Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine von der Wellen
Издательство: Bookwire
Серия: Die Narben aus der Vergangenheit
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752902280
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ist mit ihr?“, höre ich Julian hinter mir fragen und würde ihn am liebsten mit einem Faustschlag ins Jenseits befördern. Aber dafür müsste ich Carolin loslassen.

      Ellen sieht ihn mit wütendem Blick an und brüllt: „Sie steht wegen dir ständig kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Also lass sie in Ruhe!“, und Daniel schubst Julian noch weiter von uns weg.

      Der steht nur da und starrt uns an.

      Sabine und Susanne fragen, was los ist und das kleine Dickerchen taucht neben Ellen auf und flüstert: „Gibt es Stress wegen diesem Typ?“

      „Komm, wir gehen“, sage ich und nicke Daniel zu.

      Als ich Carolin vom Hocker ziehe, merke ich, dass sie kaum stehen kann. Ich greife fest um ihre Taille und bringe sie zum Ausgang, ohne großes Aufsehen zu erregen. Nicht, dass noch jemand die Polizei verständigt.

      Daniel folgt uns und hält die Tür nach draußen auf.

      „Hol das Auto“, sage ich und er sprintet los.

      Ellen taucht an Carolins anderer Seite auf und schiebt ihren Arm um sie, um sie zu stützen. „Nicht schon wieder! Soll ich Dr. Bremer anrufen?“, fragt sie.

      „Nein, ich denke, das kriegen wir allein hin. Sie muss bloß nach Hause“, antworte ich ihr und Daniel kommt mit dem Mustang vor uns zum Stehen.

      Ich bin froh, als ich endlich mit Carolin im Auto sitze und Daniel uns nach Hause fährt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Carolin lehnt mit blassem Gesicht an meiner Brust und noch immer laufen ihr Tränen über das Gesicht. Aber sie scheint das gar nicht wahrzunehmen.

      Daniel lenkt den Wagen auf unseren Hof und lässt den Motor ausgehen.

      „Erik, hey, sie wird schon wieder!“, versucht Ellen mich zu beruhigen.

      Ich schüttele nur mit diesem schrecklichen Gefühl der Hilflosigkeit den Kopf. „Ich kann nichts tun! Gar nichts! Ihr Bruder wird sie niemals in Ruhe lassen und irgendwann bricht sie ganz zusammen. Und dann?“, antworte ich ihr und sehe in Carolins blasses Gesicht.

      Ellen zieht nur die Schultern hoch und steigt aus, um uns herauszulassen.

      Ich ziehe Carolin aus dem Auto. Sie scheint aller Kraft beraubt zu sein und von Ellen und Daniel flankiert, trage ich sie in unsere Wohnung hoch und lege sie ins Bett.

      Ellen zieht ihr die Stiefel aus und ich hülle sie in die Bettdecke ein. Carolin öffnet nicht mal mehr die Augen.

      Ich streiche ihr die Haare zurück und hauche ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr Gesicht verliert alle Anspannung und sie scheint zu wissen, dass ich da bin. Die Decke noch ein Stück höher ziehend, lasse ich sie schlafen, etwas dadurch beruhigt, dass sie zumindest meine Nähe als beruhigend empfindet.

      Ellen und Daniel warten in der Küche auf mich. Daniel kocht uns einen Kaffee und Ellen steht an den Küchenschrank gelehnt. Sie sieht mir entgegen und ich raune: „Sie schläft. Das ist gut. Auch ohne Beruhigungsmittel.“ Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen.

      „Dass das Carolins Bruder ist“, meint Daniel fassungslos. „Und ich habe ihm auch noch gesagt, wo wir immer hingehen. Ich habe keine Sekunde damit gerechnet, dass der Carolins Bruder sein könnte.“

      „Wie solltest du das auch wissen? Der sieht Carolin überhaupt nicht ähnlich“, versucht Ellen ihn zu beruhigen und ich kann das nur bestätigen. Ich hatte mich schon einmal gefragt, wie Carolin an Tim geraten konnte. Er ist mit seinen schwarzen Haaren und dunklen Augen so ganz anders als Marcel … und ich. Aber jetzt wird mir klar, dass sie mit diesem dunklen Typus aufgewachsen war. Mit diesem Schönlingsverschnitt.

      Ich sehe Ellen an und würde sie gerne fragen, wie sie Julian findet. Aber das kann ich natürlich nicht machen, wo Daniel neben uns sitzt. Und es gibt weitaus Wichtigeres. Wie kann ich Carolin vor ihm beschützen?

      Wir trinken unseren Kaffee und Daniel erzählt uns genau, wie Julian ihn in der Uni ansprach und mir noch, wie Julian sich plötzlich Carolin auf der Tanzfläche gegriffen hatte und sie sich versuchte, aus seinem Griff zu winden. Ich kann fast fühlen, wie sie sein plötzliches Auftauchen erschreckt haben muss und wie entsetzt sie gewesen sein muss, als er sie an sich zog. Mir stellen sich die Nackenhaare bei dem Gedanken auf, dass sie völlig in Panik gewesen sein muss. Und ich hatte mich draußen von diesem Blödmann aufhalten lassen.

      Ich bekomme von Ellen und Daniel auch noch den weiteren Verlauf des geschwisterlichen Zusammentreffens geschildert, bis zu dem Punkt, als ich Julian ausbremste … und bis drei Uhr am Morgen besprechen wir, wie wir Carolin am besten vor ihm beschützen können. Dann verabschieden sich Ellen und Daniel, und Ellen drückt mich sogar. „Ruf an, wenn du uns brauchst. Jederzeit.“

      Ich nicke nur und hoffe, das wird nicht notwendig werden.

      Alle Lichter löschend, gehe ich zu Carolin, ziehe meine Hose und mein T-Shirt aus und schiebe mich vorsichtig unter die Decke. Ich will sie auf keinen Fall wecken. Sie muss schlafen, bis all ihre Ängste und ihr Kummer an Kraft verloren haben.

      Das Wetter schlägt um und es beginnt zu regnen. Ich höre das Prasseln der Regentropfen an der Fensterscheibe und bin müde. Aber immer wieder schieben sich die Ereignisse des Abends in meinen Kopf und lassen mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Und zu diesen Gedanken gesellen sich auch noch die an Sam, Teddy und Walter und wie ich einen Moment glaubte, sie würde mich wegen denen verlassen, und dass ich vorher tagelang von einer Unsicherheit getrieben mir nicht sicher war, ob ich überhaupt bei ihr bleiben möchte. Und irgendwo dazwischen gab es auch noch so etwas wie eine Einsicht, dass ich, weil ich sie aus ihrem alten Leben riss, um sie an mich zu binden, eine Verantwortung für sie habe.

      Carolin ist sechs Jahre jünger als ich. Ich muss sie beschützen und meine Verantwortung für sie ernst nehmen. Und ich werde das auch. Sie zu verlieren ist für mich erneut undenkbar und ich spüre nun, dicht an ihren warmen Körper gedrängt, dass ich Julian eigenhändig den Hals umdrehe, wenn er ihr noch einmal zu nahekommt oder sie wegen ihm ganz zusammenbricht.

      Vielleicht war ich zwischendurch weggenickt. Aber ich habe das Gefühl, gar nicht geschlafen zu haben, als Carolin neben mir erwacht. Sie hatte sich in der Nacht immer wieder aus meiner Umarmung gestohlen und war auch immer wieder dorthin zurückgekehrt, ohne wirklich wach zu werden. Sie hatte sich dann an mich geschmiegt und einmal hörte ich sie ganz deutlich meinen Namen raunen. Es war kein Rufen, sondern ein Seufzen, als wäre mein Name für sie wie ein Segen. Das hatte mein Herz erwärmt.

      Fast die ganze Nacht ließ ich mein Leben Revue passieren und wog es mit meiner Zeit mit ihr auf. Daniel hat recht, sie ist das Beste was mir je passiert ist.

      Jetzt dreht sie sich zu mir um, sich leicht aus meiner Umarmung windend und sieht mir direkt ins Gesicht.

      „Hey, wie geht es dir?“, frage ich sie beunruhigt.

      „Ich bin in Ordnung“, antwortet sie mir und ich weiß nicht, wie weit ich ihr glauben kann. „Aber ich bin ganz nassgeschwitzt. Poor, die Hose ist so warm“, murmelt sie.

      „Ich wollte dich auf keinen Fall wecken. Ich war so froh, dass du geschlafen hast.“

      Carolin lässt ihre Hand über meine Wange gleiten und sie sieht mich besorgt an. „Hast du gar nicht geschlafen?“, fragt sie.

      Ich schüttele den Kopf: „Kaum.“

      Sie schlägt die Decke zurück, deckt mich aber wieder fürsorglich zu und beugt sich in das Bett zurück, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. „Schlaf ein bisschen. Mir geht es wirklich gut. Ich gehe duschen und komme dann wieder zu dir. Bleib einfach liegen“, raunt sie und ich sehe sie unsicher an. „Komm, schlaf. Du hast über meinen Schlaf gewacht und wenn ich gleich wieder da bin, wache ich über deinen Schlaf. Das nennt man Arbeitsteilung“, sagt sie grinsend und will mir ein gutes Gefühl vermitteln, das sich bei mir nach dieser Nacht aber nicht so einfach einstellen will. Aber ich bin erschöpft und spüre jetzt, wo es ihr scheinbar bessergeht, die Müdigkeit und Erschöpfung durch meine Adern kriechen. Ich lasse mich wieder ins Kissen fallen und sie verlässt das Schlafzimmer. Doch ich will nicht schlafen. Besorgt lausche ich auf