Der Affe mit der Zauberflöte. Willi Glasauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Glasauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783752910544
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produzieren Sauerstoff, dieses Abgas der Photosynthese. Sauerstoff ist eine äußerst aggressive atomare Verbindung. Sauerstoff bringt Eisen zum rosten – das Rostbraun der eisenhaltigen Felsen zeugt davon – und kein Streichholz würde ohne Sauerstoff brennen. Archie und seinesgleichen wären beinahe im Sauerstoff umgekommen.

      Ich habe gehört, dass der Sauerstoff sogar die Umweltbedingungen derart veränderte, dass der gesamte Planet vereiste und als Schneeball im Weltall herumtrudelte. Eine Katastrophe !

      Die Cyanobakterien hatten sich selbst ein Bein gestellt. Sie benötigen Sonne für die Photosynthese, kein Eis. Die Erde ist, zum Glück, ein sich selbst erhaltendes und selbst regenerierendes Wesen. Trotzdem hat es Millionen von Jahren gedauert, bis sich wieder ein Gleichgewicht zwischen Sauerstoff und Klima eingependelt hat. Der Sauerstoff hatte eine dünne Ozonschicht gebildet, ein Schutzschild gegen die tödlichen UV-Strahlen.

      Die Cyanos konnten aufatmen. Sie atmeten tief durch, sie hatten es geschafft. Dank ihrer Sauerstoffproduktion hatte sich die Welt total verändert. Leben heißt jetzt: atmen. Atmen kann man nur mit Sauerstoff, ohne Sauerstoff würde jedes Lebewesen – auch du, lieber Leser – in ein paar Minuten ersticken. Die Cyanobakterien haben den Weg bereitet für die Evolution von Pflanzen und Tieren.

      Archie stammt aus einem archaischem Zeitalter, dem Archaikum. Er hat sich recht und schlecht an den Sauerstoff gewöhnt. Er lebt heute in den Tiefen des Meeres und in Kuhmägen, wo er sein geliebtes Methangas erzeugt, das die Ozonschicht zerstört. Jetzt ist er es, der die Umwelt verschmutzt, nicht die Cyanos. Beleidigt schwimmt er davon.

      Eukaryoten und der Sex

      Seltsam, obwohl ich mich inzwischen bestimmt billiardenfach vermehrt hatte, fühlte ich mich einsam, eine billiardenfache Einsamkeit. In mir erwachte eine unbestimmte Sehnsucht nach dem anderen. Ich langweilte mich. Seit zweieinhalb Milliarden Jahren – was hätte man in zweieinhalb Milliarden Jahren nicht alles mögliche anfangen können – teilte ich mich und teilte ich mich, aber immer nur das selbe ich, spiegelte in der Elbe sich. (Pardon, aber ich musste diesen Schüttelreim loswerden, obwohl es noch keine Elbe gab.)

      Nichts passierte, nichts.

      Die Verbindungen, die ich mit anderen Zellen einging, hielten meist nicht lange. Ich wusste nicht, was ich mit den anderen anfangen sollte, sie langweilten mich.

      Den anderen ging es genauso. Manchmal tauschten wir einige unserer Chromosomen aus, das war ganz lustig. Plötzlich hatte man ganz neue Eigenschaften, man war jemand anders, da man andere Erbinformationen hatte. Würde, zum Beispiel, ein Elefant seine Erbinformationen für den Rüssel mit einer Ente tauschen, wüchse ihm ein Schnabel und der Ente ein Rüssel. Aber damals gab es weder Enten noch Elefanten, es gab nur Einzeller, die mehr oder weniger alle gleich aussehen.

      Die Erfinder der Photosynthese, die Cyanobakterien, erfanden so etwas wie ein Öko-Center. Ein Gebilde aus Kalk, verklebt mit Spucke – einer Art Schleim – und Sandkörnern. Riesige Gebäude, in denen leben konnte, wer wollte. Stromatolithen – du kannst sie heute noch an der Nordküste Australiens, der Shark Bay und im Yellowstone National Park der USA, den Bermudas und vielen anderen Orten bewundern.

      Sie, die Cyanobakterien, siedelten sich selbstverständlich ganz oben an, auf den Sonnenterrassen. Weiter unten, sozusagen im Keller, lebten die Archaeebakterien, Archi‘s Verwandte. Viren – Viren sind keine Einzeller und schon gar keine Bakterien, sie sind genetische Zombies, wie sie Lynn Margulis nannte – leben vom Abfall der Einwohner. Sie plündern die Mülleimer, da sie sich selbst nicht ernähren können.

      Die Höhe des Meeresspiegels schwankt beständig, je nach den klimatischen Verhältnissen. Schmelzen die Polkappen, steigt der Meeresspiegel, vereisen sie und binden dadurch das Wasser, sinkt er wieder. Manchmal ragten daher die ersten Wolkenkratzer, die Stromatolithen, ein ganzes Stück aus dem Wasser, was die Cyanobakterien auf die Idee brachte, das Leben außerhalb des Wassers zu erkunden.

      Leben kann man nur im Wasser, das weiß jeder. Aber die Cyanos wollten mehr, sie sind so etwas wie frühe Wissenschaftler – wobei ich sagen muss, dass heutige Wissenschaftler die Sonnenenergie zwar einfangen aber nicht speichern können, geschweige denn, in Nahrung umwandeln. Möglich dass den Cyanobakterien die Idee der „Pflanze“ auf diesen luftigen Sonnenterrassen kam - Wurzeln im Wasser, die Blätter in der frischen Luft, um möglichst viele Sonnenstrahlen einzufangen. Die Verwirklichung dieser Idee dauerte allerdings noch hunderte von Millionen Jahren.

      In einem Bistro dieser Öko-Center las ich eines Tages in der „Morgenröte“, der Tageszeitung für Einzeller, eine Kleinanzeige: „Eukaryotische Zellen suchen intelligente Bakterien. Kost und Logis frei, angenehme Arbeitsbedingungen“. Ich hatte keine Ahnung, was das sein soll, eine eukaryotische Zelle.

      Neugierig geworden, doggte ich an einer eukaryotischen Zelle an und wurde durch die Membran in das Innere geschleust. Der Anblick war überwältigend. Allein die gewaltige Größe flößte Ehrfurcht ein, es war, als würde man den Petersdom zu Rom betreten.

      In der Mitte – nicht ganz in der Mitte – das Allerheiligste, der Kern. Um diesen Kern, der mit einer eigenen Membran vom übrigen Raum getrennt ist, ein sonderbares Gebilde aus Röhren, Gängen und Löchern – das futuristische Bauwerk eines delirierenden Architekten, das wie in Dauerwellen gelegte Kutteln aussieht und sich an der Außenseite in tropfenförmige Gebilde auflöst. Ganz in der Nähe ein ähnlich verzwicktes Gebilde, der Golgi-Apparat, benannt nach dem italienischem Mediziner Camillo Golgi (1843-1926). Er entdeckte diese wellenförmig übereinandergestapelten Hohlräume unter dem Mikroskop. In meiner, im Vergleich winzigen Zelle, gibt es weder einen Golgi-Apparat noch ein endoplasmatisches Reticulum, wie man das andere Gebilde nennt, in dem Calcium gespeichert wird, wie ich später erfuhr. Geheime Gänge, in denen ich mich hoffnungslos verlaufen würde, führen von diesem endoplasmatischem Reticulum, kurz ER, zu dem geheimnisvollen Kern, dem Nucleus.

      Um diese futuristischen Gebilde herum lagern etliche Mitochondrien, die sich um die Energieversorgung der Zelle kümmern. Früher, vor etlichen Milliarden Jahren, waren sie noch Bakterien wie ich, gingen dann aber eine Symbiose mit dieser Zelle ein und avancierten zu Organellen. Unter „Organellen“, eigentlich „Orgänchen“, die Verkleinerungsform von „Organ“ versteht man einen strukturell abgrenzbaren Bereich einer Zelle mit besonderer Funktion – laut Lexikon.

      Zwischen all den Organellen laufen Ribosomen mit Notizblöcken und Kugelschreibern geschäftig hin und her. Ich erkannte sie sofort wieder, wir kennen uns seit langem, wir sind Verwandte. Damals, als ich in traumhaft verschwommenen Zeiten, noch als DNA, an einen Felsen geklammert durch das Weltall flog, da winkten wir uns von weitem zu. Womöglich landeten sie sogar früher als ich auf diesem Planeten – jedenfalls vermutet das die Biologin Lynn Margulis und meint, dass das Leben erst aus der Verbindung von Desoxyribonukleinsäuren, DNA, mit Ribonukleinsäuren, RNA, entstand.

      Und da hat sie recht, was nutzt es mir, wenn ich sämtliche Informationen in Genen gespeichert habe und keine Sau liest sie! Die Ribosomen, die aus Ribonukleinsäure bestehen, RNA, lesen, kopieren und verarbeiten diese Geninformationen, wie wir gleich sehen werden.

      Auf den Notizblöcken der Ribosomen mit den Kugelschreibern stand: „mRNA“ - messenger oder Boten- Ribosom. Nur sie, niemand sonst, hat Zutritt zu dem Kern. Top Secret! Das Geheimnis des Lebens ist hier, im Kern, gespeichert. Ähnlich einer riesigen Bibliothek, in der das gesamte Wissen der Menschheit in Büchern aufbewahrt wird. Die Bücher dürfen nicht entliehen werden, ginge das Buch verloren, ginge das Wissen verloren.

      Um dieses Wissen aus der Bibliothek in die Zelle zu transportieren, müssen die Ribosomen, die mRNA, Kopien von dem Original machen. Natürlich wäre es unsinnig, die gesamte Bibliothek zu kopieren, wenn man nur etwas, sagen wir als Beispiel, über Gänseblümchen wissen will. Bibliothekare – wissenschaftlich gesprochen: Enzyme – helfen den Ribosomen, das betreffende Buch zu finden und die Seiten aufzuschlagen, in denen die Geninformationen für Gänseblümchen stehen.

      Ein Gen ist lediglich ein Abschnitt auf der DNA, vergleichbar mit einem Buchstaben des Buches. Das Buch über die gesamten Geninformationen zu dem Gänseblümchen nennt man „Genom“,