Heute Vormittag noch hatte Keno ihm hoch und heilig versprochen, abends ins Café zu kommen.
„Bring‘ doch Jackson einfach mit“, hatte Mika vorgeschlagen, als er sein Geschirr zur Spüle trug. „Du hast doch erwähnt, dass Luca auf einem Seminar ist. Da langweilt sich der Chaot zu Hause sowieso zu Tode.“
Keno nickte zustimmend, als er sich ein halbes Brötchen in einem Stück in den Mund stopfte.
„Ma feehn“, kam die undeutliche Antwort, während der Teigklumpen von einer Backe in die andere geschoben wurde. Endlich schluckte er und kippte rasch seinen lauwarmen Kaffee hinterher.
„Ihr könntet ja auch …“, setzte Mika erneut an, doch Keno war schon auf den Beinen und eilte in den Flur, um seine Biker-Kombi zu komplettieren. Während er am Reißverschluss seiner Jacke herumfummelte, kam er noch einmal zurück in die Küche.
„Wir wollen da was ausprobier’n“, murmelte er und schloss endgültig die Jacke. „Ich kann dir noch nicht genau sagen, wann wir fertig sind. Mal seh’n. Aber für ein Bierchen wird die Zeit schon reichen.“
Inzwischen hatte Mika seine Tasse ausgespült und wandte sich Keno zu. Dabei stemmte er angepisst die Hände in die Hüften.
„Zu gütig. Ich will dich wirklich nicht von Wichtigerem abhalten. Wenn du keinen Bock hast, dann bleib‘ von mir aus, wo der Pfeffer wächst.“
Enttäuschung fegte über Mika hinweg. Dieser Arsch! Konnte er nicht Jackson Jackson sein lassen und sich zur Abwechslung mal auf ihn konzentrieren?
Zwei große Schritte und Keno drängte sich gegen ihn. Wie auf Kommando wurde Mika heiß – und zwar am ganzen Körper. In der engen Kombi sah sein Großmaul verboten sexy aus. Wie eine lederne muskulöse Wand baute sich sein Liebhaber vor ihm auf.
„Könntest du das noch mal wiederholen?“, knurrte Keno leise. „Ich bin mir nicht sicher, ob du gerade eine freche Bemerkung von dir gegeben hast.“ Drohend kniff er die Augen zusammen, während sich seine rechte Hand um Mikas Kehle legte. Das Leder des Handschuhs knirschte dabei leise.
Mika schluckte nervös und versuchte, dem starren Blick standzuhalten. Tausend Vorwürfe schossen ihm durch den Kopf. Doch er wusste genau, dass sich jede einzelne Rüge wie blödes Kleinmädchen-Gekeife anhören würde. Du kümmerst dich nie um mich … buäääh hallte es in seinen Gedanken und zwar in dem nachäffenden Tonfall, den er an Keno so sehr hasst. Daher beschloss er, sich auf das Wesentlichste zu beschränken.
„Versprich‘ mir, heute Abend zu kommen“, krächzte er und versuchte, vorsichtig seinen Hals aus Kenos zupackender Hand zu winden. Der Griff lockerte sich, doch Kenos Miene blieb ernst. Er drückte sich noch enger an Mika heran.
„Ich hab‘ dich nicht ganz verstanden“, hauchte er und grinste maliziös.
„Bitte …“, keuchte Mika. Ein gehauchter Kuss auf seinen zitternden Lippen ermunterte ihn, weiter zu reden. „Bitte! Komm‘ heute Abend! Versprich‘ es mir!“
„Ich versprech’s“, murmelte Keno, bevor er Mika endgültig verschlang. Eine Minute später ließ er atemlos von seinem Kleinen ab.
„Hoch und heilig?“, hakte Mika nach, als Keno schon wieder halb im Flur stand. Doch dann erschien sein Kopf nochmals in der Türöffnung.
„Übertreib’s nicht, Minimoy“, grinste er hämisch. Und im Wegdrehen fügte er trocken hinzu: „John ist ja schließlich auch noch da“.
Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Mika beobachtet seinen perlenden Sekt, während seine Gedanken Kenos Verhalten sezieren wie einen zähen Brocken Fleisch. Warum redet er nicht mit mir … oder wenigstens mit John? Wenn ich ihn frage, was er so macht, krieg‘ ich ein „Bist du meine Mami oder was?“ zur Antwort. Klar! Ich weiß, dass ihm meine Bedenken – okay, meine Angst wegen diesem Motorrad – auf die Eier geht, doch … er fehlt mir. Er ist da und doch wieder nicht. Er verhält sich oberflächlich wie ‘ne kalte Hundeschnauze und ich krieg‘ nicht raus, warum!
Mit einem abschließenden Seufzer stellt Mika sein Glas beiseite. Die ersten Gäste treffen ein.
Heute wird gefeiert! Und zwar mit meinen Freunden und mit meinen beiden Männern. Das wird richtig gut! Mit diesen Gedanken schließt er Gordana und Nerd in seine Arme.
*
Sechs Stunden später steht Mika ziemlich derangiert an der Theke. Seine Wangen glühen vom Alkohol und den vielen angeregten Gesprächen. John liefert sich inzwischen ein Wettsaufen mit Ben. War ja klar! Wenn die beiden Alphatiere aufeinander treffen, dann wird RICHTIG zugelangt. Mit fahrigen Fingern stopft sich Mika das Hemd in die Hose. Das hatte John ihm im Vorbeigehen scherzhaft herausgezupft. Noch bleibt Mikas Grinsen standhaft, doch er weiß selbst, dass es nicht mehr lange dauert, bis er vor Enttäuschung wie eine Erstklässlerin losheult. Es fehlt nur noch der passende Auslöser.
David lässt sich neben ihn auf einen Barhocker sinken und beobachtet seinen besten Freund intensiv dabei, wie er seine Klamotten richtet.
„Wenn du jetzt auch nur EIN Wort sagst, knall‘ ich dir eine, dass du vom Hocker fällst!“ zischt Mika ihm zu.
„Wo steckt er?“ Gnadenlos stellt David die Frage, die sein Freund nicht hören will.
„Ich weiß es nicht!“ presst Mika hervor. Schwer atmend stemmt er die Hände in die Hüften und starrt zu Boden. Jetzt bloß die Fassung bewahren.
„Warum meldet er sich nicht wenigstens?“, bohrt David weiter nach.
Noch leiser: „Ich weiß es nicht!“ Eine vorwitzige Träne fällt unbemerkt zu Boden, doch Mikas Stimme bleibt fest.
„Kommt er denn noch?“
„ICH–WEIß–ES–NICHT“ brüllt Mika zurück und seine Wut brandet empor wie heiße Säure.
David rutscht vom Barhocker, tritt auf seinen Freund zu und zieht ihn fest in seine Arme. Mikas Verzweiflung lässt nichts anderes zu als sich festzuklammern. Hölzern vor Verbitterung dringt Davids Stimme an sein Ohr.
„Er hat sich nicht geändert, dieser Arsch! Er ist immer noch der gleiche egoistische Penner wie früher!“
„Ich weiß!“, murmelt Mika an Daves Hals. Auf einmal ist er schrecklich müde. Zu viel Alkohol, gepaart mit zu viel Freude über den heutigen Abend und dann der aufgestaute Frust über Kenos Fortbleiben lassen seinen Blutdruck in den Keller sacken. Er will weg; einfach nur nach Hause und sich in sein Bett fallen lassen. Mika seufzt. Davids Trost fühlt sich gut an. Einfach sanft in die Arme genommen zu werden und dann das leichte Wiegen. Hin und her. Hin und her.
„Ey!“ brüllt prompt ein gut abgefüllter Ben von der anderen Raumseite herüber. Er und John flegeln sich in stabilen Korbsesseln herum. Mindestens zehn Mal musste Mika Ben erklären, dass auch er hier keine Zigarren rauchen darf. Schließlich schloss dieser das Thema mit einem „Ach, leck‘ mich doch!“ ab und nuckelt seitdem an dem nicht entzündeten Stumpen herum.
Jetzt brüllt der betrunkene Hüne herüber. „Hey Blondie, scheiß drauf! Welcher Idioten-Prinz lässt freiwillig so eine süße Braut wie dich sitzen?“ Eine Frage, die keine sein soll. Natürlich durchschaut er Mikas verzweifelte Umarmung