Saisonvorbereitung mit Seitensprung. Uwe Berlin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Berlin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738073133
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dort ist ganz elementar. Aber wir müssen uns auf unsere Kernthemen besinnen: Atomkraft und Afrika.“ „Mh“, machte David, mangels weiterer Einfälle. Es gab Augenblicke, da bekam er etwas Angst vor seinem Vater. „Und du, mein Sohn?“, sein Vater zwinkerte ihm hinter dem Rauch seiner Zigarette zu. Er konnte Wörter wie Sohn, Vater oder Mutter nie ohne Zwinkern aussprechen. „Ich fahr am Wochenende zur Saisonvorbereitung nach Laboe.“ David wusste, dass er sich nun wieder auf dünnem Eis bewegte. „Ach so, mit dem Tennis…“, Wolfgang stieß den Rauch durch die Nase. „Ja mit dem Tennis“, wiederholte David. Irgendwie hatte es ja etwas Putziges. `Wenn er nicht mein Vater wäre…´. Immerhin hatte sein Vater selbst bis zu seinem 18. Lebensjahr Tennis gespielt. Gezwungener Maßen, wie er immer betonte. Die bösen Eltern. Als Oma später dann den kleinen David zum Tennis fuhr, war Wolfgang nicht eingeschritten. Der Junge sollte selbst entscheiden. Die Enttäuschung kam erst, als David gerne zum Training ging und schnell die ersten Erfolge erzielte. „Das hatte ich grad gar nicht gemeint. Ich meine dein Studium, wie läuft´s?“ David suchte die Augen seines Vaters. Es war Zeit für das „Wer-zuerst-wegguckt-Spiel. Selten genug, dass sein Vater so direkt nach dem Studium fragte. `Warum gerade jetzt? Will er mich provozieren, weil ich meine Zeit mit Tennisspielen verbringe oder weiß er was?´ „Es läuft“, antwortete David nicht wahrheitsgemäß und fügte ehrlicher hinzu: „Es ist langweilig und trocken. Ich hasse es.“ „Ich habe deinen Ansatz immer bewundert“, erklärte Wolfgang mit konzentrierter Stimme. „Die Dinge verstehen, um sie verändern zu können, erscheint mir sehr sinnig.“ „Ja“, nickte David, „das nennt man mit den Wölfen heulen...“ Wolfgang blickte ihn skeptisch von der Seite an. „Nein, ich glaube, das Bild passt da nicht.“ David schluckte. „Mit den Wölfen heulen, um sie dann zu erschießen, besser?“ Wolfgang wiegte nachsichtig den Kopf hin und her. „Zum Schießen hab ich dich eigentlich nicht erzogen.“ „War auch nur ein Bild“, beschwichtigte David. Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, seinem Vater zu erklären, dass er mit seinem Plan gescheitert war. Er hielt das BWL Studium nicht mehr lange durch. Zu allererst deswegen, weil er den Sinn der mathematischen Formeln nicht begriff, aber auch weil seine Eltern ihn nicht dazu erzogen hatten, Frauen mit Sonnenbrille und Poloshirt heiß zu finden. Aber er musste sich auch noch das Wochenende finanzieren. `Nicht das erste Mal, dass Tennis mich vom richtigen Pfad abbringt.´ Das hätte wohl auch Wolfgang bestätigt. David sah sich als Kind den Tennisschläger aus dem Knick ziehen. `Gibt wohl nicht viele Kinder, die lügen müssen, um zum Sport zu gehen! Aber Schwamm drüber. Nobody is perfect.´ „Wo wir gerade dabei sind“, räusperte sich David, „ich könnte etwas Geld gebrauchen.“ Sein Vater hob eine Augenbraue: „Ach, waren wir gerade dabei?“ „Na ja“, lächelte David demütig, „sozusagen für den Kampf im Untergrund.“ Wolfgang zog einen letzten Zug an der Zigarette und drückte sie dann gekonnt mit einem Finger vor sich auf der Steinplatte aus. Vermutlich fragte er sich gerade intensiv, ob er da eine Ironie nicht verstanden hatte. „Du hast Recht“, sagte er dann, „wir befinden uns alle in einer Art Kampf. Ich habe mich immer für den stillen und gewaltfreien Weg entschieden, selbst damals in Brokdorf war ich nicht bei den Steinewerfern.“ Er blickte zu den übriggebliebenen Fünf seiner Mahnwache. „Möge es der richtige Weg gewesen sein.“ David hätte ihm nun auf die Schultern klopfen und beglückwünschen können: Wolfgangs Krieg war fast geschlagen. Wie es aussah hatte er ihn sogar gewonnen. `Fokushima sei Dank ist jetzt auch bei uns bald Schluss mit dem Irrsinn´, freute sich David. Er sah zu den Freunden seines Vaters hinüber. Waren es wirklich Freunde oder auch nur eine Art von Vereinskumpeln? Er stellte sich die übriggeblieben vier in weißen Tennisklamotten mit Schlägern unterm Arm vor. `Auch beim Tennis gibt es komische Vögel. Einige sind sogar genauso ungekämmt. Fangt doch alle mal mit Tennis an! Meint ihr wirklich eurer Plakat Fukoshima ist überall glaubt hier jemand? Bei der Erdbebenrate…´ Andererseits gab es keinen Grund, das Hobby zu wechseln. Im Gegenteil: Diese Männer und Frauen standen im Höhepunkt ihrer Karriere. Sie konnten zeigen, dass sie es von Anfang an gewusst hatten. Wer kann das schon! `Aber was dann?´, überlegte David, `Windenergie ist ne super Sache, die aber bald genauso viele Wutbürger auf die Straße rufen wird, wie Stuttgart 21, wenn die Windräder direkt vor den Haustüren stehen oder die Leitungen durch den Vorgarten führen. Braunkohle ist scheiße. Ihr seid ja nicht mal bei der SPD. Wie wärs mit Solarstrom aus der Sahara oder Wasserkraft aus Norwegen? Oder erfindet die neue Computerenergie. Könnt ihr nicht. Keine Zeit. Ihr demonstriert ja in Hamberge gegen den Erzfeind gespaltener Atom. Außerdem habt ihr keine Ahnung, wie es im Leben läuft.´ David gab seinem Vater einen leichten Klapps auf die Schuler. 100€ waren eine Menge Geld. `Warten wir ab, bis ich ein neues Racket brauche. Dann werd ich richtig zärtlich´, dachte David. Er konzentrierte sich wieder auf seinen eigenen Überlebenskampf. Wolfgang zog sein schmales ledernes Portemonnaie aus der Gesäßtasche, schlug es auf und zog einen 50€ Schein heraus. `Der Kampf ist noch nicht zu Ende´, stöhnte David innerlich. Er musste ins Private gehen. „Hab ich dir schon erzählt, dass ich eine Freundin habe?“ Wolfgang zog die Augenbrauen in die Höhe und behielt das Portemonnaie glücklicherweise in hab Acht Stellung. „Das freut mich für dich“, sagte er mit einem ehrlichen Lächeln und setzte hinzu: „Ich könnte dir jetzt einen Vortrag halten, dass Waltraud und ich in deinem Alter schon seit sechs Jahren zusammen waren und das in Zeiten der freien Liebe. So hätte es mein Vater gemacht.“ David schüttelte den Kopf: „Die freie Liebe hätte Opa wohl nicht erwähnt.“ `In Sachen Vorträge stehst du Opa sowieso in nichts nach´, dachte David. „100 reichen?“, erkundigte sich Wolfgang. „Auf jeden Fall“, David tippte zum Dank mit dem Zeigefinger gegen sein Basecap. Eine halbe Stunde später fuhr er in den Kreisel vor dem Holstentor ein. Das Handy surrte. Sobald er den Kreisel in Richtung Innenstadt verließ, sah er nach, wer sich gemeldet hatte. Eine SMS von Niki. Sie seinem Vater gegenüber als Freundin zu bezeichnen war etwas hochgestochen gewesen. Sie kannten sich seit zwei Wochen. Niki war 20, Hairstylistin mit einem Arm voller Tattoos, fünf Ohrringen an einer Seite und zwei Nasenpearcings. Er fand sie sexy, ohne Frage. Aber Freundin….? „Ich warte auf dich.“ David meinte zu ahnen, was das bei Niki bedeutete. Bei einer Freundin hätte er sich nach dem schweren Gib-mir-Geld-Match erholen können. Er hätte in ihren Armen auf dem Sofa gelegen und ihr erzählt wie deprimierend alte Menschen hinter einem Banner mit roter Grinsesonne auf ihn wirkten. Dann hätte er mit ihr über Atomkraft diskutieren können und sie wären sich am Ende einig, wie gut es war, dass ihre Generation dieser Technologie in den Arsch trat. Möglicherweise hätten sie dann noch im Internet nach alternativen Energieformen gegoogelt. Nur um auf dem Laufenden zu bleiben. Dabei hätten sie Wein getrunken oder sie hätten auch nur zusammen ferngesehen und dabei Wein getrunken. Vielleicht hätten sie auch Tee getrunken, wenn seine Freundin, die ihn vorher getröstet hatte, davon traurig geworden und nicht in Alkoholstimmung wäre. Im Bett hätten sie dann trotzdem noch gefickt, weil er morgen für ein paar Tage weg fuhr. So war es zumindest mit Tanja gewesen. Seiner Pomeranze vom Dorf. Aber das war einmal. Niki erwartete ihn nicht. Doch die Wohnungstür stand offen. Aus ihrem Wohnzimmer drang lautes Stöhnen. David blieb zunächst unschlüssig im Flur stehen. Eigentlich war die Sache damit ja beendet. Warum alles in der Welt, lässt man die Wohnungstür dabei geöffnet? `Vielleicht ein Nachbar, der sie überrascht hat? Beim Sms-Schreiben?´ David hatte wenig Lust auf eine peinliche Begegnung, aber irgendwie wollte er, dass Niki wenigstens wusste, dass auch er es wusste. Während er langsam die Wohnzimmertür öffnete, hörte das Stöhnen auf und eine Männerstimme befahl: „Dreh dich um, Bitch!“ Vielleicht war Niki in Gefahr? Der Gedanke war ebenso absurd, wie das was sich hier abspielte. Er hatte ja keine Vorurteile gegenüber 20-jährigen Haarstylistinnen. Auch nicht gegenüber tätowierten Haarstylistinnen. Niki hatte Erfolg in dem was sie tat. Sie hatte eine abgeschlossene Ausbildung und arbeitete bei dem angesagtesten Frisör der Stadt. Auch irgendwas beim Studio Hamburg war sie am Machen. Eine Bilanz, die David selbst nicht aufbringen konnte. Vierter im Hauptfeld der Landesmeisterschaften der Herren. Vielleicht wär er weiter gekommen, wenn seine Sparringspartner nicht alle Bezirksliga spielen würden. Aber das war nicht der Punkt. Der Punkt war, dass er über Freizeitsport redete. In Wirklichkeit ging es aber um Karriere, Knete und Besitz und um ein Können, dass einem Knete und Besitz einbrachte. Er hörte wieder ein Stöhnen. Diesmal eine Frau und ganz eindeutig Niki. David stieß die Wohnzimmertür ganz auf. Vor ihm lag Niki auf einem großen Kissen, nackt mit gespreizten Beinen, in deren Mitte ein großes Etwas steckte. Hinter ihr lief auf einem 110 Zoll Fernseher ein Porno. `Den Fernseher hat sie sich von ihrem 1. Gehalt gekauft´, erinnerte sich