfolgerst du das?“
„Bei einer oralen Einnahme tritt die Wirkung in der Regel nach über einer Stunde ein … das heißt, es müssten Spuren eines Todeskampfes vorhanden sein … aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen … gelangt die Blausäure dagegen direkt in die Blutbahn, dann tritt der Tod sofort ein.“
„Demnach können wir einen Unfall oder einen Suizid von vornherein ausschließen?“, fragt Veronika Sommercamp beharrlich nach.
„Nein, nein … es ist nur eine erste Diagnose … mehr nicht … bei einer Blausäurevergiftung kann natürlich auch ein Selbsttötungsakt in Betracht gezogen werden … halte ich aber für eher unwahrscheinlich … wird sicher keine einfache Ermittlung werden … aber das ist dann eure Arbeit … da mische ich mich nicht ein … schließlich seit ihr dafür die Experten.“
Armin Wenzel lauscht aufmerksam dem Gespräch der beiden Frauen. Das Zuhören wird unterbrochen, als sich ihm ein junger Mann nähert.
„Kommissar Jens Knobloch“, stellt er sich vor und zeigt den Dienstausweis, „sie haben also die Tote gefunden.“
„Richtig … und ich habe auch sofort Bescheid gegeben.“
„Das ist löblich … ich brauche trotzdem nochmals ihre Personalien … können sie sich ausweisen?“
„Nein, aber mich kennt hier jeder … ich bin der Inhaber vom Hotel „Akazie“ … so nennen die Einheimischen und auch alle meine Gäste das Hotel und die Gaststätte und zudem bin ich der Bürgermeister“, fügt er nicht ohne Stolz hinzu.
„Wie ist es denn gekommen, dass sie gerade hier die Leiche entdeckt haben?“
Umständlich erklärt