Das Tor vorm Moor und hinterm Schatz. Norbert Schimmelpfennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Schimmelpfennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738062700
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ich musste gerade jemanden wegbringen“, sagte er und fuhr fort:

      „Für Sie habe ich sogar noch etwas!“

      Aus seiner Aktentasche holte er ein paar Blätter, übergab diese Herrn Drickberg und erklärte:

      „Dies konnte ich Ihnen vorhin nicht mehr geben, Sie können es sich übers Wochenende ansehen. Sie wissen schon, dass Herr Kaiser bald in den Ruhestand geht?“

      „Ja, davon habe ich schon gehört!“, erwiderte Herr Drickberg, und Herr Schneidmann fuhr fort:

      „Momentan bin ich mir noch nicht sicher, wen ich zu seinem Nachfolger als Abteilungsleiter mache – ein paar Ihrer Kollegen waren jedenfalls ganz begeistert von dieser Aufgabe!“

      „Und was ist das?“

      „Verkaufszahlen von Outdoor-Spielen im weitesten Sinn, also auch auf Computer oder Handy. Wie Sie wissen, wollen wir dies ausbauen. Sie könnten versuchen, herauszufinden, was gerade besonders im Trend liegt!“

      Er sah auf seine Uhr und sagte noch: „Jetzt muss ich aber weiter, wünsche ein schönes Wochenende!“

      Mit solchen Computerauswertungen konnte Herr Drickberg immer noch nicht viel anfangen, auch nicht mit Computerspielen, hatte sich bisher immer nur pflichtgemäß darin eingearbeitet.

      Eigentlich hatte sich die Firma, für die er nun schon viele Jahre tätig war, ursprünglich auf Taschenmesser und Geräte für Outdoor-Aktivitäten spezialisiert, wie Ferngläser und Kameras, neuerdings auch tragbare Spielgeräte und Handys. Spiele, die man auf Net- und Notebooks oder gar auf die schweren Desktops einspielen musste, waren nun die neueste Erweiterung.

      Wie auch immer, endlich fuhr doch noch der Zug ein, und Mutti musste einsteigen. Zu dritt winkten sie ihr nach, bis der letzte Waggon um die Kurve bog.

      Jetzt erblickte Nicky am gegenüber liegenden Bahnsteig Laura aus seiner Klasse, die sich gern „Laurena“ nannte, sich schon schminkte und ihre schulterlangen rötlichen Haare offen trug. Ihre Eltern arbeiteten bei der Zeitung. Neben ihr stand ihr älterer Bruder, der ihr eine Cola-Dose in die Hand gab. Sie warf die Dose in Nickys Richtung.

      Dieser versuchte, sie zu fangen, geriet aber nur ins Stolpern, und die Dose landete mit einem Scheppern einen Meter hinter ihm. Laurena und ihr Bruder lachten, und sie rief hinüber:

      „He, Lassi, weiter üben! Oder wie willst du sonst den Brausebrecher fangen?“

      Und ihr Bruder meinte:

      „Bald wird es vielmehr mit Schneidmanns Firma genauso passieren, die geht doch bald den Bach runter, langsam kauft ihr keiner mehr was ab! Kannst du mir glauben, haben wir unseren Eltern abgelauscht!“ „Und dein Vater wird dabei gleich mit untergehen!“, rief Laurena noch, dann entfernten sich beide.

      Auch Nicky, Lisy und ihr Vater begaben sich zurück zum Ausgang. Nicky aber konnte nicht widerstehen, zunächst heftig auf die Dose zu treten.

      Wenn doch einmal etwas ganz Tolles geschähe, womit er die anderen Kinder wirklich beeindrucken konnte!

      Etwa diesen Brausebrecher überführen …

      Von seinem Vater käme da bestimmt nichts, dieser ließ sich am Wochenende immer wieder total gehen! Jetzt waren seine kurzen dunkelblonden Haare zwar noch gekämmt und sein Vollbart rund geschnitten, und er trug noch das neue weiße Hemd und die neue braune Hose für den Arbeitsplatz. Daheim aber zog er gleich wieder ein altes T-Shirt und eine alte Cordhose über.

      Unternommen hätte er wieder einmal nichts, sondern hauptsächlich Zeitungen gelesen. Zumal ihm sein Chef sogar etwas zum Arbeiten mitgegeben hatte; da gingen noch mehr freie Minuten drauf!

      Beim Hinausgehen fragte ihn sein Vater:

      „Aus deiner Klasse?“

      „Ja, das Mädchen. Immer wollen sie, dass ich irgendetwas fange und zurückwerfe! Dabei wissen sie doch, dass ich das nicht gut kann!“

      „Ging mir früher ganz ähnlich. Nennen sie dich auch Lassi, so wie man mich früher Yxick genannt hat?“

      „Ja, tun sie; aber nennt ihr mich wenigstens weiter Nicky!“

      Der Regen hörte gerade auf, ans Fenster zu prasseln, nachdem die Sonne schon untergegangen war. Das Geschirr vom Abendessen lag schmutzig in der Spüle.

      Im Wohnzimmer saßen Lisy und Nicky auf einem gelben Stoffsofa zu beiden Seiten ihres Vaters und drehten sich zu diesem um.

      „Nicht, Papa, du hast doch erlaubt, dass ich heute Abend in die Disko gehe? Jetzt ist das Wetter wieder so schön!“, meinte Lisy, und ihr Vater erwiderte:

      „Stimmt, das habe ich versprochen. Aber wird man dich denn schon herein lassen? Normalerweise ist das doch erst ab sechzehn erlaubt!“

      Dem entgegnete sie:

      „Das haben andere aus meiner Klasse auch schon geschafft – soll am Eingang viel zu dunkel sein, um die Gesichter genau zu erkennen!“

      „So, zu dunkel! Hoffentlich nicht auch zu dunkel, um Taschendiebe auszumachen“, meinte ihr Vater. „Und wer macht die Hausarbeit?“

      Da kniff seine Tochter die Lippen zu, erklärte dann aber:

      „Morgen erledige ich das, dafür kannst du es heute machen!“

      Dem entgegnete ihr Vater:

      „Nun gut. Sei aber bitte bis Mitternacht zurück!“

      „Da geht es doch in der Disko erst richtig los ...“

      „Gut; aber dann bis um eins!“

      „Bis dahin werde ich zurück sein, Papa!“, rief sie noch aus, fasste ihrem Vater kurz in den Vollbart und zog rasch ihre hochhackigen Schuhe und ihre neue Jacke über; dann war sie schnell entschwunden.

      Draußen löste sie das Gummi, mit dem ihre dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, so dass ihre lockige Mähne nun über ihre Schultern fiel. Für einen Moment sog sie die würzig-frische Luft nach dem Regenschauer ein, wobei sie zu den Wolken hochsah, die sich schon verflüchtigten und langsam den Blick auf die Sterne freigaben.

      Plötzlich piepste ihr Handy. Als sie es hervorholte, hatte sie dort eine neue SMS erhalten. Und zwar hieß es in dieser Mitteilung:

       Heute Abend im Ballerdisc Freue mich auf dein Kommen Lu

      Dann eilte sie die feuchte Straße hinab.

      Herr Drickberg wandte sich jetzt seinem Sohn zu, der sich an den Computer gesetzt hatte und mit einem Abenteuerspiel fortfuhr, das er schon am Nachmittag zeitweise gespielt hatte:

      „Na, Nicky, wie weit bist du denn schon?“

      Sein Sohn erwiderte:

      „Ich bin schon fast im letzten Level, werde bald auf Girgirgargür, den Dürredämonen, treffen. Das ist dann schon der Endgegner!“

      Da sperrte der Vater seine grünen Augen weit auf und fragte:

      „Der Dürredämon? Wie kommst du auf den?“

      „War schon in früheren Levels angekündigt“, erwiderte Nicky. „In manchen Gegenden, in denen dieses Spiel spielt, sieht es sehr trocken aus – so wie hier, als ich in den Kindergarten kam!“

      „Ja, das war 2003 schon ein Sommer und eine lange Trockenheit, kann man sich heute schon gar nicht mehr vorstellen“, fuhr der Vater fort. „Aber einige Male war es auch früher schon so – 1983, 1992 und 1994 waren es ähnlich heiße Sommer. Und 1976 erst – das war nicht nur ein heißer Sommer, sondern es gab auch eine lange Dürre!“ „Da war ich noch gar nicht geboren!“, meinte der Junge mit einem gelangweilten Stöhnen, und sein Vater erklärt ihm:

      „Nein, warst du noch nicht; aber auch an 2003 wirst du dich noch in dreißig Jahren erinnern. Ebenso an den noch heißeren Juli 2006 und den gleich darauf so kühlen August.“

      „2003