Flarrow, der Chief – Teil 3. Lothar Rüdiger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lothar Rüdiger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847690146
Скачать книгу
abschließende Satz in Flarrows Bericht über die Ladekühlanlage lautete: „Da die bisherigen Betriebswerte des Elektromotors von Ladekühlkompressor I im normalen Bereich liegen, der Leck- und Spritzwasserschutz wirksam ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Verfügbarkeit von vier Kompressoren, entsprechend 100% installierte Kühlleistung, gegeben ist. (hz. s. Anlage: Kopien des Kühlmaschinentagebuches KMS ‚HILDEGARD‘; Reise mit Fisch von Las Palmas nach Vigo)“

      Das wird auch den Alten beruhigen, dachte sich Flarrow und zündete sich eine Zigarette an.

      Da klopfte es, und der E-Assistent trat ein. Er wäre nicht abgelöst worden. Von den Assistenten wäre keiner an Bord. Wie es denn nun weiter gehen sollte. „Haben Sie dem Wachhabenden Bescheid gegeben?“ – „Das sind Sie doch.“ Das stimmte natürlich. Flarrow sah auf die Uhr, es war schon fast ein Uhr morgens! „Und wann ist das letzte Boot von Land gekommen?“ „Das war kurz vor Mitternacht, da war aber meine Ablösung nicht dabei.“ Es gab natürlich die Möglichkeit, ein Boot zu mieten, wenn man das vom Schiff zur Verfügung gestellte und nach Fahrplan verkehrende Boot verpasst hatte. Ein solches Boot kam um ein Uhr. Die beiden Assistenten kamen aber auch mit diesem Boot nicht. Der Dritte kam zurück. Er hatte mit ein paar spanischen Fischerleuten den Abend im Hafenviertel, das bei Seeleuten besonders beliebt war, verbracht. Beide Assistenten waren allein weitergezogen. Flarrow fluchte, weil er in dieser Nacht Wachhabender war. Er konnte den E-Assistenten auch nicht länger in der Maschine behalten, denn der hatte ja auch schon mehr als zwölf Stunden Arbeit hinter sich. Der Dritte kam nicht infrage, weil er ja wachfrei war, der Zweite erst recht nicht. Wenn er also gerecht sein wollte, und das wollte er auch demonstrieren, blieb es an ihm hängen. „Gut“, sagte er zu dem E-Assistenten, „Sie gehen in die Koje oder wollen Sie noch an Land? Ich löse sie in zehn Minuten ab.“ Gegen drei Uhr kam ein Boot von Land. Der Wachhabende auf der Brücke rief deshalb Flarrow in der Maschine an und teilte ihm mit, dass keine Assistenten mitgekommen seien. Die erschienen am Morgen mit dem ersten regulären Boot so rechtzeitig, dass der für die Acht-Sechzehn-Wache eingeteilte Assistent pünktlich ablösen konnte. Der andere, der zur Ablösung um Mitternacht nicht erschienen war, meldete sich erst gar nicht, sondern schloss sich in seine Kammer ein und ging schlafen.

      Jan van Thaden traf überraschend gegen Mittag ein, und das Bild, das er bot, erinnerte Flarrow an seine Fahrzeit bei der Hochseefischerei. Jan war offensichtlich wieder in eine Auseinandersetzung geraten und sah entsprechend „abgerissen“ aus. „Viel zu früh, Jan“ sagte Flarrow; „Geld geklaut!“ kam es von Jan zurück. „Heute Abend Null-Acht-Wache?“ – „Ja, das mache ich.“ – „Na, dann hau dich aufs Ohr.“ Jan schlich davon.

      Flarrow fragte den Dritten, was denn an Land los wäre. Es wären die Mädchen, die die Seeleute gleich mit auf ihr Flat nehmen würden. Prostitution wäre das nur begrenzt. Natürlich würden die Seeleute die Feierei bezahlen. „Das ist schon ein toller Hafen hier. Hübsche Miezen, scharf wie Rettich; das Hafenviertel nicht weit weg und gute Liegezeiten. Was ja auch den Mädchen gefallen würde. Die Spanier sind knauserig, gehen kaum an Land, weil sie ja alle Familie haben, dafür sind wir Deutschen aber sehr beliebt.“ – „Wie das?“ – „Wir sind die besten im Bett.“ – „Na dann wird es ja wohl noch interessant werden in Kapstadt.“ – „Für mich nicht, ich muss sparen, für die Schule.“ – „Na gut, dann gehen Sie mal fleißig Hafenwache.“

      Flarrow freute sich über die Auslassventile, die keinerlei Beschädigung aufwiesen. Der Dritte reinigte sie, und nach einem kurzen Einschleifen wurden sie alle wieder eingebaut. Der Zweite, der das sah, schwieg dazu, wie er sich überhaupt immer mehr zurückzog und immer weniger aktiv war. „Was ich auch mache, es ist Ihnen ja doch nicht recht“, pflegte er zu sagen. Er ist eben urlaubsreif, dachte Flarrow. Ihm war das egal, denn er hatte den Zweiten längst als unfähig abgehakt.

      Der BBC-Monteur war pünktlich mit zwei Farbigen erschienen. Ein Engländer, und als Flarrow meinte, er hätte nur zwei Mann erwartet, sagte der: „Well, it’s me and these two guys; they count fifty percent each, Sir.” Flarrow warf ein Auge auf die Leute von BBC und sah, dass der Monteur die Arbeit machte. Die beiden Farbigen waren wirklich nur Hilfskräfte.

      Gegen sechzehn Uhr erschien der wachhabende Assistent bei Flarrow, weil sein Kollege, der inzwischen ausgeschlafen hatte, die Wache nicht übernehmen wollte. Der sagte, er hätte ja Null-Acht-Wache und wollte jetzt an Land. Das Boot ginge ja gleich. Flarrow machte ihm klar, dass die Wachen wegen ihm geändert werden mussten. Das Ergebnis sei, dass er jetzt die Abendwache hätte, die er umgehend anzutreten habe. Und dann kam die Frage, warum er gestern Abend zum Wachwechsel nicht an Bord war. Außerdem hätte er sich auch heute Morgen nicht zurück gemeldet. Kaltschnäuzig behauptete er, das Boot verpasst zu haben, und ein privates Boot sei ihm zu teuer, er hätte auch gar kein Geld mehr gehabt und im Übrigen müsse er jetzt los, denn sonst würde er ja das Boot verpassen. Flarrow machte ihm klar, dass dies Arbeitsverweigerung sei, welche zur fristlosen Kündigung führen könnte und was ein Flug nach Deutschland kosten würde. „Sie haben eine dienstliche Anweisung, sofort Ihre Hafenwache anzutreten.“ Dies sagte Flarrow natürlich in Gegenwart des Zweiten, der dem Assistenten gut zuredete, doch der drehte sich nur um und verschwand. Kurz darauf kam Jan an, mit dem sich der Assistent inzwischen abgesprochen hatte und erklärte sich bereit, die Abendwache zu übernehmen. Da er einen Ersatzmann vorweisen konnte, war ihm der Landgang nicht zu verweigern, und die schriftliche Verwarnung, die er am nächsten Tag wegen Überziehen des Landurlaubs bekam, regte ihn nicht weiter auf. Flarrow hatte verloren, und das sollte noch schlimme Folgen haben. Aber was sollte er tun? Dem Assistenten konnte man nicht viel anhaben, Gefahr war ja nicht im Verzug. Er hatte mit Jan einen Deal gemacht, der hier an Bord üblich war und den der Assistent nun ausnutzte. Außerdem hatte sich herumgesprochen, dass der Chief für Jan die Wache gegangen war. Das wurde von der Mannschaft als Schwäche ausgelegt und allgemein belächelt. In den nächsten Tagen lief das Bordleben wieder normal, Jan hielt sich an seine Abmachung, er war scharf auf Überstunden, um Geld zu verdienen und ließ die Finger vom Alkohol.

      Die Arbeiten an der Hauptmaschine liefen problemlos, so dass Flarrow Zeit fand, sich ein bisschen umzusehen. Es war später Nachmittag, als Flarrow an Deck kam. Er blickte hinauf zu dem gewaltigen Massiv des Tafelbergs, der, eingegrenzt von Devils Peak östlich und Lions Head westlich, wie ein Schutzwall vor der Stadt lag. Nebel zog sich auf dem über tausend Meter hohem Plateau zusammen und verdichtete sich sehr schnell. Und dann, nach einigen Minuten wälzte sich die Wolkenwand über die Plateaukante hinab auf die Stadt zu, deren Abwärme den Nebel genauso schnell wieder auflöste, wie er entstanden war. Es war das, was die Kapstädter das „Tischtuch“ nennen, das meist Regen ankündigt. „Ein tolles Schauspiel“, meinte der Alte, und da hatte er Recht.

      Abends ging Flarrow mit dem Ersten Offizier an Land. Sie fuhren hinaus zur Camps Bay, wo ihnen ein Restaurant empfohlen worden war. Es gab hervorragende Steaks mit reichlich Knoblauch und den berühmten roten Wein der Cap Region. Es wurde ein interessanter Abend auf der Terrasse des Restaurants. Der Erste fragte Flarrow nach seiner Zeit bei der Fischerei und wollte seine Meinung zur Überfischung der Meere hören. Zu meiner Zeit, meinte Flarrow, sprachen nur wenige von Überfischung. Niemand dachte damals daran, so weit im Süden zu fischen, wie heute. Die Bestände im Nordmeer reichten noch. Von Überfischung sprach man also nicht, obwohl sie bereits stattfand. Die Fischer wichen mit immer besseren Fangschiffen und neuer Ortungstechnik nach Norden in neue Fanggründe aus. Da für Frischfisch die Reisezeit zu lang wurde, begann man damit, einen Teil des Fangs zu frosten. Extrem leistungsfähige Kälteanlagen kühlten den frisch gefangenen Fisch innerhalb von sechs Stunden auf minus dreißig Grad Celsius herunter. Damit wurde er für lange Zeit lagerfähig und behielt dabei seine Qualität. Mit der Frosterei begann aber auch die Fischverarbeitung an Bord, denn man frostete ja nur Filets und nicht den kompletten Fisch. So entstanden Fabrikschiffe, die ihren gesamten Fang auf See verarbeiteten und gefrostetes Filet, Tran und Fischmehl anlandeten. Sie konnten leicht hundertfünfzig Tage auf See bleiben und in ferne Fanggründe entsandt werden, wie beispielsweise den Südatlantik. Die Überfischung würde auch hier kommen, die Frage war nur, wie lange die modernen Fangschiffe dafür brauchen würden. Über diesem Vortrag war es Abend geworden. Die Sonne versank im Meer, und mit der kurzen Dämmerung kamen die Sterne hervor, die schon bald vom nachtschwarzen Himmel herab funkelten.

      Ein Taxi