Er stand sehr still, wie eine Statue. Das Mädchen sah, wie sich seine Muskeln spannten, wie alles in ihm darauf hinzielte, seinen Revolver zu erreichen und so zu kontern, wie es die Situation erforderte.
„Es hat keinen Zweck“, sagte sie. „Schau auf meinen Finger. Er liegt am Druckpunkt.“
„Was soll der Quatsch?“
„Du musst sterben, Nicky.“
„Willst du mir Angst machen?“
„Ich will dich kaltmachen, das ist alles.“
Er schluckte. Auf seiner Stirn glänzte plötzlich ein dichtes Netz winziger Schweißperlen. „Du kannst das Geld haben“, stieß er hervor. „Die ganze Brieftasche. Es sind fast zweitausend Bucks. Nimm es dir, hau ab damit...“
„Ich bin nicht wegen des Geldes hergekommen, Nicky.“, sagte sie und sah, wie es in ihm arbeitete. Er dachte an die Telefonnummer, die man ihm gegeben hatte. Er wusste jetzt, dass sich eine Falle dahinter verborgen hatte. Er war wie ein Anfänger hineingelaufen und musste jetzt einen Weg finden, um sich daraus zu befreien, aber ein Blick in Glorias große, graugrüne Augen zeigten ihm, dass sein Weg in die Falle eine Einbahnstraße war, ein Weg ohne Wiederkehr.
Plötzlich drückte sie ab. Sie schoss zweimal hintereinander. Das Echo der Schüsse ließ die Fensterscheiben klirren. Es war um vieles lauter, als Gloria es befürchtet hatte.
Nick Zolman zuckte zusammen wie von Stromstößen getroffen. Er brach in die Knie.
Sein Mund war ein großes, offenes Loch, und in seinen Augen kämpften Hass, Überraschung und jähe, lähmende Schwäche um die Oberhand.
Sein Unterhemd färbte sich rot. Gloria fand, dass der Saft nicht wie Blut aussah, eher wie die Farbmixtur eines Bühnenmeisters.
Ihr Mund war trocken geworden. Sie hatte noch niemals zuvor auf einen Menschen geschossen, nicht mal auf ein Tier. Es war phantastisch, zu erleben, welche Macht einem eine solche Waffe gab, aber es machte einen auch krank. Es führte zu einem Würgen in ihrer Kehle und zu einer erschreckenden Schwäche in ihren Knien.
Nick Zolman atmete keuchend. Mein Gott, warum stirbt er denn nicht?, schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Die Finger, mit denen sie die Waffe umspannt hielt, klebten vor Schweiß. Sie hatte den Wunsch, noch einmal zu schießen, sie wollte das ganze Magazin leeren, um das Entsetzen aus dem Gesicht des Sterbenden zu wischen, aber sie hatte Angst vor einem weiteren Knall.
Nick Zolman rutschte auf den Knien vorwärts, er kämpfte sich an den Stuhl und den Revolver heran, Zentimeter um Zentimeter, er hatte nur noch dieses eine Ziel, er wollte schießen und töten.
Gloria hob die Waffe. Sie zielte genau, dann drückte sie ab.
Ihr Opfer kippte nach vorn. Zolman schlug mit der Stirn hart auf den Boden.
Er rührte sich nicht mehr.
„Tot“, murmelte Gloria. „Er ist tot.“
2
Sie sagte es sich vor wie eine Beschwörungsformel und zuckte heftig zusammen, als das Telefon klingelte. Sie blickte auf ihre Uhr.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht war eine ungewöhnliche Zeit für Anrufe, aber möglicherweise hatte sich ein Nachbar an die Strippe gehängt, irgend jemand, der schon im Bett lag und zu wissen begehrte, was es mit der Knallerei in Nick Zolmans Zimmer für eine Bewandtnis hatte.
Obwohl alles in Gloria danach drängte, aus dem Zimmer zu stürmen und das Haus zu verlassen, hatte sie sich vorgenommen, gerade diese verräterische Panikreaktion zu unterlassen.
Vermutlich standen jetzt ein paar Leute auf dem Flur und fragten sich verdutzt, hinter welcher Tür es geknallt hatte. Es war besser, zu warten, bis sie sich beruhigt hatten. Solange sie niemand sahen, der die Flucht ergriff, würden sie keine Polizei alarmieren, darauf baute Gloria, das hatte sie sich schon vorher überlegt.
Sie knipste das Licht aus und trat an die Tür. Sie drückte ihr Ohr gegen die Füllung. Draußen blieb alles still. Sie stieß erleichtert die Luft aus. Jetzt galt es, die Nerven zu behalten. Sie hatte einen Teil ihrer Aufgabe gelöst, sie würde auch mit dem zweiten Teil fertig werden.
Rocco würde stolz auf sie sein, davon war sie überzeugt. Er konnte fast jedes Mädchen haben, das er begehrte, aber er würde kaum eines finden, das wie sie war: Furchtlos und mutig, zu allem bereit, wenn es darum ging, Rocco Grandinis Wohlgefallen zu sichern.
Das Telefon schwieg.
Irgendwo tropfte ein Wasserhahn. Gloria bekam plötzlich heftigen Durst, sie wünschte die Trockenheit in ihrem Mund zu beheben. Bestimmt hatte Zolman Bier und Fruchtsaft in seinem Kühlschrank.
Das Apartment bestand, wie Gloria aus dem Lageplan wusste, den Rocco ihr vorgelegt hatte, aus diesem Zimmer, einer winzigen Küche und dem kleinen Bad. Die Küche war mit einem schmalen, zum Hof weisenden, Balkon verbunden.
Gloria löste ihr Ohr von der Türfüllung und wandte sich um. Durch die geschlossenen Übergardinen sickerte genügend Licht in den Raum, um sich orientieren zu können. Sie ging auf die Tür zu, hinter der sich die Küche befand und erstarrte, als sie sah, wie sich diese Tür öffnete, ganz langsam, wie von Geisterhand bewegt.
Gloria hielt immer noch die Pistole in ihrer Hand, sie war also in der Lage, sich zu verteidigen, aber ihr fast tödliches Erschrecken, dieses plötzliche Grauen, das sich mit der vor ihren Augen öffnenden Tür verband, legte sich wie eine Tonnenlast auf ihr Reaktionsvermögen, sie stand einfach da, mit hämmerndem Herzen, und starrte auf die Tür und das, was gleich in ihrem Rahmen sichtbar werden musste.
Sie sah nichts.
Hinter dem Türrahmen staute sich tiefe Dunkelheit, aber aus dieser Rabenschwärze kam eine Stimme, eine dunkle, sehr spöttisch klingende Männerstimme.
„Hallo, Süße“, sagte die Stimme. „Wenn du es nötig hast, Strom zu sparen, solltest du zu mir ziehen. Ich bin bekannt für ein zündendes Wesen, ich biete dir das Feuerwerk, das du brauchst.“
3
„Blond“, sagte Rocco Grandini genießerisch, „ist keine Farbe. Es ist ein Zustand. Nur wenige erreichen ihn, und es wäre falsch, zu glauben, dass er sich verallgemeinern lässt. Aber die richtige Blondine, die, die ich bei meinen Worten im Auge habe, verbindet stolze Kühle mit sinnlicher Glut. Ein Mädchen wie Gloria zum Beispiel. Kennst du sie? Gloria Henderson...“
„Nie gehört“, sagte Tony Cantrell und zog sich die Boxhandschuhe über. Er war es gewohnt, sich zu schlagen, aber das von Grandini erbetene Sparring war nicht ganz nach seinem Geschmack, er fand es irgendwie überflüssig. Schließlich hatte Grandini genügend Geld und Beziehungen, um sich für seine Boxambitionen die passenden Sparringpartner zu leisten.
Tony Cantrell hatte Grandini vor einem halben Jahr in Miami Beach kennengelernt, eher zufällig, beim Surfing. Grandini hatte dabei eine blendende Figur gemacht, das war er sich und seinem Ruf als Golfchampion, Rennfahrer und Playboy einfach schuldig, aber er hatte niemals damit geprahlt; er gehörte zu den Leuten, die sich im Understatement gefielen, die Großes gleichsam aus dem Handgelenk schüttelten und darauf verzichteten, dafür Beifall einzuheimsen. Natürlich bekam Grandini diesen Applaus, besonders von den Mädchen, die er ständig um sich hatte. Aber er schien sich nichts daraus zu machen, Erfolg war für ihn eher Last als Vergnügen, jedenfalls schaffte er es mühelos, sich in dieser Weise darzustellen.
„Kann’s losgehen?“, fragte Grandini und schlug die Boxhandschuhe klatschend ineinander. Dann wandte er den Kopf. „Du übernimmst den Gong, Baby.“
Das „Baby“, dem seine Worte galten, war neunzehn Jahre alt und entsprach