Whisky Blues. J. U. Gowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. U. Gowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748584421
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      Unbemerkt von allen anderen holte ein Mann ein spezielles Sample aus dem Rucksack, der neben seinem Stuhl stand. Es wurde Zeit, den Vorsatz in die Tat umzusetzen. Angespannt hatte er den Mann beobachtet, der ihm gegenüber saß. Der Mann, den er als den identifiziert hatte, der nie mehr auf seine Mails geantwortet hatte. Er war nicht der einzige Neue in der Runde. Da war der dünne Mann, der einen Tisch weiter saß. Doch der hatte eindeutig Schnupfen, wie man unschwer an den geröteten Nasenflügeln erkennen konnte. Ein passionierter Whiskytrinker würd nicht mit einer Erkältung zu einem Tasting kommen. Damit fiel er raus. Dann waren noch die drei, die bei Koslowski am Tisch saßen. Aber die kamen nicht in Frage. So wie er mitbekommen hatte, waren es Freunde von ihm, die ihn überraschend besucht hatten. Er hatte gehofft, sein Mann würde mal auf die Toilette gehen. Aber scheinbar besaß der eine gute Blase. Jetzt war der Mann gerade dabei, konzentriert das Etikett einer der Flaschen, die auf dem Tisch standen, zu studieren. Er nahm das bereitgelegte Papiertaschentuch und griff sich damit das Glas des Mannes. Heimlich goss er etwas aus seinem mitgebrachten Sample in dessen leeres Glas. Dann stellte er es wieder an seinen Platz. Unauffällig sah er zu Koslowski, der mit seinen Freunden ins Gespräch vertieft war. Es hatte ihn erst etwas verunsichert, als er beim Betreten des Pubs Koslowski an dem anderen Tisch entdeckte. Er hatte ihn hier einfach nicht erwartet und überlegte, ob er die ganze Aktion abblasen sollte. Doch wann ergab sich mal wieder so eine gute Möglichkeit? Vielleicht auf einer der Messen? Solange wollte er aber nicht mehr warten. Und die Frage war auch, ob der Kerl überhaupt zu Messen ging. Er hatte dann aber bemerkt, dass Koslowski kaum Notiz von den anderen Tischen oder dem dortigen Geschehen nahm. Es hatte ihn beruhigt. Unauffällig sah er sich weiter um. Auch alle anderen Gäste waren beschäftigt. Keiner hatte bemerkt, was er tat. Selbst wenn, niemand würde auf die Idee kommen, dass es nicht sein Glas wäre. Hier war es ganz normal. Man goss ein, reichte Gläser herum und ließ von den mitgebrachten Samples probieren. Er schraubte das Sample zu und wischte es mit dem Taschentuch ab. Dann stellte er das Fläschchen auf dem Tisch ab. Keiner würde ungefragt sich selber daran bedienen. Er hatte erst überlegt, es ihm unauffällig in seine Tasche zu stecken, die am Boden gegen das Tischbein gelehnt stand, doch dann fiel ihm ein: Vielleicht musste er nochmal nachschenken, falls die Dosis nicht reichen sollte. Er glaubte es eigentlich nicht, aber sicher ist sicher. Nachdem das getan war, holte er sich ein anderes Sample aus seiner Tasche und goss sich davon in sein Glas ein, was daneben stand. Er hatte keine Angst davor, dass man ihm die Tat nachweisen könnte. Zu viele Anwesende hier, die die Möglichkeit hatten, und seine Fingerabdrücke würde man nicht auf dem Glas oder der Flasche finden. Der Tisch war vollgestellt mit Sampleflaschen und vollen und halbvollen Whiskygläsern. Wie die anderen Tische auch. So war es, wenn der Stammtisch tagte. Sampleflaschen hatten da schon mal die Angewohnheit zu wandern. Er sah zu Stefan und winkte ihn heran. Inzwischen war Uwe eingetroffen und hantierte an der Hifi-Anlage, vermutlich, um die CD zu wechseln. Stefan nahm seine Bestellung entgegen und ging dann wieder hinter den Tresen.

      Er wandte sich wieder angespannt dem Geschehen am Tisch zu und bemerkte, dass das Glas des anderen jetzt etwas anders stand. Er lächelte. Vermutlich hatte der Mann daran gerochen und ihn für gut befunden. Getrunken hatte er jedenfalls noch nicht. Der Füllstand des Glases war unverändert. Wahrscheinlich war der Mann etwas verwundert, warum sein Glas auf einmal wieder voll war. Aber wie das so war, einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul. Er war aufgeregt und überlegte, wie er den Mann dazu bringen könnte zu trinken. Vielleicht sollte er ihn mit seinem Glas in der Hand auffordern anzustoßen, als sich die Frage erübrigte. Der Mann griff zum Glas, schnupperte nochmal kurz daran, mit seligem Lächeln leckte er sich die Lippen und nahm einen großen Schluck.

      Sein Feind hatte endlich getrunken. Zufrieden lehnte sich der Mann zurück. Er griff sein Whiskyglas und in seiner Euphorie trank er es in einem Zug aus. Jetzt hieß es, bei einem Bier abzuwarten, bis sich bei dem Kerl die ersten Symptome zeigten. Es dürfte nicht mehr lange dauern. Zur Not musste er eben nochmal nachschenken. Stefan war unauffällig herangetreten und stellte das Bier vor ihm ab. Er hatte ein ›Dead Pony‹, ein Pale Ale, bestellt. Er griff danach und nahm einen wohlverdienten ersten Schluck. Aus den Boxen ertönte Musik. Uwe hatte eine Bluesscheibe eingelegt. Zur Abwechslung mal nicht Pink Floyd, dachte er und nahm den nächsten großen Schluck vom Bier.

      ***

      Egbert Pabst hatte das Gefühl, Arme und Beine waren eingeschlafen. Sie kribbelten, als er sie bewegte. Das Kribbeln wurde stärker. Unsicher sah er auf seinen Arm. Er hatte schon mal dieses Gefühl gehabt, als er allergisch auf eine Medizin reagiert hatte. Es war Jahre her. Rote Pusteln hatten sich damals auf seinem Arm gezeigt. Aber es war nichts zu sehen. Plötzlich wurde ihm kalt. Er fing an, schwer zu atmen. Er bekam Panik und riss die Augen auf. Das Kribbeln wurde unerträglich. Es war, als würden ihn tausende von Ameisen überrennen. Seine Gliedmaßen fühlten sich an wie gelähmt. Plötzlich wurde ihm schwindlig und er übergab sich. Erschrocken sprangen seine Sitznachbarn auf. Säuerlicher Geruch stieg vom Tisch auf.

      Ein kleiner, älterer Mann, ohne erkennbaren Hals und mit rundem Kopf, der am Nebentisch eingeschlafen war, wurde durch den Lärm wach, sah kurz auf und sagte kichernd: »Ähem, so einen Whisky hatte ich auch schonmal im Glas.« Dann fiel sein Kopf wieder nach vorn und er schlief weiter.

      Egbert Pabst wollte aufstehen. Die Beine gehorchten nicht und er stürzte zu Boden, dabei riss er ein paar Gläser um. Er nahm noch wahr, wie die anderen ihn erstaunt anstarrten, während seine Schmerzen unerträglich wurden. Die Ameisen fraßen ihn auf. Er bekam keine Luft mehr. Sein Darm entleerte sich. Das Letzte, was er trotz des Ohrensausens hörte, war, wie jemand rief: »Wir brauchen einen Notarzt. Schnell« und das stampfende ›Boom Boom Boom‹ von John Lee Hooker.

      Koslowski war aufgesprungen. Der Mann, der neben Egbert Pabst kniete, sah zu ihm hin und schüttelte den Kopf. »Wir brauchen keinen Notarzt mehr. Er ist tot.«

      Einer der Gäste hatte mit seinem Handy schon den Notruf gewählt und rief: »Der Krankenwagen ist unterwegs.«

      R.R sah sich um. Alle Gäste standen, bis auf zwei, die sich scheinbar durch nichts aus der Ruhe bringen ließen, und den komischen alten Mann. Den Bremer konnte er nicht entdecken. Er war weg. Er fragte sich, wann er gegangen war. Hatte der etwas mit dem Anschlag zu tun? Er hatte in der Nähe gesessen, nur zwei Plätze weiter. Und dass es ein Anschlag war, stand für R.R. außer Frage. Nur wem hatte der gegolten? Wenn es der Bremer gewesen war, wirklich dem Toten? Oder ihm? Wenn er das eigentliche Ziel gewesen war, was war da zu seinem Glück schiefgelaufen? Er musste hier weg. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Langsam tastete er sich in Richtung Ausgang. Seine Tischnachbarn achteten nicht auf ihn, da sie immer noch fassungslos auf die Leiche starrten. Am Ausgang angekommen, sah er sich noch einmal um. Noch immer nahm keiner Notiz von ihm. Er schob den schweren Vorhang beiseite und verschwand.

      Koslowski fasste sich. Sah in die Runde und sagte laut: »Keiner rührt was an. Alle bleiben auf ihren Plätzen. Keiner verlässt den Pub.«

      »Warum?«, fragte Lars, einer der Gäste. Koslowski sah ihn entgeistert an. Er kannte ihn. Lars hatte wie immer ein graues Hemd an, was etwas über den kleinen Bauch spannte. Seine Hand klammerte sich um eine Flasche Single Malt Whisky, als hätte er Angst, die wieder hergeben zu müssen.

      Koslowski runzelte leicht genervt die Stirn. »Weil es nicht so aussieht, als wäre es nur ein Herzanfall gewesen.«

      Er wandte sich an Uwe, der immer noch mit Stefan hinter dem Tresen stand. »Schließ den Laden ab, Uwe. Keiner kommt hier rein oder raus. Alles bleibt so stehen, wie es jetzt ist.«

      »Es war also kein natürlicher Tod?«, fragte Lars nochmal nach. Es folgte Stille. Koslowski fiel jetzt auf, dass Uwe die Musik abgedreht hatte. Er nickte stumm. Dann sah er fragend in die fassungslosen Gesichter. »Ich nehme an, ein paar von euch kannten ihn.«

      Einige der Versammelten sahen sich unsicher an. Da sagte der halslose Mann, der nun endgültig wach zu sein schien: »Ähem, ja. Das ist Egbert, äääh Egbert Pabst.« Aus irgendeinem Grund kicherte er wieder.

      Koslowski griff zum Handy. Er wählte Meyerbrincks Nummer.

      »Tom, du musst herkommen.«

      »Wohin denn?«

      »In den Pub.«

      »Vergiss