Geschichten aus der Murkelei. Ханс Фаллада. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ханс Фаллада
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752978445
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dreimal umsonst gefragt hatte, war jetzt böse auf das Kind und fragte es nicht mehr. Da dachte das Kind: ›Meine Mutter ist böse auf mich. Ich will ein bißchen an der Tür kratzen. Dann fragt sie mich doch, ob ich wieder artig sein will, ich aber sage ja und darf hinein.‹ Und das Kind kratzte an der Tür.

      Die Mutter hörte es wohl, aber sie wollte das ungezogene Kind nicht mehr fragen, und so schwieg sie. Nun fing das Kind an zu rufen: »Ich will artig sein! Laßt mich hinein!«

      Da fuhr die Maus aus dem Mäusegang und rief atemlos: »Gott, was war das für eine herrliche Geschichte! Entschuldige bloß, daß ich nicht eher kam, aber ich konnte nicht früher kommen, als bis ich das allerletzte Wort von ihr gehört hatte.«

      Die Fliege schwirrte durch das Schlüsselloch und summte: »So eine vorzügliche Geschichte hört man wirklich nicht alle Tage. Da war es kein Wunder, daß die Kinder gegessen haben wie die Scheunendrescher – auch nicht ein Löffel voll blieb in der Schüssel!«

      Und die Ameise kroch unter der Tür hervor und ächzte: »So eine großartige Geschichte und dazu noch Schokoladenpudding und Vanillesauce – so gut möchte ich es auch einmal haben!«

      »Was?!« rief das unartige Kind. »Es hat Schokoladenpudding mit Vanillesauce gegeben?! Da will ich auch was abhaben.« Und es riß die Tür auf und rief: »Ich will auch Pudding und Vanillesauce. Ich will auch ganz artig sein! Und die kleine Geschichte will ich auch hören!«

      Da fingen alle Kinder mit der Mutter an zu lachen und zeigten dem unartigen Kind die Puddingschüssel – da war auch nicht ein Krümchen mehr darin. Und sie zeigten ihm die Teller, die waren so blank und leer, als wären sie mit der Zunge abgeleckt. Die Mutter aber sagte: »Warum hast du dich nicht zur rechten Zeit besonnen, Kind? Nun ist nichts mehr da.«

      Das Kind fing an zu weinen und sagte: »Wenn ich denn keinen Pudding mehr bekomme, so will ich doch die wunderbare, die herrliche, die großartige kleine Geschichte hören, die du meinen Geschwistern erzählt hast.«

      Die Mutter aber antwortete: »Jetzt ist später Abend. Jetzt werden keine Geschichten mehr erzählt, jetzt wird ins Bett gegangen.«

      Da mußte das unartige Kind ohne Pudding und ohne kleine Geschichte ins Bett gehen, und darüber war es sehr traurig. Hätte es sich aber zur rechten Zeit besonnen, so hätte es Pudding und kleine Geschichte bekommen, und das wäre besser für das Kind gewesen, und auch für uns, denn dann hätten auch wir die kleine Geschichte zu hören bekommen!

      Geschichte vom Mäuseken Wackelohr

      In einem großen Stadthaus wohnte einmal ein Mäuseken ganz allein, das hieß Wackelohr. Als Kleines war es einst von der Katze überfallen worden, und dabei war ihm das Ohr so zerrissen, daß die Maus es nicht mehr spitzen, sondern nur noch damit wackeln konnte. Darum hieß sie Wackelohr. Und dieselbe alte böse Katze hatte ihr auch alle Brüder und Schwestern und die Eltern gemordet, deshalb wohnte sie so allein in dem großen Stadthaus.

      Da war es ihr oft sehr einsam, und sie klagte, daß sie so gerne ein anderes Mäuseken zum Spielgefährten gehabt hätte, am liebsten einen hübschen Mäuserich. Aber von dem Klagen kam keiner, und Wackelohr blieb allein.

      Als nun einmal alles im Hause schlief, und die böse Katze auch, saß Wackelohr in der Speisekammer, nagte an einem Stück Speck und klagte dabei wieder recht jämmerlich über die große Verlassenheit. Da hörte sie eine hohe Stimme, die sprach: »Hihi! Was bist du doch für ein dummes, blindes Mäuseken! Du brauchst ja nur aus dem Fenster zu schauen und siehst den hübschesten Mäuserich von der Welt! Dazu geht es ihm auch noch wie dir: er ist ebenso allein wie du und sehnt sich herzlich nach einem Mäusefräulein.«

      Wackelohr guckte hierhin und Wackelohr guckte dahin, Wackelohr sah auf den Speckteller und unter den Tellerrand – aber Wackelohr erblickte niemanden. Schließlich sah sie zum Fenster hinaus. Doch drüben war nur ein anderes großes Stadthaus, mit vielen Fenstern, die in der Abendsonne glitzerten, und kein Mäuserich war zu erblicken. Da rief Wackelohr ganz ungeduldig: »Wo bist du denn, die mit mir spricht? Und wo ist denn der schöne Mausejunge, von dem du erzählst?«

      »Hihi!« rief die hohe Stimme. »Bist du aber eine blinde Maus! Schau doch einmal hoch zur Decke, ich sitze ja gerade über dir!«

      Das Mäuseken sah hoch, und richtig, gerade über seinem Kopf saß eine große Ameise und funkelte es mit ihren Augen an. »Und wo ist der Mäuserich?« fragte das Mäuseken gespannt die große Ameise.

      »Der sitzt doch gerade dir gegenüber in der Dachrinne und läßt den Schwanz auf die Straße hängen«, sagte die Ameise.

      Wackelohr sah hinaus, und wirklich saß da drüben in der Dachrinne ein schöner Mäusejunge mit einem kräftigen Schnurrbart, ließ den Schwanz über die Rinne hängen und sah die Straße auf und ab. »Warum sitzt er denn da, du Ameise?« fragte Wackelohr. »Er kann doch fallen, und dann ist er tot.«

      »Nun, er langweilt sich wohl so ganz allein«, antwortete die Ameise. »Da schaut er ein bißchen aus, ob er ein Mäuseken auf der Straße sehen kann.«

      Wackelohr bat: »Ach, liebste Ameise, sage mir doch einen Weg, wie ich zu ihm kommen kann. Ich will dir auch all meinen Speck schenken.«

      Die Ameise strich sich nachdenklich ihren kräftigen Unterkiefer mit den beiden Vorderbeinen, juckte sich mit den Hinterbeinen am Po und sprach: »Deinen Speck will ich gar nicht, ich esse lieber Zucker und Honig und Marmelade. Und einen Weg zu dem Mäuserich weiß ich auch nicht für dich. Ich gehe immer durch das Schlüsselloch, und dafür bist du doch zu groß.«

      Wackelohr aber bat und bettelte, und schließlich versprach die Ameise, sich bis zum nächsten Abend zu überlegen, wie Wackelohr zu ihrem Mäuserich kommen könnte.

      Am nächsten Abend traf Mäuseken die Ameise wieder in der Speisekammer und fragte sie sehr eifrig, ob sie nun wohl einen Weg wisse. »Vielleicht weiß ich einen Weg«, sagte die kluge Ameise, »aber ehe ich dir den sage, mußt du mir einen Zuckerbonbon schenken.«

      »Ach!« rief Wackelohr klagend, »woher soll ich den denn nehmen? Der einzige Zuckerbonbon, von dem ich weiß, liegt auf dem Nachttisch von der Hausfrau. Den lutscht sie immer, wenn sie morgens aufwacht, damit der Tag ihr gleich süß schmeckt.«

      »Nun, so hole den doch!« sagte die Ameise ganz kaltblütig.

      »Den kann ich nicht holen«, rief das Mäuseken traurig. »In dem Schlafzimmer schläft auch die alte, böse Katze, die meine Eltern und Brüder und Schwestern geholt hat. Wenn die mich hört, mordet sie mich bestimmt.«

      »Das mußt du wissen, wie du es machst«, sagte die Ameise ganz ungerührt. »Bekomme ich den Bonbon nicht, erfährst du den Weg nicht zu deinem Mäuserich.«

      Da half Wackelohr kein Bitten und kein Weinen und kein Flehen, ohne den Bonbon wollte die Ameise ihr nichts sagen. Also ging Mäuseken auf seinen leisesten Pfoten aus der Speisekammer in die Küche, und aus der Küche in das Esszimmer, und aus dem Esszimmer in das Arbeitszimmer, und aus dem Arbeitszimmer auf den Flur. Auf dem Flur aber machte es seine Pfoten womöglich noch leiser und wutschte sachte, sachte, still in das Schlafzimmer.

      In dem Schlafzimmer war es für Menschenaugen ganz dunkel, weil die Vorhänge zugezogen waren. Aber Mäuse haben Augen, die besonders gut im Dunkeln sehen können. Und so sah Wackelohr denn, daß – oh, Schreck! – ihre Feindin, die Katze, nicht schlief. Sondern sie lag auf einem schönen Kissen grade vor dem Bett, an dem das Mäuseken vorbei mußte, wenn es zu dem Nachttisch mit dem Bonbon wollte, dehnte und streckte sich und leckte das Maul, als wäre sie noch sehr hungrig.

      Da konnte Mäuseken nicht anders: sie mußte vor Schreck quieken. Sprach die Katze: »Hier ist wohl eine Maus im Zimmer? Ich dachte, ich hätte alle Mäuse in diesem Hause längst totgemacht. Nun, wenn noch eine Maus da ist, werde ich sie gleich haben.« – Und sie streckte sich, um aufzustehen.

      Da bat das Mäuseken in seiner Angst den Stuhl, unter dem es saß: »Ach, lieber Stuhl, knarre doch ein wenig. Dann denkt die Katze, es ist nur Stuhlknarren und kein Mäusequieken.« Und der Stuhl tat dem Mäuseken