Hoffnung
Nachdem Anna versorgt war, wendete sich Anita den anderen Probanden zu. Sie waren inzwischen auf dem Weg der Besserung. Angeblich könnten sie nach Hause gehen, wenn sie wieder gesund wären, aber Anita hatte noch nie mitbekommen, dass jemand entlassen wurde. Sie machte sich an die Arbeit. Allen musste Blut abgenommen werden, ihre körperlichen Symptome beschrieben, Verschlechterung und Verbesserung erfasst werden. Das dauerte wohl den ganzen Vormittag. Sie seufzte. Der Nachmittag gehörte den Auswertungen. Es würde wieder spät werden.
*
Sie hat mich Anna genannt, seit über einem Jahr habe ich das erste Mal wieder meinen Namen gehört. Ich bin sehr aufgewühlt, ein Teil meiner harten Schale will abbröckeln, aber das wäre nicht gut für mich. Mein Schweigen habe ich mir hart erarbeitet. Am Anfang habe ich geschrien, geweint, mich beschwert, die Zusammenarbeit verweigert und versucht mich zu wehren. Aber immer sind sie stärker gewesen. Sie haben mich sediert und gefesselt, eine ganze Zeit lang habe ich nur Nebel gesehen. Dann habe ich mich geändert, mich abgeschottet. Jetzt versuche ich es mit passivem Widerstand, ich lasse mir keine Reaktion entlocken.
Nur deshalb ist mir schon drei Mal die Flucht aus dem Labor gelungen, sie konnten einfach keinen Hinweis in meinen Verhalten sehen. Ich verhalte mich immer gleich, bekomme aber alles mit, hoffe ich jedenfalls. Der Mikrochip in meinem Nacken sorgt dafür, dass sie mich immer wieder finden. Ohne ihn wäre ich schon über alle Berge. Allein kann ich ihn leider nicht loswerden, er sitzt direkt an meiner Halswirbelsäule. Jemand müsste ihn operativ entfernen. Ich sehe zu Anita hinüber, wenn ich mich ihr öffne, könnte ich sie dann überzeugen mir zu helfen?
*
„Wo ist die Akte von Proband Nummer Acht?“ Professor Heilmann tauchte plötzlich vor Anita, die in ihre Arbeit vertieft war, auf. Der Chef ließ sich hier selten blicken.
Sie zuckte zusammen. „Äh, die habe ich mit nach Hause genommen, um sie zu studieren. Nummer Acht ist gegen alle getesteten Virenstämme immun, da dachte ich, dass aus ihrem Blut vielleicht ein Antiserum gewonnen werden könnte.“
Er sah sie empört an. „Mit nach Hause genommen? Ohne Genehmigung? Frau Dr. Parell, Sie müssen mich fragen, wenn sie eine Akte aus dem Hause entfernen, obwohl ihre Absicht löblich ist. Sie sind noch neu hier, aber es gibt Vorschriften!“ Er schien sich aufzuregen.
Sie wurde rot. „Entschuldigung, Herr Professor, es wird nicht wieder vorkommen. Soll ich die Akte holen?“
Heilmann überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Ich werde ihnen eine Genehmigung erteilen, vielleicht sehen Sie, mit frischem Blick, etwas, was unsere Mitarbeiter bis jetzt übersehen haben. Diese Nummer Acht ist etwas Besonderes, da lohnt sich bestimmt ein zweiter Blick. Aber für die Zukunft, keine Eigenmächtigkeiten mehr, verstanden?“ Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte, irgendwie seltsam.
Anita nickte. „Ja, Herr Professor, Danke!“ Sie atmete auf, als ihr Chef den Raum verließ, das hätte auch anders ausgehen können. Was wollte er andeuten? Anna sei etwas Besonderes? Wollte er ihr damit etwas sagen? Sie hatte es nicht so recht verstanden.
Sie warf einen Blick auf Anna, die an der Käfigtür stand und sie anstarrte.
„Was? Ach so, ich habe vergessen, dass Du nicht sprichst.“
„Anita?“ Die Stimme klang brüchig und leicht heiser, Anita erstarrte, Anna hatte ihren Namen gesagt, das erste Wort seit langer Zeit. Sie wollte sie nicht erschrecken. Vorsichtig näherte sie sich dem Käfig.
„Willst Du etwas wissen?“ Anna nickte. „Frag mich einfach, wenn ich kann, werde ich deine Fragen beantworten.“
Anna schien zu überlegen, aber gerade als sie sprechen wollte, ging erneut die Tür des Labors auf. Unwillig drehte Anita sich um, es war einer der Wachleute.
„Ich habe niemanden bestellt!“
Der junge Mann starrte erst Anna an und wendete sich dann wieder Anita zu.
„Ich wollte nur sehen, ob es diesem Versuchsobjekt gut geht...“ Dann sah er wieder an ihr vorbei, er konnte seinen Blick kaum vom Käfig abwenden.
Merkwürdiges Verhalten, dachte Anita. „Warum? Was interessiert Sie an Nummer Acht?“ Sie wunderte sich.
Er gab sich einen Ruck. „Nichts Bestimmtes, ich werde wieder gehen.“ Er machte Anita verstohlen ein Zeichen, ihm zu folgen, drehte sich um und verschwand wieder. Sie wechselte einen Blick mit Anna und folgte dem Wachmann neugierig nach draußen. Was wollte er?
Sie ging auf ihn zu, er nahm sie am Arm und zog sie in eine Ecke.
„Das ist ein toter Winkel der Kamera, ich muss dringend mit Ihnen reden, heute Abend im Park?“ Sein Ton war leise und eindringlich.
Sie zog an ihrem Arm. „Was soll das? Lassen Sie meinen Arm los.“ Zischte sie.
Er sah sie ernst an. „Entschuldigung, aber es ist wichtig, bitte!“ Anita schaute sich den jungen Mann an, er wirkte aufrichtig, was sollte sie tun? Könnte es wichtig sein? Es hatte irgendetwas mit Anna zu tun, da war sie sicher, wie er sie angestarrte hatte.
Ihre Neugier war geweckt, sie musste es wissen. „Wo?“ Fragte sie.
„Im Rosengarten? Wissen Sie wo der ist?“ Er sah sich nervös um. Vor was hatte er Angst?
Sie nickte. „Ja, aber vor halb acht schaffe ich das nicht.“ Ihr war heiß geworden. Wenn jetzt jemand käme, was sollte sie da sagen?
Sie musste zurück ins Labor. „In Ordnung, halb acht, Rosengarten.“ Dann ließ er ihren Arm endlich los und verschwand durch die nächste Tür.
Anitas Herz schlug hart gegen ihren Brustkorb, sie war gleichzeitig aufgeregt und verwirrt. Was konnte der Wachmann nur von ihr wollen? Wie kam er gerade auf sie? Sie atmete tief durch und begab sich wieder zurück ins Labor. Noch eine halbe Stunde, dann konnte sie gehen. Sie räumte ihre Sachen weg, wechselte einen kurzen Blick mit Anna und verließ das Labor vorzeitig. Sie wollte noch in die Personalabteilung. Ruth, die Sekretärin war nett, vielleicht konnte sie ihr dabei helfen, herauszufinden, wer dieser junge Mann war.
*
Ich habe die Stimme erkannt, das war der Wachmann, der letzte Nacht versucht hat, seinen Kollegen aufzuhalten, was will er von Anita?
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Anita schlüpfte aus ihrem luftdichten Laboranzug und durchlief den Reinigungsprozess, Desinfektionsdusche, Vernebelung mit antiviralen Mitteln und zum Schluss der Ganzkörperanzug. Das war schon einer der vierten Generation, er ließ sich angenehm tragen, das Visier engte einem nicht mehr so ein, wie bei seinem Vorgänger. Außerdem war er aus einen sehr dünnen Material, sie konnte wieder etwas fühlen.
Beim Verlassen des Labors schaute sie auf die große Uhr in der Halle, 19.10 h, sie musste sich beeilen. Nach dem Verlassen des Gebäudes wendete sie sich nach rechts, bis zum Park waren es zu Fuß ungefähr zehn Laufminuten, dann noch einmal mindestens fünf, um zum Rosengarten zu kommen, es würde knapp werden. Sie wurde schneller.
*
Ben konnte die Augen nicht abwenden, dieses Gesicht, woher kannte er es nur, obwohl man wegen des Blutes eigentlich nur das halbe Gesicht sehen konnte, er war ganz sicher, dass er die Frau im Käfig kannte, aber woher nur?
Der Aufseher räusperte sich. „Herr Samuel, was gibt es denn so interessantes zu sehen?“ Ben zuckte zusammen, einen Moment lang war er weit weg gewesen. „Die Frau hier wurde verletzt, ein Wächter hat sie geschlagen. Muss ich das melden? Und an welche Stelle soll ich es schicken?“
Der Mann schaute kurz auf Bens Bildschirm. „Löschen Sie es einfach, das