4. Geschichte: Der Weihnachtsmarkt
Emden im Dezember im leichten Schneegriesel am Weihnachtsmarkt am Hafen, genauer gesagt in der Straße ‚An der Unteren Hafenmole’, hatte etwas Märchenhaftes und Beschauliches. Die Dämmerung hatte eingesetzt und so war das Ambiente mit den Punschgerüchen des Glühweines, der Zimtstangen und duftenden Weihnachtskeksen so richtig kommod. Die unzähligen Stände boten allerlei Weihnachtliches feil.
Die Menschen schoben sich schon seit dem frühen Nachmittag durch die Budengassen, blieben in Gruppen stehen und unterhielten sich. Die Glühweinstände waren an diesem letzten Tag vor dem Heiligen Abend besonders gut besucht und man musste schon einiges an Geschick mitbringen, wenn man die bepfandeten Glühweinbecher über die Köpfe der anderen durstigen Weihnachtsmarktbesucher hinweg heil vom Stand ohne ein Überschwappen zu seinen Arbeitskollegen bringen wollte. Die Besucher waren voller weihnachtlicher Vorfreude, die mit dem wohlschmeckenden Glühwein mit einem Schuss Rum oder Amaretto wunderbar untermalt wurde.
Es war kalt und von der Nordsee kam ein eisiger Wind in Schüben, der die Wohlgerüche des Marktes sanft in die Gassen wehte. So hatten auch die Anwohner, wenn sie denn das Fenster kurz öffneten, etwas von dem Weihnachtsmarkt in Emden.
Eine Gruppe war am Stand besonders ausgelassen. Sie sangen bereits leicht alkoholisiert Weihnachtslieder und der Wirt vom Stand sah immer wieder in Abständen nach, ob dort alles in Ordnung war und es keinen Streit gab. Er hatte auch Angst um seine teuren Becher, die das Pfand nicht annähernd ersetzen würden, falls einer dieser Becher zu Bruch ginge. Der Gast würde sich wohl mehr grämen, wenn sein Becher mit dem gut riechenden und heißen Gesöff auf dem Boden entzwei ginge. Die Stimmung war gut und hier an seinem Stand standen ungefähr zwanzig lustige und zum Teil beschwipste Menschen mit vom Glühwein roten Wangen und gelockerten Zungen. Wenn man den Versuch unternahm, ihren vielen, gleichzeitig geführten Gesprächen zu folgen, war man zum Scheitern verurteilt. So war es wohl beim Turmbau zu Babel zugegangen. Doch dass sich diese Gruppe streiten oder gar, wie es woanders schon vorgekommen war, sich mit bösen Taten an die warmen Jacken und Mäntel gehen würde, war eher nicht zu erwarten.
Es waren Beamtinnen und Beamte der Kriminalpolizeiinspektion aus dem nahen Oldenburg, die wie jedes Jahr einen Bus zum Weihnachtsmarkt in Emden organisiert hatten. In diesem Jahr hatte die Polizeipräsidentin von Oldenburg, Frau Anke Weintraut, ihre Kollegin, die Polizeipräsidentin aus Bremen, Frau Sieglinde Hartkopf, eingeladen.
Aus der Gruppe hatten schon reihum die Kollegen jeder einmal eine Runde Glühwein spendiert und als die Polizeipräsidentin aus Bremen Anstalten machte, die Becher zu sammeln und die nächste Runde ausgegeben wollte, bemerkte freundlich, aber bestimmt ihrer Kollegin aus Oldenburg: „Nein, nichts da, Frau Hartkopf, Sie sind mein, nein, unser lieber Gast und Sie lassen sich heute verwöhnen. Ich gebe im Namen der Polizeiführung aus Oldenburg einen aus! Wer kommt mit und hilft mir die Becher zu tragen?“ Es meldeten sich mehrere Kollegen und unter einem Hallo wurden die Glühweinbecher in die Mitte gereicht und auf ein Tablett gestellt. Frau Weintraut und zwei Beamte der Drogenfahndung liefen den kurzen Weg zum Tresen hinter ihrer Chefin her. Sie mussten hinter einer Traube von Fußballfreunden warten, bis diese laut singend mit ihren Glühweinbechern zu ihrem Tisch gezogen waren. Frau Weintraut rief der Bedienung laut die Zahl der Glühweinbecher zu und da diese quasi im Tausch waren, entfiel eine erneute Pfandberechnung.
Als sie wieder an ihren Tisch kamen, wurden sie mit lautem Gegröle und Klopfen auf den runden Tisch empfangen. Das Klopfen auf den Tisch erinnerte Frau Hartkopf an ihre Studienzeit in Bremen. Es wurde zugeprostet und der dampfende Glühwein wurde als besonders lecker und schmackhaft gelobt. Frau Sieglinde Hartkopf hob den Becher und sprach auf die Kollegin aus Bremen einen Toast aus. Sie stießen mit den Bechern an, lachten und waren allesamt ausgelassen und fröhlich.
Frau Weintraut klackte ihren Becher heftiger als sonst an den Becher von Frau Hartkopf, wobei etwas Glühwein auf ihre Hand schwappte. Sie entschuldigte sich sofort für ihre Ungeschicklichkeit und holte aus der Manteltasche ein Herrentaschentuch aus Leinen und tupfte damit die Hand der Kollegin trocken. Diese bedankte sich: „Ist nicht so schlimm.“ Als sie das Taschentuch einsteckte, stieß die Runde singend einen lauten Trinkspruch aus und Frau Hartkopf aus Bremen lauschte fasziniert dem Text. Sie sangen eine ganze Weile, und Frau Hartkopf versuchte, bei dem nächsten Lied mitzusingen, sie wollte sich zumindest den Refrain merken.
Plötzlich fiel ihr halbvoller Glühweinbecher aus der Hand auf den Tisch, zerbrach und der heiße Glühwein bahnte sich auf der Fläche den Weg zum Rand, um dann auf den Boden zu tropfen. Sie rang nach Atem und versuchte, sich den warmen Schal vom Hals zu ziehen. Wie von einer Sichel gefällt sackte die Polizeipräsidentin aus Bremen in den Kniekehlen ein, fiel krachend erst mit dem Oberkörper auf den runden Glühweintisch, riss eine große Schale mit Erdnüssen um und rutschte samt einem Schwall von Erdnüssen seitwärts vom Tisch auf den Boden.
Es war mucksmäuschenstill, keiner sagte ein Wort, auch kein Aufschrei war zu hören. Sofort beugte sich Anke Weintraut auf den Boden und sprach ihre Kollegin an: „Was ist, Frau Hartkopf, können Sie mich hören?“ Nun gingen mehrere Beamte in die Hocke und legten die ohnmächtige Polizeipräsidentin von Bremen in die stabile Seitenlage. Eine noch am Tisch stehende Kollegin zog ihr Handy und rief die Feuerwehr an: „Bitte kommen Sie schnell, wir brauchen einen Notarzt zum Weihnachtsmarkt in Emden am Hafen. Wir stehen hier ungefähr auf der Höhe des großen Weihnachtsbaumes, so ziemlich in der Mitte des Marktes. Wir sind alle Polizeibeamte aus Oldenburg. Von der Straße werden die Kollegen Sie einweisen.“ Schon liefen einige Beamte durch die Menge, die jetzt wohl mitbekam, dass hier etwas passiert sein musste. Einer von den Fußballern grölte: „Wenn ihr keinen Glühwein abkönnt, trinkt doch einfach nur Kinderpusch.“ Seine Kollegen lachten und grölten: „Macht die Becher voll, macht die Becher voll, wir haben Durst.“
Mareke Menke hatte heute frei. Sie saß im Wellnessbad an der Wilhelmshavener Straße, genoss mit einem Glas alkoholfreien Cocktail und einem guten Buch die schöne Zeit im Bad, als aus ihrer Badetasche das wohlbekannte Klingelgeräusch kam und sie dezent aufforderte, das Gerät aus der Tasche zu holen und das Gespräch anzunehmen. Vor dem Drücken des grünen Hörersymboles sah sie auf das Display und wurde unruhig. Diese Telefonnummer kannte sie zur Genüge, es war ihre direkte Vorgesetzte, Frau Polizeirätin Jelte Oltmanns.
„Mareke Menke. Hallo, Frau Oltmanns.“ „Bitte entschuldigen Sie, ich weiß, dass Sie frei haben. Aber auf dem Weihnachtsmarkt an dem Glühweinstand an der großen Weihnachtstanne haben wir einen Notfall. Dort ist jemand zusammengebrochen. Aber deswegen würde ich Sie nicht behelligen, wenn diese Person nicht die Polizeipräsidentin von Bremen wäre, die mit der Polizeipräsidentin aus Oldenburg und einer Reihe von Kripoleuten dort feierten. Was ich eben als ersten Lagebericht von den Kollegen bekam, ist, dass die Kollegin aus Bremen am Glühweintisch stand, wo alle Lieder sangen, als Frau Hartkopf krampfte, nach Luft rang und tot seitlich vom Tisch fiel.“
Mareke traute ihren Ohren nicht und sagte zögernd: „Oh, ha, normalerweise würde ich sagen, da war wohl ein Becher Glühwein mit Schuss zu viel. Aber hier bei den Kollegen, ich weiß nicht, obwohl da gibt es auch einige darunter, die dem Alkohol nicht abhold sind.“ Frau Oltmanns lachte auf: „Da sagen Sie etwas Richtiges, obwohl das keiner hören will. Bitte kommen Sie zum Tatort. Ich habe schon mit Frau Kaufmann gesprochen, die ist auch auf dem Weg dorthin. Sie möchten nach Absprache in unserem Haus ermitteln, diskret natürlich. Der Oberstaatsanwalt Großerjahn besteht darauf. Er will vorbeugen, dass uns die Presse nicht rupft.“
Mareke stand von der warmen Liege auf, das rote Licht an der Decke war richtig warm, klemmte beim Einpacken das Handy an ihr rechtes Ohr. „Klar, ich bin im Wellnessbad und packe schon meine Sachen zusammen. Ich bin gleich dort.“ Sie drückte den roten Hörer und rief ihre Assistentin, Frau Heist, an, die mit ein paar Freunden an der Bar eines Kinos saß und auf den Einlass zum Film wartete. „Hallo, Frau Heist, ich brauche Sie dringend auf dem Weihnachtsmarkt.“ Als Mareke ihr mit dürren Worten den Sachverhalt erzählte, meinte Marlies trocken: „Da