»Sind sie auch!« rief ich hitzig. »Sie mögen viel von Getreide verstehen, Herr Kalander, aber von Pferden haben Sie keine Ahnung! Die Stramminer Füchse ...«
»Eben, eben!« sagte Herr Kalander beruhigend. »Das haben Ihre Knechte auch gesagt. Mit den Nipperower Bauerngäulen könnten sie noch zehnmal antreten –«
»Das können sie auch! Ach, wäre ich nur dabeigewesen!«
»Sehen Sie, dann ist ja alles in Ordnung, Herr von Strammin! Ein paar von Ihren Knechten hatten natürlich schon einen sitzen –«
»Sie hatten ja auch viel früher angefangen zu trinken als die Nipperower!«
»Und da sind sie von den Gäulen gefallen. Die wollten sie nicht mitgewertet haben, und die Nipperower wollten sie mitwerten –«
»Die Hundsfötter! Ich hätte nur dabeisein sollen, die Stramminer Füchse sind unschlagbar!«
»Nun, deswegen haben sie sich schließlich geschlagen, und es wäre wohl Mord und Totschlag daraus geworden, wenn nicht das Fräulein von Schalenberg dazugekommen wäre ...«
»Wer?« fragte ich und platzte innerlich vor Wut.
»Das Fräulein von Schalenberg, Elisabeth, Bessy wird sie ja wohl genannt«, sagte Herr Kalander ganz harmlos, als hätte er noch nie etwas von Bessy und mir reden gehört. »Nun, die ist gründlich dazwischengefahren, der Gendarm war voller Bewunderung. Vier Mann hat sie eigenhändig ins Spritzenhaus abgeführt, und den andern hat sie den Schnaps gesperrt.«
»Wirklich tüchtig!« murmelte ich. »Na ja, ich werde morgen früh zeitig nach Nipperow hinausreiten und die Kerls selber auf den Schwung bringen.«
»Ich glaube, Herr von Strammin«, sagte Kalander, »Sie können sich diesen Morgenritt sparen, Sie nehmen den Weizen am besten mittags hier am Hafen in Empfang.«
»Einmal und nicht wieder, Herr Kalander«, sprach ich entschlossen. »Nie wieder lasse ich die Kerls allein fahren.«
»Aber an sich hatte diese kleine Reitkonkurrenz doch Ihre Billigung?«
»An sich, natürlich. Aber doch nicht besoffen, Herr Kalander! Nein, ich hole die Leute. Ich werde hier schon um drei oder vier Uhr morgens abreiten.«
»Dann werden Sie sich in Nipperow gleich bei Fräulein von Schalenberg bedanken können. Sie hat nämlich dem Gendarmen erklärt, sie wolle den Weizen persönlich hierher nach Stralsund bringen.«
Jetzt kochte ich vor Wut bald über! Die Art, wie sich Bessy in meine Angelegenheiten mischte, ging mir doch etwas zu weit! Ich konnte es mir wohl vorstellen, mit welcher Verve sie meine betrunkenen Knechte ins Spritzenhaus abgeführt hatte! Da hatte ich am Boden gelegen, schwärmerisch das Hasenlied dudelnd, meine Pflichten vergessend, sie aber – oh, nicht auszudenken!
»Diesen Weg werde ich der energischen jungen Dame doch lieber abnehmen!« sagte ich ein wenig steif.
Herr Kalander machte eine Bewegung durch die Luft, als verscheuche er eine lästige Fliege. »Natürlich, natürlich«, sagte er. »Die junge Dame wird es auch wohl nur für den Fall gesagt haben, daß Sie nicht kommen.«
»Ich aber komme!« sagte ich, stand auf und verabschiedete mich mit Dank von Kalander.
Es war erst dreiviertel zehn, ich ging langsam zurück zum Hotel, ich hatte es nicht eilig. Plötzlich dachte ich gar nicht mehr so sehr an das Zimmer elf im »Halben Mond«, ich hatte entdeckt, warum Bessy am Nachmittag in Nipperow aufgetaucht war. Sie war auf dem Wege nach Strammin gewesen, um die kleine Madeleine Thibaut zur Rede zu stellen. Natürlich! Und nun waren ihr die Knechte mit ihrem Reitturnier dazwischengekommen, Bessy hatte dringende Abhaltung gehabt, und Madeleine war nicht zur Rede gestellt worden. Gesetzt nun den Fall, ich ließe meiner energischen sogenannten Braut den Willen und sie brächte morgen vormittag meine Weizenkolonne selbst nach dem Hafen – dann würde sie auch morgen nicht mehr nach Strammin kommen! Und übermorgen war ich selbst wieder daheim, ein Schutz und Schild aller Bedrängten!
Es ging mir seltsam in diesen Tagen, wie es mir vorher noch nie gegangen war: Alle Augenblicke änderte sich die Lage, alle Augenblicke wurden die festesten Vorsätze umgestürzt. Ich, der immer genau gewußt hatte, was ich tun mußte, der Richtig von Falsch genau unterscheiden konnte, wußte nun überhaupt nichts mehr. Eben war mir der Gedanke noch unerträglich gewesen, daß Bessy sich in meine Geschäfte einmischte, und nun dachte ich schon mit einer geradezu lächelnden Schadenfreude: Mach das nur, bring du nur die Gespanne in den Hafen, dünke dich mir hundertfach überlegen, du bist doch die Reingefallene!
Es kam mir komisch, es kam mir seltsam vor, daß ich so über Bessy denken konnte, sie war doch immer mein bester Kamerad gewesen. Lag es nun am Mangel an innerer Ehrlichkeit, lag es nun an meinem Mangel an Klugheit: ich kam gar nicht darauf, darüber nachzudenken, warum ich plötzlich so verändert für Bessy fühlte. Bei dem ersten Nachdenken hätte ich doch sofort auf den Namen Catriona von Lassenthin stoßen und hätte mit Schrecken entdecken müssen, welchen Weg ich eingeschlagen hatte. Die Geliebte eines anderen, im besten Fall die Frau eines andern – und ich, ein Strammin, besinnungslos in sie verliebt, besinnungslos alle alten Ehrbegriffe vor dieser zweifelhaften Göttin opfernd! Aber wen die Götter lieben lassen, dem legen sie Blindheit über die Augen, eine wundervolle Blindheit, von der die ganze Welt verwandelt wird, und so blind ging auch ich zurück zum »Halben Mond«.
In der Elf brannte noch immer Licht, aber auch in der Zwölf war es hell, und ich wußte genau, vorhin war die Zwölf dunkel gewesen. Ohne ein Wort stürmte ich durch die Halle, an Puttfarken vorbei, sprang die Treppe hinauf, lief an ihrer Tür vorüber und trat in mein Zimmer ein.
Herr Major von Brandau stand aus meinem Sessel auf: »Da haben wir ja nun endlich den jungen Herrn von Strammin«, sagte er nicht ohne Liebenswürdigkeit. »Guten Abend, Herr von Strammin! Sie verzeihen, daß ich Sie so spät noch fünf Minuten in Anspruch nehme. Herr Ericke, Sie lassen uns jetzt bitte einen Augenblick allein. Ich verständige Sie dann später.«
Herr Ericke schob sich mit einem beinahe schuldbewußten Blick auf mich aus der Tür.
»Mein lieber junger Herr von Strammin – zuerst einmal meine Bitte um Entschuldigung, daß ich mich hier in Ihrem Zimmer so häuslich niedergelassen habe. Sie sehen, ich habe meine Zigarre geraucht, und meinen Burgunder habe ich hier auch getrunken. Darf ich Ihnen übrigens ein Glas einschenken?«
»Ich danke vielmals, Herr Major von Brandau.«
»Aber setzen wir uns doch, mein junger Freund!« (Ich hasse es, mit »mein junger Freund« angeredet zu werden.) »Zuerst möchte ich betonen, daß ich vorläufig nicht in meiner amtlichen Eigenschaft mit Ihnen rede, sondern als ein väterlicher Freund gewissermaßen, der Sie und Ihr Haus vor übler Nachrede bewahren möchte.«
»Herr Major von Brandau«, sagte ich ziemlich hitzig, »unser Haus hat sich stets ohne väterliche Freunde von übler Nachrede frei gehalten! Und ich mich auch!«
Der Major lachte: »Nicht so hitzig, mein Junge! Reiten Sie nicht los, ehe Sie nicht wissen, wohin die Reise geht!«
»Oh!« rief ich. »Ich weiß schon, wohin die Reise geht, und wenn dahin geritten werden soll, werde ich verdammt hitzig reiten, Herr Major!«
Herr von Brandau strich sich seinen Schnurrbart und lächelte, wie mir schien, amüsiert. »Nun«, sagte er, »vielleicht werden Sie noch entdecken, Herr von Strammin, daß auch ich für meine Jahre noch recht forsch reiten kann, wenn auch nicht hitzig. Nun aber zur Sache!«
»Aha, zur Sache, forsch oder hitzig!« rief ich spöttisch.
Er warf mir erst einen ärgerlichen Blick zu, besann sich dann aber, beugte sich plötzlich vor und fragte mich fast flüsternd: »Was wissen Sie von der Dame hier drüben« – er deutete mit dem Kopf – »in Zimmer elf?«
»Nichts, Herr Major von Brandau«, sagte ich und sah ihn fest an.
Er war überrascht. »Ich glaube, mein junger Freund –«, fing er an. Aber er besann sich sofort, er war viel klüger (und gefährlicher),