»Ja, erzählen Sie! Erzählen Sie!« rief Fräulein Scherer heiter aus. Der Graf verbeugte sich lächelnd.
»Der Graf«, sagte Fräulein Scherer leise zu ihrem Nachbar, »war mit dem Herzog intim bekannt.«
»Der Graf«, sagte sie zu einem anderen, »ist ein vortrefflicher Erzähler.« »Der Graf gehörte zur besten Gesellschaft, wie man sieht«, flüsterte sie einem dritten zu. Auf diese Weise wurde der Vikomte wie ein Roastbeef auf einer erwärmten Schüssel mit Grünwerk verziert den Gästen serviert. »Setzen Sie sich hier neben mich, liebe Helene«, rief Fräulein Scherer der jungen Dame zu, welche den Mittelpunkt einer anderen Gruppe bildete. Die Fürstin Helene erhob sich mit ihrem beständigen Lächeln auf den Lippen, die Herren traten zurück, und unter einem Strom von Licht, der von ihren Edelsteinen widerstrahlte, trat sie näher. Sie lächelte allen zu, ohne eine einzelne Person anzusehen, und gewährte so allen das Recht, die Schönheit ihrer Toilette und ihrer blendend weißen Schultern zu bewundern.
»Wie schön sie ist!« rief man bei ihrem Anblick.
»Ich bin ganz eingeschüchtert«, sagte der Graf, vor einem solchen Zuhörerkreis.
»Warten Sie!« rief die kleine Fürstin, welche den Teetisch verlassen hatte, »ich muß meine Arbeit holen. Was machen Sie? An was denken Sie?« sagte sie zu Hippolyt. »Bringen Sie mir doch meinen Ridikül!«
Der Graf erzählte sehr gewandt die neue Anekdote über den Herzog von Enghien. Dieser hatte sich heimlich nach Paris begeben, um Mademoiselle George zu besuchen. Dort begegnete er Napoleon, welchen die berühmte Künstlerin gleichfalls begünstigte. Die Folge dieses unglücklichen Zufalls war, daß Napoleon in eine Ohnmacht fiel, wie ihm dies zuweilen begegnete und welche ihn der Gewalt seines Feindes überlieferte. Der Herzog hatte sie nicht benutzt; Bonaparte aber rächte sich später für diesen Edelmut, indem er ihn erschießen ließ. Diese Erzählung wurde besonders interessant in dem Augenblick, wo die beiden Rivalen sich begegneten, und erwies sich besonders für die Damen aufregend.
»Reizend!« flüsterten sie sich zu und die kleine Fürstin steckte die Nadel in ihre Arbeit, um zu zeigen, daß das Interesse der Anekdote ihre Arbeit unterbrach.
Inzwischen hatte Fräulein Scherer bemerkt, daß der schreckliche Peter mit dem Abbé disputierte, und beeilte sich, einer Gefahr vorzubeugen. Peter war es wirklich gelungen, ein Gespräch über das politische Gleichgewicht anzuknüpfen, und der Abbé schien über den jugendlichen Eifer Peters sichtlich entzückt. Die beiden sprachen laut und lebhaft, und das war es eben, was der Hofdame mißfiel.
»Aber wie soll man dieses Gleichgewicht herstellen?« rief Peter in dem Augenblick, als Fräulein Scherer ihm einen strengen Blick zuwarf und den Italiener fragte, wie er das nordische Klima vertrage.
»Ich stehe zu sehr unter dem Zauber des Geistes und der Bildung, besonders der weiblichen Gesellschaft, in der ich die Ehre habe, mich zu bewegen, um an das Klima denken zu können«, erwiderte er.
In demselben Augenblick erschien eine neue Persönlichkeit im Salon, das war der junge Fürst Bolkonsky, der Gemahl der kleinen Fürstin, ein hübscher junger Mann von Mittelgröße, mit stark ausgesprochenen Zügen. In allem, besonders in seinem müden Blick und seinem gemessenen Gang war er das ganze Gegenteil der so lebhaften, kleinen Frau. Er kannte jedermann im Salon; alle waren ihm langweilig, und er hätte viel darum gegeben, sie nicht sehen und hören zu müssen, seine Frau mit eingeschlossen. Sie schien ihm noch mehr Antipathie als die anderen einzuflößen, und er wandte sich mit verdrießlicher Miene von ihr ab und küßte Fräulein Scherer die Hand.
»Sie bereiten sich auf den Krieg vor, Fürst?« fragte sie.
»Der General Kutusow hat mich zum Adjutanten erwählt«, erwiderte Bolkonsky.
»Und Ihre Frau?«
»Sie wird aufs Land gehen.«
»Schämen Sie sich nicht, uns Ihrer entzückenden Frau zu berauben?«
»Andree!« rief die kleine Fürstin, ebenso kokett ihrem Mann wie den anderen gegenüber. »Wenn du die hübsche Geschichte wüßtest, welche der Graf uns eben erzählt hat.«
Der Fürst machte wieder ein verdrießliches Gesicht und entfernte sich. Peter, der ihn seit seinem Eintreten mit seinen vergnügten, freundlichen Augen verfolgt hatte, näherte sich ihm jetzt und ergriff seine Hand. Die Miene des Fürsten Andree erhellte sich plötzlich und mit gutmütigem, herzlichem Lächeln rief er: »Ach, wirklich! Bist du auch in der großen Welt?«
»Ich wußte, daß Sie hier sein würden! Ich werde nächstens bei Ihnen speisen, darf ich?« fügte er leise hinzu.
»Nein, du darfst nicht«, sagte Andree lachend, indem er Peter durch einen Händedruck die Überflüssigkeit seiner Frage begreiflich machte.
Er wollte noch etwas sagen, als der Fürst Wassil und seine Tochter sich erhoben, und die Umstehenden auf die Seite traten, um ihnen Raum zu geben.
»Entschuldigen Sie, verehrter Graf«, sagte der Fürst, »diese ungelegene Festlichkeit beim englischen Gesandten beraubt uns eines Vergnügens und nötigt uns, Sie zu unterbrechen. Ich bedaure sehr, teuerste Anna Pawlowna, Ihre reizende Soiree verlassen zu müssen.«
Seine Tochter Helene bahnte sich einen Weg durch die Stühle, indem sie ihr Kleid mit einer Hand zurückhielt. Peter betrachtete diese blendende Schönheit mit einer Mischung von Entzücken und Schrecken.
»Sie ist sehr schön!« sagte der Fürst Andree.
»Ja, sehr«, erwiderte Peter. Der Fürst Wassil drückte ihm im Vorübergehen die Hand.
»Vollenden Sie die Erziehung dieses Bären«, sagte er zu der Hofdame. »Seit elf Monaten wohnt er bei mir und dies ist das erste Mal, daß ich ihn in Gesellschaft sehe. Nichts bildet einen jungen Mann so wie die Gesellschaft geistreicher Damen.«
4
Die Hofdame versprach lächelnd, sich mit Peter zu beschäftigen, welcher, wie sie wußte, durch seinen Vater mit dem Fürsten Wassil verwandt war. Die alte Dame, welche neben der Tante saß, erhob sich plötzlich und holte den Fürsten Wassil im Vorzimmer ein.
»Was haben Sie mir zu sagen, Fürst, wegen meines Boris? Ich kann nicht länger in Petersburg bleiben. Bitte, sprechen Sie, was ich meinem armen Sohne sagen kann.« Ungeachtet der sichtlichen Verdrießlichkeit und Unhöflichkeit, mit der der Fürst sie anhörte, lächelte sie ihm zu und hielt ihn mit der Hand zurück. »Es würde Sie nur ein Wort beim Kaiser kosten, daß er direkt in die Garde eintreten könnte.«
»Seien Sie überzeugt, Fürstin, daß ich alles tun werde, was ich kann, aber es ist schwierig, Seine Majestät darum zu bitten. Ich möchte Ihnen raten, sich lieber an Rumjanzow zu wenden, das wäre besser.«
Die alte Dame war die Fürstin Drubezkoi und gehörte einer der ersten Familien Russlands an, aber sie lebte in Armut und Zurückgezogenheit und hatte alle früheren Verbindungen verloren. Sie war nur nach Petersburg gekommen, um ihren Sohn in der Garde unterzubringen, und in der Hoffnung, dem Fürsten Wassil zu begegnen, hatte sie diese Soiree besucht. Ihr einst schönes Gesicht drückte lebhaften Verdruss aus, aber dann lächelte sie wieder und ergriff den Arm des Fürsten noch kräftiger.
»Hören Sie, Fürst, ich habe Sie nie um etwas gebeten und werde auch nie wieder etwas von Ihnen erbitten. Ich habe Sie niemals an die Freundschaft meines Vaters für Sie erinnert. Aber um Gottes willen, tun Sie das für meinen Sohn, und Sie werden unser Wohltäter sein«, fügte sie hastig hinzu. »Nein, Sie müssen