Mia am Meer. Katja Pelzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katja Pelzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797094
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ist jetzt schon zwanzig Jahre tot. Und ich glaube nicht, dass irgendwem damit geholfen wär’, wenn ich ewig um sie trauern würde. Was sie für mich war, geht nie weg. Aber ich bin noch hier und muss weitermachen.“

      Ein Austernfischer, der vor ihnen im Watt auf und ab stolziert war, brach plötzlich in lautes Gezeter aus. Sein Schnabel glänzte rot, als hätte er ihn gerade in Nagellack getaucht. Günther Mondric schaute den zeternden Vogel amüsiert an. Dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und machte typische Wischbewegungen. „Find’ mal den Vogel da“, sagte er und zeigte auf die Liste in seiner Vogel-App. „Ich hab’ meine Lesebrille vergessen.“ Er zuckte entschuldigend die Schultern. Mia beugte sich über das Gerät. Eigentlich boykottierte sie die Dinger. Sie tippte auf den Austernfischer mit seinem gebogenen roten Schnabel, den roten Beinen und dem schwarz-weißen Gefieder und aus dem Telefon erklang das vertraute Keckern. Der Austernfischer am Strand hob seinen Kopf, wiegte ihn hin und her und fing dann an, noch lauter und empörter zu Zetern. „Wie gemein!“ sagte Mia und stieß Günther ihren Ellbogen in die Seite. Ein zweiter Austernfischer landete und stimmte in das zweistimmige Geschimpfe ein. Mia machte fast in die Hose vor Lachen und musste sich an Günther festhalten, der sich ebenfalls seinen Bauchansatz hielt.

      Kapitel 4

      Menschen sterben. Ununterbrochen. Unangekündigt, einfach so. Aber warum dieser? Er war doch ihr Mann gewesen.

      Die spanische Polizei wusste nicht, ob es ein Unfall gewesen war. Und Mia wusste nur, dass Thom nicht mehr glücklich gewesen war. Schon lange nicht mehr. Aber war die Abwesenheit von Glück ein Grund zu gehen?

      In die Tage nach Thoms Tod drang kein Licht. Mia wusste schon beim Aufwachen nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Warum sollte sie aufstehen? Das Grün der Bäume war ohne Farbe. Das Grün der Ampeln dagegen so grell, dass es sie blendete. Sie roch nichts, alles schmeckte nach nichts. Der Schmerz ihrer verlorenen Liebe war körperlich. Sie wand sich wie ein verwundetes Tier. Sie wollte, dass der Schmerz aufhörte. Sie wollte, dass es wieder schön war zu leben.

      „Sie sind nur für sich selbst verantwortlich“, sagte Stefanie Berenboom, ihre Therapeutin. „Schuldgefühle entstehen aus unseren Gedanken. Zuerst sind da die Hirngespinste, dann erst die Gefühle.“ Aber obwohl sie das verstand und sogar lebte, bedeutete das nicht, dass sofort alles wieder gut war. Überhaupt nicht.

      Mia wusste nicht, wie sie jemals ins Leben zurückfinden sollte, wenn der Mann, der alles für sie gewesen war, nicht mehr bei ihr hatte sein wollen.

      Kapitel 5

      „Mädchen, Sie sehen heute aber schon viel besser aus!“ Das war wieder einmal Günther Mondric, der Mia das zurief. Als sie von einer ihrer Fahrradtouren zurückkam, saß er im Strandcafé, dieses Mal ohne seine Bekannte. „Setzen Sie sich doch zu mir, ich fühle mich so allein“, er zwinkerte ihr fröhlich zu.

      Mia parkte ihr Fahrrad und schloss es ab.

      „Ich war heute in Nordblum auf dem Friedhof“, sagte sie, während sie sich setzte.

      Günther schüttelte den Kopf.

      „Na, Sie machen Sachen! Kümmern Sie sich mal lieber um die Lebenden. Beispielsweise um so’n alten Mann wie mich.“

      „Als Ihre Berta gestorben ist, wie haben Sie danach weiter gemacht?“, fragte Mia ihn.

      „Na, ich bin morgens aufgestanden, hab mir eine Stulle mit Butter gemacht und einen Kaffee und dann hab ich Gott gedankt, dass ich sie wenigstens für die zwanzig Jahre haben durfte, die wir verheiratet waren. Manch einer findet doch nicht mal den Menschen, mit dem er es ein Jahr aushält.“

      Mia schaute aufs Meer.

      „Aber das tut doch umso mehr weh, wenn man so einen Menschen dann verliert.“

      „Mag sein, aber ändern können Sie es auch nicht. Ich sag mir immer, was du nicht ändern kannst, damit halt dich nicht auf. Also versuch ich, das Gute zu sehen, das wir zusammen hatten.“

      „Aber dann leben Sie doch immer in der Vergangenheit!“

      „Ich bin ja nun schon ein bisschen älter als Sie, und Sie können mir glauben, dass es jeden Tag leichter wird, weiterzumachen.“

      „Aber ich weiß nicht, warum ich weitermachen soll. Wenn ich nicht so feige wäre, wäre ich auch schon längst gesprungen.“

      „Was für ne Verschwendung“, sagte Günther und schüttelte sein weißes Haupt.

      Kapitel 6

      Die Landschaft war am Morgen wie verwischt. Die Warften der Hallig – wie Schemen nur.

      Mia liebte das Kommen und Gehen des Meeres. Sie fühlte sich klein, aber irgendwie auch zugehörig zu dieser allmächtigen Natur. An die etwas langsame, manchmal recht ruppige Art der Inselbewohner hatte sie sich schon gewöhnt.

      Matts, der Therapieassistent mit den braunen Haaren, die erstes Grau zeigten, entschuldigte sich. „Ich kann Ihnen kein Meerwassersprudelbad anbieten. Die Sprudelanlage ist kaputt und ich weiß nicht, ob wir das Ersatzteil vom Festland brauchen. Wenn ja, dann ist das frühestens am Montag da.“ Seine kindlichen blauen Augen schauten schuldbewusst.

      Mia wusste nicht, ob der Mann eine Antwort erwartete. Sie hatte jedenfalls keine parat, also schwieg sie.

      „Sie können aber ein Meerwasserbad ohne Sprudel haben“, setzte er hinzu.

      Zwanzig Minuten lag Mia daraufhin in der Badewanne in warmem, salzigem Wasser in einem stillen dunklen Raum im Souterrain. Auf der Fensterbank stand eine Skulptur, eine Ballerina aus Bronze. Mia betrachtete die grazilen Arme, die elegante Beinhaltung. Alles schlicht und schön und so zerbrechlich wie das Leben.

      Mia ließ sich in die Wärme des Wassers hineinsinken und schlief ein.

      Sie lag in ihrem Bett. Neben ihr lag Thom. Sie schauten sich an, nichts sonst. Das hatten sie oft getan. Es hatte gereicht um das Band von ihrem zu seinem Körper zu spannen. Gerade fragte sie sich, was aus dem Band würde, wenn einer von ihnen fort ging. Da klopfte es. Sie wunderte sich, denn ihre Schlafzimmertür war immer zur Küche hin offen. Und wer sollte da klopfen?

      „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragte Matts, der Therapieassistent auf der anderen Seite der Tür. Und am liebsten hätte Mia „Nein“, gesagt. Aber sie sagte „ja“.

      „Tupfen Sie sich einfach nur ab und lassen Sie bitte das Wasser aus der Wanne“, sagte daraufhin der Therapieassistent durch die Tür hindurch. Und Mia gehorchte.

      Kapitel 7

      In der Strandbar spielte an diesem Abend eine Beatles-Cover-Band. Mia saß allein im Sand, hörte zu und sang leise mit. Dabei schaute sie hinaus aufs Meer. Der Sand war kühl, aber das machte nichts. Die Schönheit des Abends wärmte sie. Es war beinahe Flaute. Eine Gruppe von Windsurfern war noch auf dem Wasser. Sie bewegten sich lautlos, wie in Zeitlupe – ein Ballett orange-schwarz-gestreifter Schmetterlinge. Hier im Norden kam die Nacht später und auch langsamer. Allein dafür liebte Mia die Insel. Sie schaute hinüber zum Festland und hatte das Gefühl, dass sie bereits in dem Moment, indem sie die Fähre bestiegen hatte, ziemlich viel Ballast abgeworfen hatte. Wie hatte der Stadtführer doch gleich gesagt? „Der Vorteil an der Insel ist die Fähre zum Festland. Und der Nachteil der Insel ist die Fähre zum Festland.“ Mia lächelte.

      Auf sie übte das Festland jedenfalls keinerlei Anziehung mehr aus. Es erschien ihr mit einem Mal komisch, dass es Festland hieß. Hier auf der Insel fühlte sich der Boden unter ihren Füßen viel fester an.

      Kapitel 8

      Matts, der Therapieassistent entschuldigte sich. Nun hatte die Meerwasserpumpe den Geist aufgegeben.

      „Ich