Sie (die ich innerlich nur noch Catriona nannte) sah mich ebenso gespannt an wie der Major, und unter ihrem Blick verlor ich so weit die Besinnung, daß ich sagte: »Weil ich mit Herrn Gumpel auf Ückelitz gewesen war.«
In demselben Augenblick durchfuhr es mich eisig, was für eine unglaubliche Torheit ich eben gesagt hatte. Alles hätte ich erzählen dürfen, nur nichts von meinem Besuch bei den Lassenthins, wo nur Ungünstiges, Gemeines über diese unglückliche Frau gesagt worden war.
»Nun ist es heraus!« rief der Major. »Nun werden wir die Sache sofort haben! Warum haben Sie nur so lange geschwiegen, Herr von Strammin?«
Auch Frau von Lassenthin war aufgestanden. Die Hand auf die Sessellehne gestützt, sah sie mich an und fragte in einem ganz seltsamen Ton: »Sie waren auf Ückelitz –?«
Aber jetzt hatte ich meine Vernunft wieder beisammen. Ich mußte retten, was noch zu retten war, es war wenig genug. Weder der Polizeimajor noch Frau von Lassenthin, diese am wenigsten, durften je erfahren, was auf Ückelitz gesagt worden war.
»Ich habe eine Indiskretion begangen, ich bedaure«, sagte ich fest. »Ich habe Herrn Gumpel versprechen müssen, nichts von dem zu sagen, was auf Ückelitz gesprochen wurde.«
Frau von Lassenthin sah mich mit großen Augen an und setzte sich still wieder in den Sessel. Ich fühlte, sie ahnte schon, was dort gesprochen worden war.
Auch Herr von Brandau war klug genug, zu erraten, daß nur Unerfreuliches geredet worden war, sonst wäre solch Schweigegebot ja ziemlich sinnlos gewesen. Er sagte verdrossen: »Und Sie sagen, Gumpel liegt krank, besinnungslos? Wie lange wird das denn dauern?«
»Wie soll ich das wissen, Herr Major? Ich habe nicht einmal eine Ahnung von der Art seiner Erkrankung.«
Der Major stand stumm im Zimmer. Er sah zu dem gesenkten Haupt der Frau hinüber, dann wieder zu mir. Ich fühlte, er kämpfte mit sich. Und ich rechnete ihm das hoch an, denn ich sah es selbst, die Sache der schönen Unbekannten stand vorläufig schlecht, sehr schlecht.
»Gnädige Frau«, sagte er dann, »ich will das Äußerste tun, ich will von dieser ganzen Unterredung morgen nichts mehr wissen. Aber ich erlaube mir einen Rat: Geben Sie hier Ihre exponierte Stellung auf, ziehen Sie sich in die äußerste Stille zurück, bis es Ihnen möglich ist, Ihre Ansprüche besser zu beweisen.«
Sie sah mit einem trüben Lächeln zu ihm auf. Dann breitete sie plötzlich die Arme auf, die Handflächen ausgestreckt, als gebe sie sich gefangen.
»Herr Major«, sagte sie dann, »ich bin so hilflos oder auch so schamlos geworden, daß ich es offen vor zwei Fremden ausspreche: Ich kann von hier nicht fort, ich besitze nicht einen Pfennig mehr, mir einen Bissen Brot zu kaufen. Ich warte auf meinen Mann.«
Mein Herz pochte wie rasend, ich hätte ihr zu Füßen stürzen und rufen mögen: Vertrau dich mir an, Catriona!
Der Major riß verzweifelt an seinem Schnurrbart. »Ich höre nichts, gnädige Frau!« sagte er entschlossen. »Ich weiß nichts. Vielleicht bin ich morgen schon gezwungen, gegen Sie vorzugehen, geben Sie sich nicht in meine Hand!« Er wandte sich zur Tür. »Ich gehe jetzt, aber wieder nicht ohne eine Bitte. Ich weiß, es wäre nutzlos, Herr von Strammin, Sie jetzt aufzufordern, mit mir zu gehen. Gnädige Frau, ich bitte Sie: Schicken Sie ihn fort! Er ist der Sohn einer unserer besten Familien – ach, sehen Sie ihn doch selbst an, schicken Sie ihn fort!«
Sie ging rasch an mir vorüber, ohne mich anzusehen. Sie bewegte sich so leicht, jede Bewegung zitterte vor Leben – o Gott, wie schön war sie damals!
»Herr Major, ich werde Ihnen wieder etwas sagen, was keine Frau sagen sollte: Ich bin so arm geworden, arm an wahrer Liebe, arm an Selbstlosigkeit, Opfermut, Edelsinn, daß ich nicht den Mut aufbringe, einen Ritter, der für mich eintreten will, fortzuschicken. Herr von Strammin«, sagte sie und wandte sich mir zu, »Sie können gehen und Sie können bleiben. Wenn Sie bleiben, habe ich Ihnen nichts zu bieten für alles, was Sie hier für mich tun werden, nichts, als was ich trage: Verlassenheit und Verachtung. Gehen Sie, Herr von Strammin!«
»Sie wissen, daß ich bleibe, daß es gar keine Wahl gibt«, antwortete ich.
»Verteufelt, ich wußte es ja!« schrie der Major und lief aus dem Zimmer.
Zum erstenmal standen wir uns allein gegenüber.
Nach einer Weile Schweigen faßte sie vorsichtig mein Kinn und richtete mein Gesicht auf. »So habe ich denn einen Ritter«, sagte sie mit einer seltsamen Stimme, als spräche sie im Traum. »Ich habe als Mädchen immer davon geträumt, daß ich einen Ritter haben würde. Du kommst sehr spät.«
»Nicht zu spät«, sagte ich. »Ich weiß es.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie, plötzlich mutlos, ging von mir fort und setzte sich wieder in den Sessel. »Wie heißen Sie, mein Ritter? Ich kann Sie doch nicht Herr von Strammin anreden.«
»Ich heiße Lutz. Und Sie heißen Catriona.«
»Ja«, sagte sie nachdenklich, »endlich heiße ich wieder einmal Catriona – wie in meinen Mädchentagen. Es war nur ein Einfall, Ihnen gerade diesen halbverschollenen Namen von der Treppe her zuzurufen, Ihnen, einem Unbekannten. Sie verstehen, Lutz, Catriona heißt etwas Stolzes und Einsames, ich war einmal sehr stolz. Er hat mich immer nur Käthchen genannt, Käthchen heißen alle.«
»Ja, Käthchen heißen alle«, antwortete ich. »Aber Sie sind Catriona!«
Ich wollte über diesen Mann nicht mit ihr sprechen, ich wollte nicht einmal von ihm hören.
»Vielleicht werde ich wieder Catriona«, sagte sie nachdenklich. »In der letzten Zeit hoffte ich es manchmal. Aber dann sieht alles wieder trostlos aus, als sollte ich auf ewig Käthchen bleiben.«
»Nein!« rief ich. »Sie waren es nie, und Sie werden es nie sein.«
Sie sah zu mir hin, ganz leise fragte sie: »Sie kennen Herrn von Lassenthin?«
Ungeschickt wich ich aus: »Es gibt hier in der Gegend viele Lassenthins, ich bin selbst ein halber.«
Sie beharrte: »Ich meine Gregor von Lassenthin.«
»Ja«, gab ich widerwillig zu. »Er ist sogar mein Onkel, aber wir machen beide keinen Gebrauch davon.« Als ich sie unter diesen bösen Worten zusammenzucken sah, schämte ich mich. Ich rief: »Ich bin ein schlechter Ritter, das hätte ich nicht sagen dürfen. Es tut mir leid.«
Es war ihr nicht anzumerken, was sie empfand. Sie warf den Kopf zurück, sie sagte: »Und nun werden Sie mir erzählen, was Sie heute auf Ückelitz erlebt haben.«
Ich rief: »Kein Wort werde ich Ihnen davon sagen, ich bin zum Schweigen verpflichtet.«
»Ich kann nicht warten, bis dieser Herr Gumpel gesund wird. Ich habe schon zu lange gewartet.« Leiser: »Ich dachte immer, er würde sich besinnen, er würde von selbst kommen.« Sie sah mich an. »Ich sitze hier ohne einen Pfennig Geld, und ich habe Verpflichtungen ...« Ein wenig Rot stieg in ihre Wangen, sie sah seltsam verändert aus, fast glücklich. Aber das verging, sie sagte rasch: »Sie werden mich doch nicht bitten lassen, Lutz? Ich muß wissen, was heute auf Ückelitz gesprochen wurde.«
»Erlassen Sie es mir!« bat ich. »Soll denn mein erster Dienst für Sie sein, Ihnen weh zu tun? Catriona, was soll ich Ihnen denn noch sagen, was Sie nicht schon wissen?«
»Es ist gut«, sagte sie. »Sie haben recht, Lutz, es kommt nicht auf die Worte an. Nur das eine bestätigen Sie mir: Er ist jetzt auf Ückelitz?«
Ich nickte nur.
»Und er weiß, daß ich hier auf ihn warte, aber er kommt nicht«, sagte sie leise. »Er war immer feige. Er versteckt sich und denkt, der Sturm geht vorüber.« Sie hatte dies mehr zu sich gesagt, ganz schlicht, auch die bösen Worte über ihn hatten nicht böse geklungen, nur so, als wiederholten