Seine Übernahme ins »Ministerium für Staatssicherheit« erfolgte umgehend.
In der HA XVIII freute man sich über den Zugang. Auch, wenn er die nächsten Jahre hier kaum wirken würde.
Dennoch beförderte man ihn zum Unterleutnant und übergab ihm die Delegierungsunterlagen zum Studium.
Unterleutnant Bruhns wurde an der »Ingenieurhochschule für Bauwesen« in Cottbus immatrikuliert. Dort absolvierte er in den folgenden vier Jahren sein Studium. Die Studienzeit selbst wurde von ihm als leidlich angenehm empfunden.
Nur wenige Dozenten an der Hochschule wussten überhaupt, dass er hauptamtlich zum MfS gehörte.
Bedingt durch seine monatlichen Bezüge von über eintausend Mark, musste er keine Einschränkungen in seiner Lebensführung hinnehmen.
Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitstudenten.
Sexuelle Erfahrungen, die er während der Armeezeit und dem Studium machen konnte, hatten ihn nachhaltig geprägt. Die Abneigung gegen unerfahrene, junge Mädchen bestand unverändert weiter. Seine Bedürfnisse führten ihn immer wieder zu reiferen Frauen.
Nicht unter fünfunddreißig Lebensjahren durften sie sein. Dabei galt eine etwas mollige, vollbusige Erscheinung mit dunklem Haar für ihn als gesetzt.
Bruhns erstrebte bei seinen Frauenbekanntschaften, die er zumeist in einschlägigen Tanzgaststätten machte, stets seine uneingeschränkte Dominanz. Zudem wollte er einen baldigen Verkehr erreichen. Möglichst in der ersten Nacht versuchte er, wie er es nannte zum »Schuss« kommen.
Daher führte alles, was er mit diesen Frauen begann, niemals zu einer längeren Beziehung. Oder gar zu einer festen Bindung.
Zeigte er sich aus bestimmten Gründen mal unbeweibt, so half er sich mit fleißiger Handarbeit selbst.
Im ersten Quartal Einundachtzig schrieb Michael Bruhns planmäßig seine Abschlussarbeit. Gleich, nachdem er das große Industriepraktikum absolviert hatte. Er schloss das Studium als »Hochschulingenieur des sozialistischen Bauwesens« insgesamt mit einem »Gut« ab.
Seine Vorgesetzten im Ministerium schienen mit seinem Studienabschluss sehr zufrieden zu sein. Vor Beginn seiner Tätigkeit in der Hauptabteilung XVIII erwarteten ihn dort mehrere freudige Ereignisse.
Durch seinen Abteilungsleiter, Major Schmalfuß, erhielt Bruhns seine Beförderung zum Leutnant. Dem nicht genug übergab er ihm die Schlüssel für eine Zweiraum-Neubauwohnung in Berlin Lichtenberg. »Du kannst sofort in das Doppelhochhaus am Anton-Saefkow-Platz einziehen!«, sagte Schmalfuß zackig und reichte ihm den Mietvertrag.
Nach den unerlässlichen Änderungen in seinen Personaldokumenten wurde der frischgebackene Leutnant offiziell ein Bürger der Hauptstadt der DDR!
Bruhns trat seinen Dienst in der HV XVIII am ersten Juni Einundachtzig an. Entgegen seinen anfänglichen Erwartungen forderten ihn seine Aufgaben nicht besonders.
So verbrachte er viel Zeit als Mitglied einer Ermittlergruppe die in einem Chemiefaserkombinat in der Lausitz bestimmte, negative Erscheinungen überprüfte. Die Aufklärung einer dort vermuteten Sabotagetätigkeit gestaltete sich zwar recht aufwendig, blieb aber erfolglos.
Denn letztlich erwies sich alles als eine Folge von technologischen Mängeln. Durch diese entstanden gewaltige Ausfallzeiten an den Maschinen, was wiederum Planrückstände des Kombinates nach sich zog.
Die Ermittler stellten zudem drastische Unzulänglichkeiten bei der genutzten Technik fest. Die Ursachen lagen in den eingesetzten substituierten Ersatzteilen begründet. Einer schlechten Alternative, weil für die benötigten Originalteile keine Valutamittel zum Kauf im Westen vorhanden waren.
Ähnlich gestaltete sich später die Aufklärung von Produktionsausfällen, die ein IM aus einem Stahlwerk im Harz gemeldet hatte. Hier lagen die Ursachen jedoch vornehmlich in defekten Anlagen und der mangelnden, fachlichen Kompetenz einiger Bedienkräfte.
Kurzum: Leutnant Bruhns beschäftigte sich hauptsächlich mit gravierenden, technischen Mängeln und fehlenden Materialien. Obendrein mit unzureichend qualifizierten aber parteigebundenen Fachkräften. Auch bei einer Reihe staatlicher Leiter wurden fachliche Defizite festgestellt. Das alles betraf nicht irgendwelche »Klitschen«, sondern so genannte »Volkswirtschaftliche Schwerpunktbetriebe« der DDR.
Dessen ungeachtet wurde Bruhns ein Jahr später, zum »Jahrestag der Republik«, vorzeitig zum Oberleutnant befördert.
Ob sein maßgeblicher Anteil bei der Aufdeckung einer Straftat in der Forschungsabteilung einer Hochschule dabei den Ausschlag gab? Er hinterfragte es nicht. Immer öfter aber kamen ihm Zweifel an dem, was tagtäglich machte.
Etwa diese unsäglich bornierte Jagd auf angebliche Verdächtige. Die letztlich nichts mit den zum Teil katastrophalen Ergebnissen in der Produktion der betreffenden Betriebe zu schaffen hatten. Auch irritierten ihn bisweilen die wahren Ursachen von Störungen, die ihm inzwischen bekannt waren. Die aber nicht öffentlich gemacht wurden, sondern verschwiegen werden mussten!
Darüber hinaus nahm er auch weiterhin an Schulungen zu technischen Ermittlungsverfahren und der Behandlung von verschiedenen Kampfmitteln teil. Aber schließlich kam der Tag, an dem sich Bruhns eingestand, dass diese Aufgaben auf Dauer nicht seinen beruflichen Ehrgeiz befriedigen konnten.
Doch just zu dieser Zeit ereigneten sich in den oberen Regierungskreisen des Landes überraschende Dinge, die auch sein weiteres Leben verändern sollten.
Im Jahre Zweiundachtzig beschloss das Zentralkomitee der Partei die erneute Teilnahme der DDR am Erdgasleitungsbau in der UdSSR. Sie erklärte dieses Vorhaben zum »Zentralen Jugendobjekt«.
So konnte man es von nun an täglich im Zentralorgan und in der »Jungen Welt« in großer Aufmachung lesen. Selbstverständlich berichtete auch das »Fernsehen der DDR« darüber ausführlich auf beiden Programmen.
Im Ministerium bildete man umgehend einige neue Abteilungen. In eine davon wurde Oberleutnant Bruhns als »Offizier im besonderen Einsatz« im September des Jahres Dreiundachzig abkommandiert. Die Zeit bis dahin fristete er in seiner alten Abteilung.
»Und alles ist genauso, wie wir es vor zehn Jahren schon mal für das Vorhaben »Drushba Trasse« in der Ukraine gehandhabt haben!«, sagte ein altgedienter, wissend wirkender Genosse, der ihn dort begrüßte.
Denn die notwendigen Strukturen und die meisten Erfahrungsträger waren noch vorhanden. Und vor allem lagen die vor gut zehn Jahren aufwendig erarbeiteten Verfahrensweisen schon bereit. Jetzt wurden sie rasch entstaubt und aktualisiert.
Jene Abteilung jedoch der Bruhns nunmehr angehörte war völlig neu in ihrer Aufgabenstellung. Und sie wurde zudem als »Streng geheim« eingestuft.
Deren Mitarbeiter sollte eine einzige aber spezielle Aufgabe auf allen drei Bauabschnitten der Erdgastrasse lösen. Die konkreten Zielstellungen wurden nur den unmittelbar damit befassten Kräften bekanntgegeben.
Der Codename für diese Abteilung lautete »BFC«.
Die Einarbeitung in das geheime Projekt dauerte gut zehn Monate. Etwa ein Dutzend Fachleute wurde damit betraut. Sie erarbeiteten technologische und waffentechnische Voraussetzungen sowie Transportlinien und Notfallpläne.
Danach wurde Michael Bruhns als diplomierter Ingenieur endlich verdeckt lanciert. Zuvor gingen zwei seiner Genossen diesen Weg.
Von da an galt er offiziell als einer der Delegierungskader des Generallieferanten der Erdgastrasse »UGS-Mittenwalde«.
Nach wenigen Tagen der Bereitschaft war es so weit. Im Sommer Vierundachtzig ging seine Abreise auf den Bauabschnitt Ural der Erdgastrasse vonstatten.
Umfassend getarnt als Bauleiter flog er inmitten dutzender Trassenkumpel erstmals in die Sowjetunion.
Anfangs kam er nach Gornosawinsk dem am weitesten von der Heimat entfernten