Winnetou. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752992748
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bei diesen Worten forschend an. Als er mein Gesicht ruhig bleiben sah, fragte er:

      »Erschrecken Sie da nicht?«

      »Nein.«

      »Aber ein böses Gewissen! Bedenken Sie doch!«

      »Pah! Sie sind kein Dieb, kein Mörder gewesen. Einer niedrigen Gesinnung waren Sie nie fähig.«

      Er drückte mir die Hand und sprach:

      »Ich danke Ihnen herzlich! Und doch irren Sie sich. Ich war ein Dieb, denn ich habe viel, ach so viel gestohlen! Und das waren kostbare Güter! Und ich war ein Mörder. Wie viele, viele Seelen habe ich gemordet! Ich war Lehrer an einer höheren Schule; wo, das zu sagen, ist nicht nötig. Mein größter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt zu haben, bis auf das Tüpfel nachweisen zu können, daß der Glaube an Gott ein Unsinn ist. Ich war ein guter Redner und riß meine Hörer hin. Das Unkraut, welches ich mit vollen Händen ausstreute, ging fröhlich auf, kein Körnchen ging verloren. Da war ich der Massendieb, der Massenräuber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen tötete. Dann kam die Zeit der Revolution. Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein König, keine Obrigkeit heilig. Ich trat öffentlich als Führer der Unzufriedenen auf; sie tranken mir die Worte förmlich von den Lippen, das berauschende Gift, welches ich freilich für heilsame Arznei hielt; sie stürmten in Scharen zusammen und griffen zu den Waffen. Wie viele, viele fielen im Kampfe! Ich war ihr Mörder, und nicht etwa der Mörder dieser allein. Andere starben später hinter Kerkermauern. Auf mich wurde natürlich mit allem Fleiß gefahndet; ich entkam. Ich verließ das Vaterland, ohne mich zu grämen. Keine liebende Seele weinte um mich; ich hatte weder Vater noch Mutter mehr, weder Bruder, Schwester noch sonstige Verwandte. Kein Auge weinte um mich, aber wie viele, viele wegen mir! Daran dachte ich aber gar nicht, bis diese Erkenntnis über mich kam wie ein Keulenschlag, der mich beinahe zu Boden streckte. Am Tage, bevor ich die schützende Grenze erreichte, wurde ich von der Polizei gehetzt, die mir hart auf den Fersen war. Es ging durch ein armes Fabrikdorf. Dem sogenannten Zufalle folgend, rannte ich durch ein kleines Gärtchen in ein armseliges Häuschen und vertraute mich, ohne meinen Namen zu nennen, einem alten Mütterchen und ihrer Tochter an, die ich in der niedrigen Stube fand. Sie versteckten mich um ihrer Männer willen, deren Kamerad ich gewesen sei, wie sie sagten. Dann saßen sie bei mir im dunkeln Winkel und erzählten mir unter bitteren Tränen von ihrem Herzeleide. Sie waren arm, aber zufrieden gewesen; die Tochter hatte sich erst vor einem Jahre verheiratet gehabt. Ihr Mann hörte eine meiner Reden und wurde durch dieselbe verführt. Er nahm seinen Schwiegervater mit auf die nächste Versammlung, und das Gift wirkte auch auf diesen. Ich hatte diese vier braven Menschen um ihr Lebensglück gebracht. Der junge Mann fiel auf dem Schlachtfelde, welches kein Feld der Ehre war, und der alte Vater wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Dies erzählten mir die Frauen, die mich, der an ihrem Unglücke schuld war, gerettet hatten. Sie nannten meinen Namen als den des Verführers. Das war der Keulenschlag, welcher mich, nicht äußerlich, sondern innerlich traf. Gottes Mühle begann zu mahlen. Die Freiheit war mir geblieben, aber im Innern litt ich Qualen, zu denen mich kein Richter hätte verurteilen können. Ich irrte hier aus einem Staate in den andern, trieb bald dies bald jenes und fand nirgends Ruhe. Das Gewissen peinigte mich aufs entsetzlichste. Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurück Gottes Hand. Sie leitete mich nach Jahren der Qual und der Reue zu einem deutschen Pfarrer in Kansas, der meinen Seelenzustand erriet und in mich drang, mich ihm mitzuteilen. Ich tat es zu meinem Glücke. Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden. Herrgott, wie danke ich dir dafür!«

      Er hielt inne, faltete die Hände und warf einen langen, langen, leuchtenden Blick zum Himmel empor. Dann fuhr er fort:

      »Um mich innerlich zu festigen, floh ich die Welt und die Menschen; ich ging in die Wildnis. Aber nicht der Glaube allein ist's, welcher selig macht. Der Baum des Glaubens muß die Früchte der Werke tragen. Ich wollte wirken, womöglich grad entgegengesetzt meinem früheren Wirken. Da sah ich den roten Mann sich verzweiflungsvoll sträuben gegen den Untergang; ich sah die Mörder in seinem Leibe wühlen, und das Herz ging mir über von Zorn, von Mitleid und Erbarmen. Sein Schicksal war beschlossen; ich konnte ihn nicht retten; aber eins zu tun, das war mir möglich: ihm den Tod erleichtern und auf seine letzte Stunde den Glanz der Liebe, der Versöhnung fallen lassen. Ich ging zu den Apachen und lernte es, mein Wirken ihrer Individualität anzubequemen. Ich habe Vertrauen gefunden und Erfolge errungen. Ich wollte, Sie könnten Winnetou kennen lernen; er ist so eigentlich mein eigenstes Werk. Dieser Jüngling ist groß angelegt. Wäre er der Sohn eines europäischen Herrschers, so würde er ein großer Feldherr und ein noch größerer Friedensfürst werden. Als Erbe eines Indianerhäuptlings aber wird er untergehen, wie seine ganze Rasse untergeht. Könnte ich doch den Tag erleben, an welchem er sich einen Christen nennt! Wo nicht, so will ich wenigstens bis zum Tage meines Todes bei ihm sein in jeder Anfechtung, Gefahr und Not. Er ist mein geistiges Kind; ich liebe ihn mehr als mich selbst, und wäre mir einmal das Glück beschieden, die tödliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so würde ich mit Freuden für ihn sterben und dabei denken, daß dieser Tod zugleich eine letzte Sühne meiner früheren Sünden sei!«

      Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefühl, als ob jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnisse trivial klingen müsse; aber ich nahm seine Hand in die meinige und drückte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte:

      »Woher es nur kommt, daß ich Ihnen dies erzählt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfügung, daß ich hier und jetzt mit Ihnen zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frühere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen höheren Willen zurückzuführen. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so wehe um das Herz, doch ist dies ›wehe‹ kein schmerzliches Gefühl. Eine ganz ähnliche Stimmung überkommt einen, wenn im Herbste die Blätter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume lösen? Leise, leicht und friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natürliche Zeit gekommen ist?«

      Er blickte wie in stiller, unbewußter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und Winnetou kommen. Sie saßen jetzt auf Pferden und führten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesichte und stierte zu uns herüber. Er hatte während der kurzen Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.

      Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreise beisammen.

      »Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?« fragte Intschu tschuna.

      Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:

      »Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.«

      Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Tone:

      »So lange warte ich nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.«

      Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:

      »Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.«

      Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.

      »Was, du willst keinen