Jan van Thaden war an diesem Morgen nicht an Bord zurückgekehrt und hatte wiederum seine Wache nicht angetreten. Er wurde spät abends von der Polizei an Bord gebracht. Wegen einer Schlägerei hatte man ihn in Gewahrsam genommen. Nun saß Flarrow in der Tinte, denn er hatte Jan versprochen, ihn bei der nächsten Übertretung fristlos zu entlassen, und weil der Schmierer außerdem völlig betrunken war, konnte er ihn gar nicht ansprechen. Das Eis rauschte in Luke II, und am Abend liefen sie aus. In drei Tagen würden sie auf der Reede von Las Palmas / Gran Canaria ankern. Das Problem „Schmierer Jan van Thaden“ musste wohl oder übel auf die lange Bank geschoben werden. Die beiden Assistenten teilten sich die Abendwache des Schmierers und meckerten über ihn. Der Elektriker-Assistent gab sich viel Mühe mit der Demontage des Antriebsmotors von Kältekompressor I. Eigentlich lief alles gut, die Arbeit wurde leichter und weniger. Der Dritte war ein fleißiger Mann und hatte so ganz nebenbei seine Hilfsdiesel überholt, die nun mit neuen Laufbuchsen und Kolbenringen merklich besser liefen. Man konnte ruhiger schlafen auf „HILDEGARD“. Störungen und Ausfälle hatten stark abgenommen. Seit Kapstadt hatte es nur einen kurzen Stopper auf See gegeben!
Da begann ein Ing.-Assistent zu spinnen. Er trat in die Fußstapfen des abgelösten Elektrikers und fand in der Mannschaftsmesse sofort Trinkkumpane. Zunächst nahm der Zweite, der ihn drei- und viermal wecken lassen musste, das nicht ernst. Dem Chief wurde das nicht bekannt, weil der Zweite nicht darüber redete.
Auf der Reede von Las Palmas lag TS „GALICIA“, ein zum Fischereifabrikschiff umgebauter Passagierdampfer, der lange vor dem zweiten Weltkrieg im Nordatlantik und später auf der Südamerikaroute gefahren hatte. Dort ging „HILDEGARD“ längsseits, um ihre Ladung zu löschen.
Der zerlegte Elektromotor wurde von der Werft abgeholt und sollte nach zwei Tagen wieder zurück sein. Flarrow ging mit an Land, um die notwendigen Absprachen mit der Werkstatt zu treffen. Die war sehr gut ausgerüstet, was ihm schon in Vigo gesagt worden war. Flarrow musste den Spaniern klar machen, dass der Motor einen kompletten Probelauf unter Last absolvieren sollte, dann aber wieder auseinander gebaut werden musste und an Bord zu liefern war. Es dauerte, bis die Spanier das verstanden hatten.
In Luke II schaufelten Leute von der „GALICIA“ das Eis in die Körbe, die dann per Ladebaum auf das Fabrikschiff wanderten. Irgendwann standen sie alle im Wasser, weil offensichtlich das Schmelzwasser nicht mehr abgepumpt wurde. Das lag an den Sieben der Saugkörbe im Laderaum, die schon lange nicht mehr gereinigt worden waren. Der wachhabende Assistent behauptete, dass seine Pumpe saugte, und die Wachingenieure waren anderweitig beschäftigt. Deshalb kam es zur Überschwemmung im Laderaum. Als Flarrow wieder an Bord kam, war das große Palaver schon im Gang. Die Leute vom Fabrikschiff hatten keine Stiefel und das Wasser war eisig. An die Siebe war nicht mehr heranzukommen, dazu stand das Wasser zu hoch, eiskaltes Schmelzwasser, wie gesagt.
Flarrow musste bei dem spanischen Chief um eine mobile Pumpe bitten und die schaffte das Schmelzwasser schnell außenbords. Nach dem Löschen, wurde die Luke geschlossen und der Raum mit Warmluft beheizt. Sie sollten siebenhundert Tonnen Fisch für Vigo übernehmen, und da musste die Luke trocken sein, obwohl die Spanier drängten, denn das Eis sollte an die Frischfischfänger geliefert werden, die weiter im Süden fischten. Gab es eigentlich auf den Kanarischen Inseln keine Eisfabrik für die Fischerei? Während der Trocknungszeit nahm sich Jan freiwillig der Saugkörbe an. War da vielleicht ein bisschen Reue im Spiel? Da der Schmierer völlig pleite war, kein Geld mehr bekam und ihm niemand etwas borgte, gab es keine Probleme. Ohne Geld zog es ihn nicht an Land. Nach drei Tagen ging Flarrow mit dem E-Assistenten zum Probelauf des E-Motors an Land. Alles klappte, die Werkstatt hatte sehr gute Arbeit geleistet, auch, wenn das Ganze einen Tag länger als geplant gedauert hatte. An Bord wurde der Motor sofort montiert. Als alles fertig war, durfte der E-Assistent den Motor starten. Der tat andachtsvoll und zögerte, bis Flarrow ein „Na los, mach schon hin!“ sagte.
Damit hatte die Kühlanlage wieder ihre volle Kälteleistung, und es war nun kein Problem mehr, die Ladung auf minus zwanzig Grad zu halten, mit der sie in Vigo gelöscht wurde.
Die Ausreise führte über Dakar, wo es den Bunkerleuten wiederum nicht gelang, einen Overflow zu produzieren, nach Walvis Bay und Kapstadt.
In Walvis Bay wartete ein Trawler, der sein Fanggeschirr beim Fischen verloren hatte und nun ein neues bekam. Außerdem gab er seinen bisherigen Fang ab, was nicht viel war. Da blieb keine Zeit für einen Spaziergang durch die Stadt.
Kapstadt erreichten sie vormittags und machten an den Bojen im Victoria Basin an der Victoria & Albert Waterfront fest. Der erste Trawler wurde für den nächsten Morgen erwartet.
Mit Jan van Thaden hatte Flarrow eine Vereinbarung getroffen. Wenn Jan wollte, bekam er nach dem Einlaufen ein oder zwei freie Tage. Wenn er seinen Landgang beendet hatte, musste er allerdings bereit sein, zwölf Stunden Hafenwache zu gehen. Alternativ drohte der Sack bei der nächsten Verfehlung. Das würde in Kapstadt beispielsweise ganz schön teuer werden, denn er durfte in diesem Fall neben den eigenen auch die Flugkosten für seinen Ersatzmann bezahlen.
Jan war ein guter Mann auf See, zuverlässig und qualifiziert. Ein Typ, den man gut gebrauchen konnte, den man deshalb nicht gern verlieren wollte. Leider vergaß er an Land seine Pflichten vollkommen, begann immer zu trinken, geriet auch in Schlägereien und überzog regelmäßig seinen Landurlaub. Er ging immer allein an Land, ein einsamer Wolf, der nervös wurde, wenn er Vorschuss aufnehmen konnte und Land in der Nähe war. Vielleicht hatte er keine Familie, denn Post bekam er auch nie. Am Nachmittag meldete er sich für zwei Tage ab. Sein Guthaben war ihm auf seinen Wunsch hin ausbezahlt worden. Flarrow machte keinen Versuch ihn zu bremsen, weil er wusste, dass solchen Leuten damit nicht beizukommen war. Für den E-Assistenten bedeutete das für zwei Tage Hafenwache zu gehen.
Flarrow wollte weiteres Bunkern in Dakar vermeiden und fragte den Agenten nach den Möglichkeiten in Kapstadt oder Las Palmas, was in jedem Fall vom Charterer, der den gebunkerten Treibstoff bezahlen musste, zu genehmigen war. Der Agent würde also Rücksprache mit Vigo via TELEX nehmen und am nächsten Abend Bescheid geben. Außerdem sollte er einen Vertreter von BBC-Südafrika an Bord schicken, weil Flarrow die Proviantkühlanlage einer gründlichen Überholung unterziehen wollte. Der BBC-Mann erschien noch am Abend an Bord. Die entscheidende Frage war, ob es in Kapstadt alle erforderlichen Ersatzteile gab, und das war der Fall, denn dieser Anlagentyp wurde hier auch an Land, vor allem in Hotels eingesetzt. Morgen würde er zwei Mann schicken, die nicht mehr als zwei Tage für diese Arbeit benötigen würden. Das hörte sich gut an, denn nun hatte Flarrow Zeit, sich um die Hauptmaschine zu kümmern. Auf dem Arbeitsplan stand nämlich für diese Liegezeit die Inspektion aller Auslassventile, die nun schon über tausend Betriebsstunden ohne ein Versagen hinter sich hatten, der Wechsel eines weiteren schadhaften Kolbens und das Nachpassen von Kurbel- und Grundlagern. Da konnten sie eine lange Liegezeit, die der Agent schon angedeutet hatte, gut gebrauchen.
Die Reederei teilte mit, dass die Charter für „HILDEGARD“ wahrscheinlich in Vigo auslaufen würde. Die Möglichkeit, von deutschen Trawlern in der Antarktis Fisch nach Deutschland zu bringen, wäre gegeben. Man erwartete aber einen Bericht über den Zustand der Ladekühlanlage und Kopien des Kühlmaschinentagebuches, das es inzwischen auf „HILDEGARD“ gab, sobald als möglich, um der Frachtabteilung gegebenenfalls eine verbindliche Zusage machen zu können. Schließlich und endlich war das Urlaubsgesuch für den Zweiten Ingenieur genehmigt worden, man würde ihn in Vigo ablösen.
Der Alte kam herüber und fragte nach Flarrows Meinung hinsichtlich der Ladekühlanlage. Er wusste, wenn das Schiff die Zusagen der NTA – und die versprechen dem Charterer ja bekanntlich immer Gott und die Welt – nicht würde halten können, wäre sofort das Schiff im Obligo. Er dachte dabei natürlich an seine Erfahrung mit der explosiven Decksladung von New York. Flarrow lächelte, er würde den Bericht sofort fertig machen.
Hier zeigte sich die Problematik, in der Schiffsführungen in jener Zeit steckten. Da es genug Kapitäne gab, aber zu wenig gute Chiefs, würde man sich natürlich