Lange Zeit sei im 19. Jahrhundert die Ansicht verbreitet gewesen, giftige Ausdünstungen aus dem Boden („Miasmen“) würden Krankheiten verursachen. Anhänger dieser Theorie sei auch der Münchner Chemiker und Hygieniker Max von Pettenkofer gewesen. Dieser habe 1892 im Streit mit dem Berliner Mediziner Robert Koch, der die Choleravibrionen bereits 1884 in Indien identifiziert hatte, sogar eine Bakterienkultur geschluckt.
Anfangs seien sich wohl nur wenige Hamburger der drohenden Gefahr bewusst gewesen. Die Zeitungen berichteten nach Angaben von Evans über vereinzelte Todesfälle in den Vermischt-Spalten. Dann seien am 20. August 66 neue Fälle gemeldet worden, was zu Spekulationen und Gerüchten führte. Einen Tag später zeigten 113 Menschen Cholera-Symptome. „Weite Teile der Bevölkerung waren von Panik ergriffen“, zitiert Evans einen zeitgenössischen Beobachter. Mehrere zehntausend Hamburger verließen die Stadt. Der Senat bestätigte erst am 24. August, neun Tage nach dem ersten Toten, den Cholera-Ausbruch.
Ein Dienstmädchen erinnerte sich später: „Die Angst um die lieben Angehörigen, es könnte einer von dieser schrecklichen Seuche erfasst werden, und auch noch die Sorge um sich selbst, man könnte von Unwohlsein befallen werden, und würde dann erbarmungslos als choleraverdächtig zwischen diese Kranken gebettet werden (denn man konnte täglich solche Vorkommnisse lesen), versetzte einen in einen aufgeregten, fiebernden Zustand.“
Deinfektionstrupp
Weil sich die Hamburger Behörden der Lage nicht gewachsen zeigten, übernahm das Kaiserliche Gesundheitsamt die Führung. Der Berliner Bakteriologe Robert Koch sollte die Lage in Hamburg erkunden und schrieb am 25. August in einem privaten Brief: „Gestern bin ich den ganzen Tag unterwegs gewesen von einem Hospital zum anderen, im Hafen zu den Auswanderern und auf die Schiffe. Es war mir zu Muth, als wanderte ich über ein Schlachtfeld.“
Hamburg 1892: Cholerabaracke
Die Hamburger Gesundheitseinrichtungen sind im Nu überlastet. Es werden sogenannte Cholera-Baracken aufgebaut, von Pferden gezogene Fasswagen versorgen die Bevölkerung mit abgekochtem Trinkwasser, Desinfektions-Kolonnen versprühen in den Wohnungen der Erkrankten Karbol und Kalk. Handelspartner stellen Hamburger Schiffe und Warenlieferungen unter Quarantäne.
Auf dem Höhepunkt der Epidemie sterben bis zu 500 Menschen täglich an Cholera. Die Sargtischler kommen mit der Produktion nicht nach. Die Toten werden in aller Eile in Massengräbern auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Die Menschen sind in Panik und verzweifelt, es kommt aber zu keinen Unruhen. Evans erklärt das mit der damaligen Rolle der Hamburger SPD. Diese habe sich vorbehaltlos auf die Seite der Ärzte und Behörden gestellt. Die Parteizeitung „Hamburger Echo“ habe kritische Leserzuschriften gar nicht erst abgedruckt, sondern gleich an die Polizeibehörde weitergeleitet. Die Sozialdemokraten hätten auch alle ihre Veranstaltungen abgesagt, lange bevor öffentliche Zusammenkünfte offiziell verboten wurden.
Professor Hubert Wudtke schreibt in seiner „Geschichte des Elbdorfes Rissen“ (Band 84 dieser gelben Buchreihe):
Rotkreuz-Schwester Johanna Wolff
Johanna Wolf hat als Krankenschwester gearbeitet – oft bis zur Erschöpfung – insbesondere in den drei Schreckensmonaten der letzten großen Cholera-Epidemie 1892 in Hamburg: von den 16.000 Erkrankten sterben mehr als 8.600.
Hamburg 1892: Cholerabaracke
Sie schreibt: „Der Toten waren zuweilen so viel, dass sie gehäuft lagen unten in den Räumen der Keller; sie konnten nicht fortgeschafft werden, weil es an Wagen und Trägern mangelte und der Zuzug Kranker und Sterbender vor den Pforten wollte kein Ende nehmen... War ein Bett leer, so wurde es im Augenblick wieder besetzt; die wimmernden, sich krümmenden Menschen kamen nur hinein um zu sterben...
Wenn man die Kranken bei dem qualvollen Erbrechen und bei ihren sonstigen Bedürfnissen unterstützte, wurde man in Mitleidenschaft gezogen, bespritzt, verunreinigt. Was tat`s? Nur ein wenig Linderung schaffen, darauf kam es an...
Noch bis November sterben Menschen an der Cholera. Nach der Epidemie stellt Hamburg in großer Eile sein erstes modernes Wasserwerk fertig, das im folgenden Frühjahr in Betrieb geht. Die Sauberkeit des Trinkwassers und der Lebensmittel überwacht von nun an eine neue Einrichtung. Es ist das Hygiene-Institut, das heute die neuartigen Coronaviren testen kann.
Ein Brunnen, der die Göttin Hygieia zeigt, erinnert im Rathaus-Innenhof an die Cholera-Katastrophe.
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