Cassie sah Karen von der Seite an. »Und was wünscht sie sich?«
»Und dieser graue Plüschdelfin? Ist der süß!«, lachte Janelle Gillingham, die Autorin des National Geographic-Artikels über die Armada of Golden Dreams. Die Reportage über den Fund des Schiffswracks wenige hundert Yards vor der Skyline von San Francisco sollte in einer der nächsten Ausgaben erscheinen.
»Meine Tochter hat ihn mir geschenkt ... Cassies Tochter.« Nick erinnerte sich an das letzte Weihnachtsfest, als Cassie und er Jolie für einige Tage nach Hause geholt hatten. Kichernd war die Kleine zu ihnen ins Bett gekrochen, um noch ein bisschen zu kuscheln, und hatte Nick ihren flauschigen Delfin vom WWF geschenkt.
»Dr Cassie Lacey?«, fragte Janelle Gillingham nach.
»Yup.«
»Und Ihre Tochter ist die kleine Jolie Lacey?«
Nick senkte den Kopf.
»Ich kenne Ihre Website. Es tut mir sehr leid.«
Er nickte verhalten.
»Ist es möglich, Dr Lacey zu interviewen? Ich hätte gern ein Foto von ihr. Tauchanzug, hochgeschobene Atemmaske, nasse Haare ...«
»Cassie ist nicht an Bord.«
»Sie ist bei Jolie«, vermutete Ms Gillingham.
»In der Klinik«, bestätigte Nick.
»Okay, dürfen wir dann ein Foto von Ihnen mit dem Delfin machen? Das gefällt mir besser als der Fotostream von Dr Nicholas Talcott im eleganten Armani-Anzug mit grauer Seidenkrawatte. Nicht, dass Sie im Anzug nicht umwerfend aussehen würden, Dr Talcott, ziemlich hip und sehr easy. Aber in Shirt und Shorts mit dem niedlichen Delfin gefallen Sie mir noch besser.« Janelle Gillingham wandte sich zu ihrem Fotografen um, der lässig in der Tür der Kommandozentrale des Forschungsschiffes lehnte. »Russ, kommst du? Dr Talcott, setzen Sie sich bitte vor diesen Monitor! Und während Peter Russell das Foto macht, könnten Sie uns erklären, wie das Gerät funktioniert?«
»Na klar.« Nick fuhr sich durch die von Wind und Salz zerzausten Locken und setzte sich an den Arbeitstisch. »Also, das ist das Gerät mit dem Ping.«
Janelle lachte ausgelassen. »Monty Python. Der Sinn des Lebens. Der Sketch im OP. Das Gerät mit dem Ping. Okay, Dr Talcott, haben Sie auch das teuerste Gerät hier?«, griff sie den Dialog aus dem Film auf und lehnte sich neben der Tastatur an den Arbeitstisch.
Nick konnte ihr Parfum riechen. Ein sommerlicher Duft, frisch und luftig wie eine Brise vom Meer, eine leichte Note von reifen Früchten, aber auch von Blüten.
Als er dieses Parfum als Stimmungaufheller für Cassie gekauft hatte, hatte ihm der Duft gefallen, am Pappkärtchen bei Macy’s und an ihr, auf der feuchten Haut nach dem Duschen. Aber er würde ihr einen neuen Duft kaufen, der ihn nicht an Janelle erinnerte. Etwas Frisches, das nach Natur und Meer duftete und Cassies spontane, unbeschwerte Lebensfreude widerspiegelte, etwas Warmes, das ihre natürliche Sinnlichkeit unterstrich.
Ich sehne mich nach ihr, dachte Nick, und ich freue mich auf den Abend mit ihr. Nach dem Interview mit CBS SF würde Cassie hoffentlich für ein paar Stunden zur Ruhe kommen, und sie konnten einen Sommerabend auf dem Deck ihres Hausboots genießen. Der erste seit ... keine Ahnung.
Nick lächelte Janelle an, die auf der Tischkante noch ein wenig näher an ihn herangerutscht war. »Das Ding mit dem Ping ist ein hochempfindliches Magnetometer«, erklärte er. »Das Gerät entdeckt selbst kleinste Gegenstände aus Metall, auch wenn sie mehrere Inches tief im Schlick der Bay vergraben liegen.«
»Und so haben Sie das Wrack gefunden?«
»Neben einem alten Auto und anderem Metallschrott, der während des Bebens vom Oktober 1989 von der Bay Bridge gefallen ist. Wie es scheint, hat das Beben das Wrack freigelegt.«
Janelle verzog die Lippen, und ihre Augen funkelten. »Und dann haben Sie entschieden, dass eine Untersuchung sich lohnt? Des Schiffes, meine ich – nicht des Autos.«
Nick grinste frech. »Die Corvette Stingray, Baujahr 1969, war noch gut erhalten, ebenso das Sixpack Bier, das wir gefunden haben.«
Janelle lächelte verschmitzt, und ihr Flirten wurde offensiver: »Fahren Sie jetzt die Corvette?«
Sind wir hier in einem Clive-Cussler-Roman? Bin ich Dirk Pitt, oder was? »Nein, der Besitzer hat sie wieder, und er hat sich sehr gefreut. Also, ich fahre einen Z4, am liebsten offen als Cabrio. Oder mein Bike. Sie wissen schon, schweres Gerät, wie man es sich in der Midlife Crisis zulegt.« Na? O ja, sie lächelt verträumt. Kerle in der Midlife Crisis sind ja für nichts zu gebrauchen, aber für alles zu haben. Okay, Nick, weiter im Text: »Damit komme ich am schnellsten von Oakland über die Bay Bridge und die Golden Gate Bridge nach Sausalito.«
Hey, jetzt kapiert? Hier in der Kommandozentrale rinnt schon manchmal Adrenalin von den Stahlwänden, aber im Moment ganz sicher nicht Testosteron.
Okay, sie hatte es kapiert, denn sie nickte verhalten. Sie hatte verstanden, dass Nick in Oakland wohnte, und Cassie in Sausalito. War sie enttäuscht, weil er gegen ihr Lächeln resistent war?
»Nebel, Felsen, Strömungen.« Janelles Tonfall war jetzt wieder ... ja, enttäuscht, sogar verlegen, als sie sich von der Tischkante abstieß. »Die San Francisco Bay ist berühmt für ihre mehr als zweihundert Wracks. Okay, nehmen wir das King Philip Shipwreck von 1878, das im April 2011 wieder mal aus dem Sand des Ocean Beach auftauchte. Es gilt als das am besten erhaltene Wrack eines Holzschiffes in der Bay Area. Was ist an Ihrem Wrack denn nun so aufregend?«
»Während des Goldrauschs segelten tausende Schiffe durch die Bay. Bei Sutter’s Mill am American River nordöstlich von Sacramento war 1848 Gold gefunden worden. Denken wir an den Goldrausch, stellen wir uns lange Trecks aus Planwagen vor, die aus dem Osten kamen.«
»Hollywood-Western. Lagerfeuer-Romantik. John Wayne und Randolph Scott.«
»Und in letzter Minute rettet die heranstürmende Kavallerie den Treck vor den Indianern. Nur ... die meisten Fortyniners kamen auf Schiffen nach San Francisco.«
»The Armada of Golden Dreams – die Flotte der goldenen Träume. So lautet übrigens die Headline meines Artikels. Die Fortyniners suchten ihr Glück auf den Goldfeldern, die Seeleute verließen ihre Schiffe und folgten ihnen. Eine Geisterflotte vermoderte im Hafen von San Francisco.« Mit den Händen formte Janelle den imaginären Rahmen für ein Foto, das sie in ihrer Vorstellung wohl gerade in ihren Artikel einfügte. »Die Schiffe in den Docks wurden zu Lagerhäusern, Gefängnissen, Bordellen, Saloons und Hotels umgebaut. Einige wurden versenkt, um Besitzansprüche auf Baugrund am Hafen zu sichern.
Das verrottende Holz, aufgefüllt mit Sand, wurde zu Land, heute eine der teuersten Gegenden von San Francisco, der Financial District an der ehemaligen Waterfront. Viele der begrabenen Schiffe sind in den letzten Jahren bei Bauarbeiten entdeckt worden. Im Internet gibt’s eine interessante Karte der Schiffswracks unter den Straßen von San Francisco. Die Transamerica Pyramid, das Wahrzeichen der Skyline, ist auf den verrotteten Schiffen der Fortyniners errichtet worden, die San Francisco zu einer der größten und bedeutendsten Städte Amerikas gemacht haben. Ja, so könnte mein Schlusssatz lauten.«
»Was, glauben Sie, passiert, wenn The Big One kommt?«, fragte Nick.
»Darüber werde ich in meinem nächsten Artikel für National Geographic schreiben. Ich will Dr Alex Lacey interviewen, der die katastrophalen Auswirkungen des nächsten großen Bebens erforscht hat, als er noch für den Katastrophenschutz in San Francisco gearbeitet hat. Sagen Sie ... Dr Lacey und Dr Lacey ... die beiden sind verheiratet, oder?«
Was sollte denn das? Jetzt noch? »Yeah.«
Okay, zugegeben, es klang vielleicht