Auch Schmetterlinge können sterben. Martina Decker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Decker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738098952
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noch mal!« Roman schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Ich will gar nichts hören! Ich will jetzt in Ruhe meine Zeitung lesen. Mach' doch, was du willst. Das machst du doch sowieso am liebsten.«

      Sekundenlang starrten sie sich an.

      »Dann wäre das ja auch geklärt«, presste Julia schließlich hervor. Ein paar Tränen kullerten ihr über die Wange. Das hatte sie sich anders vorgestellt! Sie wollte doch gar nicht alleine auf das Klassentreffen gehen. Sie wollte Roman an ihrer Seite haben.

      Vielleicht sogar ein bisschen mit diesem tollen Mann angeben, der ihr ganz allein gehörte. Der so verdammt gut aussah und erfolgreich war. Alleine würde sie sich unwohl fühlen und deplatziert zwischen all den Pärchen. Nein, alleine würde sie keinesfalls auf das Klassentreffen gehen. Ob sie noch mal …?

      Ein Blick auf Roman genügte: Er hatte sich demonstrativ wieder in die Zeitung vertieft. Das Thema war für ihn ganz offensichtlich erledigt.

      Maßlos enttäuscht verließ Julia den Raum.

      ***

      Roman sah erst wieder auf, als die Zimmertür hinter Julia mit einem lauten Krachen ins Schloss gefallen war. Warum war sie in letzter Zeit bloß so hysterisch? »Vermutlich kriegt sie ihre Tage!«, murmelte er und setzte nach: »Gott sei Dank bin ich ein Mann.«

      Mit einem Kopfschütteln legte er den Wirtschaftsteil zur Seite und warf einen Blick auf sein Handy. Der Terminassistent erinnerte ihn an das Meeting mit den Partnern aus Spanien. Es war für 9:30 Uhr angesetzt. Noch etwas mehr als eine Stunde für Rasieren, Duschen und das Memo lesen, das ihm Felizitas für diesen Termin zusammengestellt hatte. »Das wird knapp«, sagte Roman zu sich selbst und schob den Stuhl nach hinten. Im Stehen nahm er einen letzten Schluck Kaffee.

      Memo und Mails würde er später durchsehen. Der Akku des Handys war ziemlich runter. Er musste ihn erst einmal laden. Nicht, dass sich das Gerät mangels Energie einfach abschaltete. Ohne war er aufgeschmissen. »Andererseits«, er grinste breit, »wäre das das beste Argument für ein neues.«

      Er liebäugelte schon länger mit dem neuen 8er von Plum: 128 GB und 150g leicht. Multi-Touch-Display und LED - Hintergrundbeleuchtung, dazu eine komfortable Akku-Laufzeit und HD-Technologie, mit der Video-Konferenzen auch unterwegs die helle Freude wären.

      Bisher hatte er sich Julias Veto gebeugt. »Musst du wirklich immer die neuesten Geräte haben? Dein Telefon funktioniert doch einwandfrei«, hatte sie gesagt. Schon allein der Begriff „Telefon“ ließ ihn erschaudern. »Was du Telefon nennst, sind leistungsstarke Computer im Taschenformat. Damit kann man auch telefonieren. Allerdings vermute ich, diese Funktion haben die Entwickler nur dabei gelassen, weil es immer noch Menschen wie dich gibt.

      Ich habe damit alle Termine im Überblick, meine Kontakte und jederzeit Zugriff auf Unterlagen. Das Ding ist mein Office – ohne könnte ich überhaupt nicht mehr anständig arbeiten.«

      »Weißt du eigentlich, wie umweltschädlich und menschenverachtend Produktion und Entsorgung sind?«

      An diesem Punkt hatte er die Diskussion beendet. Natürlich war es ihm nicht egal, was da in den Minen und mit den Menschen passierte. Aber sollte er deswegen wieder trommeln? Oder Briefe schreiben? Was war denn dann mit den armen Bäumen, die zum Profit der Papierindustrie gefällt werden mussten? Jede Entwicklungsstufe hatte ihren Preis. Das war nicht zynisch, das war Tatsache – auch wenn Julia dem energisch widersprechen würde.

      Von daher: »Memo an mich selbst«, diktierte Roman ins alte Handy. »Möglichst bald das 8er besorgen - weil Fortschritt nicht aufzuhalten ist und ich es mir wert bin.«

      Es wäre die perfekte Belohnung für einen hoffentlich perfekten Deal mit den Spaniern.

      2

      Julia saß in ihrem Arbeitszimmer und hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Was war bloß los mit ihr und Roman? Sie hatte den Eindruck, dass sie nur noch miteinander stritten. Ein normales Gespräch war kaum noch möglich. Und jedes Mal bügelte er sie mit einer Arroganz ab, die völlig unangebracht war. Sie war doch nicht sein Lehrmädchen oder sonst irgendein Depp. Sie war seine Frau!

      Wo war der entspannte, ganz normale Roman, den sie vor 17 Jahren im Biergarten kennen und lieben gelernt hatte? Der sie mit einem selbst gepflückten Blumenstrauß überrascht und ihr ins Ohr geflüstert hatte: »Du bist das Wichtigste in meinem Leben!« Irgendwo zwischen besagtem Biergarten und heute war dieser Mann, vielleicht sogar die Liebe, auf der Karrierestrecke geblieben. Ob sie doch ein bisschen überreagierte? Sollte sie sich vielleicht bei ihm entschuldigen?

      Eigentlich hatte sie keine Lust auf ein spöttisches »Na, hast du dich wieder beruhigt?« Roman nahm ihre emotionalen Ausbrüche selten ernst. Er huldigte der Ratio. Frauen, die heulend aus einem wie er es nannte »konstruktiven Gespräch« wegliefen, litten seiner Ansicht nach entweder unter PMS oder waren hysterisch. Ab einem gewissen Alter gestand er ihnen gnädig auch noch die Auswirkungen der Wechseljahre zu, was im Ergebnis nicht minder herablassend war. Nun war sie aber definitiv weder hysterisch noch in den Wechseljahren. PMS war aktuell auch nicht zu befürchten. Oder?

      Julia blätterte in ihrem Kalender. »Mist, könnte doch sein ...«, murmelte sie. Sie war ein paar Tage überfällig! »Das ist dieser ganze Stress und Ärger«, schimpfte sie leise und klappte den Kalender energisch zu. »Nicht nur mein Eheleben ist aus dem Takt - mein Bio-Rhythmus ist es auch!« Dass Roman mit seiner frauenfeindlichen und absurden Theorie einen Treffer gelandet haben könnte, gefiel ihr gar nicht.

      »Nein, dieses Mal muss er zuerst kommen. Sehe ich doch gar nicht ein«, murmelte sie. »Er hat mich egoistisch und selbstbezogen genannt. Wenn sich einer entschuldigen sollte, dann er!«

      Das würde aber nie passieren und das wusste Julia. Roman entschuldigte sich nicht, solange er sich im Recht sah. Und eigentlich hatte Roman immer recht – glaubte Roman. In ein paar Tagen würde er mit einem großen Blumenstrauß ankommen und lapidar sagen: »Für dich. Weil du frische Blumen doch magst.«

      Bis dahin wären aber Klassentreffen und dieses blöde Essen mit den Spaniern schon lange gewesen.

      »Klassentreffen versus Geschäftspartner?«, schrieb Julia auf einen Zettel und kritzelte ein Muster daneben. »Nobelrestaurant – kaltes Buffet? Tanzen – Small Talk? Spanier – alte Freunde?« Sie warf den Stift auf die Schreibtischplatte. »Verdammt noch mal, ich bin nicht egoistisch! Ich werde es ihm beweisen!«

      Sie griff nach der Einladungskarte und betrachtete sie wehmütig. Silhouetten von tanzenden Menschen – gute Laune in Schwarz und Pink. Die Neunziger ließen grüßen. »Ich brauche eine Ausrede! Mein Mann hat einen wichtigen Termin!« Julia schüttelte den Kopf. »Das klingt, als dürfte ich nicht alleine verreisen.« Zwei der drei auf der Karte abgebildeten Figuren hatten jetzt einen gemalten Bart; eine der Frauen trug jetzt Hut. »Vielleicht: Leider muss ich wegen eines überraschenden Geschäftstermins meine Teilnahme absagen. Das lässt zumindest offen, ob es mein oder sein Termin ist. Trotzdem doof.« Unzufrieden zerknüllte Julia nach einigen Minuten den Zettel mit diesen und anderen Entwürfen. »Ich nehme den Klassiker: Viruserkrankung. Ist wenigstens nicht ganz gelogen – nur ein bisschen übertrieben.« Seit Tagen war ihr ständig übel. Nicht so, dass sie das Treffen tatsächlich hätte absagen müssen. Eher latent und lästig. »Zumindest bleiben mir jetzt die klassischen Verlierer erspart, die vermutlich schon ihre zweite oder dritte Scheidung hinter sich haben und einen aufgewärmten Flirt anno 1995 suchen.«

      Es war ein schwacher Trost, zugegeben, aber besser als nichts. Sie würde das freie Wochenende als geschenkte Zeit annehmen. Zeit, die sie darauf verwenden wollte, Ordnung auf ihrem Schreibtisch und in ihren Unterlagen zu schaffen. Ihr Arbeitsplatz war übersät mit kleinen, bunten Klebezetteln. Wichtige und flüchtige Notizen, manche längst übertragen, manche längst überholt; andere, die unbedingt noch gebraucht wurden; die, die sie schon gesucht, aber im Durcheinander nicht gefunden hatte.

      Nach dem Klassentreffen hatte sie anfangen wollen, nun würde sie eben schon heute damit beginnen. »Was du heute kannst besorgen ... « Je eher sie hier Ordnung gemacht haben würde, desto früher konnten