Die Rollen des Seth. Helen Dalibor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helen Dalibor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847635529
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so langsam seinem Ende zuging. Sie musste sich rechtzeitig absetzen, bevor der Fachbereich dicht gemacht wurde und sie ohne Stelle da stand. Aber wohin sollte sie gehen? Erst einmal musste sie ihre Promotion schreiben, danach konnte sie weitersehen.

      "2500 Euro sind viel Geld. Das sind beinahe 5000 DM. Aber mehr konnte ich auf die Schnelle einfach nicht auftreiben."

      Auf sein Privatvermögen hatte er nicht zurückgreifen wollen. Wer weiß, ob er das Geld je wiedergesehen hätte. Wahrscheinlich nicht und so hatte er daran keinen weiteren Gedanken mehr verschwendet. Nun ärgerte er sich darüber, dass er den Gedanken so leichtfertig verdrängt hatte. Wie leicht hätte er die beiden Gegenstände sein Eigen nennen können, aber es war ihm nicht vergönnt gewesen. Sein verdammter Altersgeiz.

      "Und was wollen Sie jetzt tun?"

      Waren das etwa Schweißperlen, die sich da auf Frau Justs Stirn gebildet hatten? Das konnte nicht sein, er musste sich täuschen. Was sollte ihr denn Angst machen? Vielleicht fürchtete sie, dass er ihr sagte, ihre Stelle würde nicht verlängert werden. Wie es aussah, würde ihr Vertrag tatsächlich nicht verlängert werden, doch noch stand nichts fest. Diese Zukunftsängste hatte er in seiner Jugend nicht gekannt, doch die Zeiten hatten sich verändert.

      Professor Winter setzte sich hinter seinen Schreibtisch und starrte auf die Bilder der beiden Gegenstände, die sich verstreut auf seiner Arbeitsunterlage befanden. Wie leicht wäre es gewesen in den Besitz der Gegenstände zu kommen. Hätte er doch nur vorher gewusst, wie viel er hätte bieten müssen. Dann hätte er irgendeine Summe genannt, nur um den Zuschlag zu bekommen. Das nötige Geld hätte er dann irgendwie aufgetrieben. Notfalls tatsächlich mit seinem eigenen Geld den fehlenden Betrag beglichen. Die Vase und die Kette hätten ihm nicht mehr genommen werden können. Die Gegenstände waren nicht schön, aber sie waren unbekannt. Nirgendwo war eine Publikation darüber erschienen. Das alles hätte er ändern können. Eine schöne Aufgabe wäre es gewesen, die ihm seinen nahenden Ruhestand erträglich gemacht hätte. Sein Name wäre in aller Munde gewesen, man hätte ihn nicht vergessen, so wie viele seiner anderen Kollegen. Alles vorbei, er hatte seine Chance vertan. Ihm blieben nur die Bilder und dem unbekannten Bieter die realen Gegenstände. Wenn er bloß wüsste, wer sich dahinter verbarg.

      "Herr Winter, hören Sie mich?"

      Isis war an seinen Schreibtisch getreten und sah die Bilder. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter und das Zittern überkam sie. Auf einmal fand sie es wahnsinnig kalt im Raum, doch alle Fenster waren verschlossen.

      Diese Gegenstände gehörten nun ihr und niemand außer Karla und Mona wussten davon. Sie hatte Glück gehabt, das wusste sie, und dennoch wollte sie das Glück nicht weiter herausfordern. Morgen würde die Übergabe stattfinden, dann würde sie beide Gegenstände eingehend studieren und an einen sicheren Ort bringen. Auf keinen Fall durften sie bei ihr gefunden werden.

      Isis fürchtete trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, dass sie entdeckt werden könnte. Darauf musste sie vorbereitet sein. Wenn sie alles abstritt, durften die Gegenstände nicht bei ihr gefunden werden, deshalb mussten sie weg und an einen sicheren Ort gebracht werden. Am besten zu ihrer Oma. Die würde es verstehen und sie nicht verraten, auch wenn ihre Bindung nie so eng gewesen war wie die zu ihrem Großvater.

      "Wir müssen an die Gegenstände kommen. Ich weiß, dass Dr. Grehtlahn recht hat, aber wir können die Polizei nicht einfach einschalten. Das würde ein schlechtes Licht auf uns werfen, weil wir es nicht gemeldet haben und uns zugleich der Hehlerei verdächtig machen."

      "Und wie wollen Sie dann an den Namen des Bieters kommen, der den Zuschlag bekommen hat? Wollen Sie das Forum hacken, um den Namen zu erfahren?"

      Professor Winters Miene verfinsterte sich. Solche Art Scherze gefielen ihm überhaupt nicht. Vor allem in der jetzigen Situation war das nicht witzig, sondern völlig unangebracht.

      "Ich bin ja von den Studenten einiges gewohnt, auch solche Art Scherze. Aber ich hätte nie gedacht, dass Sie selbst auf solche schwachsinnigen Ideen kommen würden. Sie enttäuschen mich, Isis."

       Wenn's weiter nichts ist.

      Den Unmut des Professors konnte Isis verkraften. Dann würde er sie vielleicht endlich in Ruhe lassen und sie musste nicht fürchten, sich irgendwie zu verraten. Wieso war sie darauf nicht schon viel früher gekommen? Um in Ruhe gelassen zu werden, musste sie einfach nur Professor Winter verärgern. Doch wenn sie richtig darüber nachdachte, brachte es mehr Nachteile als Vorteile. Zu sehr verärgern durfte sie ihn nicht und ihn sich womöglich zum Feind machen. Sie war auf ihn angewiesen, selbst wenn es ihr im Augenblick nicht gefiel. Sie hatte sich seinen Befehlen und Launen zu beugen. Aber sie hatte ihm auch viel zu verdanken. Wenn er sich nicht für sie eingesetzt hätte, würde sie wahrscheinlich heute noch arbeitssuchend sein. Ihr lag es nicht, irgendwo vorstellig zu werden und Klinken zu putzen. Ihr musste es zufliegen, sie wollte dafür nichts tun müssen. Eine Denkweise, die sie ändern musste, das war Isis klar, doch es war schwierig. Und bald würde sie vor diese Situation gestellt werden. Ihre Stelle war nur befristet. Studienanfänger konnten sich seit dem Wintersemester 2005/06 nicht mehr für das Studium der Ägyptologie an der Universität Hamburg einschreiben. Die Kurse und Vorlesungen waren immer weniger und auch schlechter geworden, wie Isis fand. Jetzt kam es sogar vor, dass eine Vorlesung wegen Krankheit des Dozenten einfach ausfiel und nicht für Ersatz gesorgt wurde. Wenn etwas ausfiel, dann fiel es eben aus. Sollten die Studenten doch endlich ihren Abschluss machen, damit der Studiengang geschlossen werden konnte. 2012 war spätestens Schluss, wie auch mit den veralteten Diplom- und Magisterstudiengängen. Von der Hochschulreform war Isis im Großen und Ganzen nicht betroffen gewesen, doch hatte sie in ihren beiden Nebenfächern Bachelor-Studenten kennen gelernt, die über die Verschulung und die übervollen Lehrpläne klagten. Der Vorteil eines Bachelor- und Masterstudiums war die geringere Zeit, die fürs Studium angeblich gebraucht wurde. Doch die Lehrpläne waren nicht enträumt und entzerrt worden, sondern stattdessen wurde der Lehrplan eines Magister- oder Diplomstudiums auf das Bachelorstudium übertragen. Mit dem Nachteil, dass die Studenten in kürzerer Zeit sich den gleichen Lehrstoff aneignen mussten. Kein Wunder, dass viele Studierende sich überfordert fühlten und psychische Probleme bekamen. Solchen Härtefällen war Isis während ihres Studiums nicht begegnet, doch es musste sie geben. Warum sonst wurde so viel darüber geschrieben?

      "Wie funktioniert so was eigentlich? Ist das schwer?"

      Isis zuckte zusammen. Die Anwesenheit von Professor Winter hatte sie vollkommen verdrängt, obwohl sie in seinem Raum stand.

      "Was meinen Sie, wenn ich fragen darf?"

      Hatte er ihren Vorschlag, den sie nun wirklich nicht ernst gemeint hatte, für bare Münze genommen? Das konnte doch nicht wahr sein. Sollte er jemanden finden, der diese Arbeit erledigen würde, könnte es brenzlig für sie werden. Trotz der ganzen Sicherheitsmaßnahmen, die sie getroffen hatte, fürchtete sie entdeckt zu werden.

      "Sie sagten doch, man müsse das Forum hacken, um an den Namen des Bieters zu kommen."

      "Das war als Aufheiterung gedacht, mehr nicht."

      "Dann haben Sie einen anderen Humor als ich, den ich nicht verstanden habe. Aber jeder Mensch fasst Humor ohnehin anders auf." Professor Winter stockte, als er merkte, dass er abzuschweifen drohte. "Nun aber mal ernsthaft. Wäre es möglich?"

      Isis merkte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Nur gut, dass es sich äußerlich nie bei ihr bemerkbar machte. Manchmal hatte es Vorteile vom Hauttyp her eher blass zu sein. So fiel es nicht auf, wenn ihr etwas peinlich war oder sie sich besonders blöd angestellt hatte und sich dafür schämte.

      Aber da hatte sie sich nun etwas eingebrockt. Ihr Scherz wurde ernst genommen und würde ihr vielleicht den Kopf kosten. Sie sollte wirklich darüber nachdenken, was ihr auf den Lippen lag, bevor sie es aussprach. Nun war es zu spät und sie konnte es nicht rückgängig machen. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sich niemand finden würde, der sich zu dieser illegalen Arbeit bereit erklärte. Sie selbst kannte niemanden und würde sich auch nicht auf die Suche nach einem Hacker machen. Die Spinne würde doch nicht in ihre eigene Falle tappen und sich im Netz verheddern. Sie würde nichts tun.

      "Sicherlich wäre es möglich, aber