Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742734396
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sah die Stadt von weitem fast wie ein Ameisenhaufen aus. Ein Ameisenhaufen, der an einem Hang klebte.

      Und sie war jetzt mitten drin. Inzwischen wusste sie, dass sie die aggressiven Straßenhändler und angeblichen Fremdenführer nicht beachten durfte.

      „Voulez-vous visiter ma shop?“

      Sie schüttelte sie ab, wie lästige Fliegen. Sie wollte nichts kaufen. Weder eine Lederjacke, noch einen Teppich oder eine 'original-marokkanische Handarbeit'.

      Vielleicht sogar 'Made in Taiwan', dachte sie.

      Aber wie dem auch immer war, sie hatte kein Geld für so etwas. Sie schlenderte an der Strandpromenade entlang. Eine Weile blieb ihr Blick an einem Mann hängen, der einen Eselskarren lenkte.

      Das Meer war ruhig. Nebelschwaden hingen tief über der schier endlosen Wasserfläche.

      Eine Filmkulisse, dachte sie plötzlich. Es ist wie in einem Film.

      Kurz entschlossen ging sie noch etwas an den Strand. Sie zog sich die Schuhe aus und ließ das kalte Salzwasser um ihre Füße herumspielen. Sie lief ein Stück über den nassen Sand und träumte vor sich hin. Das Meer rauschte. Die Straße etwas weiter oberhalb rauschte auch, aber hier unten am Strand war das Meer lauter. Sie sah sich um.

      Kein Mensch war um diese Zeit noch hier. Sie sah nur Dunkelheit und Nebel und das Meer... Und etwas weiter entfernt, als schwarze, düstere Schemen, die Verkaufsbuden und Strandrestaurants, die aber um diese Jahreszeit noch allesamt geschlossen waren. Auch tagsüber. Es waren einfach noch nicht genug Touristen da, als dass es sich gelohnt hätte, sie zu öffnen.

      Das Mondlicht kam jetzt fahl durch den Nebel und tauchte alles in ein seltsames Licht. Plötzlich mischte sich das Meeresrauschen mit Stimmen, die bald näherkamen. Im ersten Moment erschrak Elsa, dann lauschte sie. Es waren arabische Stimmen. Männerstimmen.

      Sie stand wie erstarrt da, als die Gestalten aus der Dunkelheit ins fahle Mondlicht traten. Sie hörte sie reden, aber natürlich verstand sie kein Wort.

      Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte.

      Es waren drei junge Männer. Vielleicht 20, vielleicht 25 Jahre alt. Von der traditionellen Kleidung der Marokkaner schienen sie wenig zu halten. Sie trugen Jeans und dunkle Lederjacken. Und wäre da nicht der dunkle Teint ihrer Haut gewesen, man hätte sie nicht von Gleichaltrigen irgendwo in Westeuropa unterscheiden können.

      Elsa erinnerte sich an den Eselstreiber, den sie kurz zuvor noch gesehen hatte. Alles das im selben Land zur selben Zeit...

      Die Männer musterten sie auf eine Art und Weise, die ihr unangenehm war.

      Sie blickte sich um. Aber da schien nirgendwo eine Menschenseele zu sein. Niemand außer diesen drei Typen.

      Die Männer lachten.

      Elsa hatte die instinktive Ahnung, dass es in ihrem Gespräch um sie ging. Mochte sein, dass sich ihr Gefühl manchmal täuschte, hier war sie sich ziemlich sicher.

      Sie wollte gehen.

      Einfach weg.

      Sie fühlte sich in dieser Lage nicht wohl, wandte sich um und lief ein paar Schritte. Dann geschah das, was sie die ganze Zeit über schon befürchtet hatte. Sie sprachen sie an. Erst auf Französisch, dann kurz danach auf Englisch. Schließlich auf Deutsch.

      „Woher kommst du?“, fragte einer von ihnen.

      Sie blieb stehen und wandte sich zu ihnen um. Die drei kamen näher.

      „Deutschland? Germany? Holland? Woher?“

      „Deutschland“, sagte sie. Und ihre eigene Stimme klang ihr fremd.

      „Deutschland - gut. Mein Bruder lebt dort. In Düsseldorf. Kennst du Düsseldorf?“

      „Ja.“

      „Ich war auch schon in Deutschland. In Hamburg. Und in Stuttgart. Mein Vater war beim Zirkus.“

      Sie wandte sich erneut zum Gehen. Aber sie kam nicht weit. Ein paar Schritte nur.

      „Hey, bleib hier!“

      Sie sah in ein etwas ärgerliches Gesicht.

      „Ich kann etwas Deutsch. Ich will mich nur unterhalten“, erklärte er. Die beiden anderen sahen gespannt zu. Einer grinste ziemlich frech.

      „Nur etwas unterhalten“, meinte er. „Nichts verkaufen!“

      „Das sagen alle!“, entfuhr es ihr - eine Spur unfreundlicher, als sie geplant hatte. Aber nun war es einmal heraus.

      „Deutschland gut“, sagte er davon unbeeindruckt. „Gut im Fußball und gute Autos.“ Er schien gut Wetter machen zu wollen. Dann veränderte sich sein Gesicht ein wenig. „Bist du allein hier?“

      Sie zögerte mit der Antwort.

      Sie öffnete zwar den Mund, aber es kam nichts über ihre Lippen. Sie wollte keinen Fehler machen. Auf keinen Fall.

      „Es ist niemand hier“, stellte er fest. „Hast du einen Mann?“

      Daher wehte also der Wind. Er wollte die Besitzverhältnisse abklären und von ihr wissen, ob er bei ihr landen konnte - ohne dabei in die Rechte eines anderen einzugreifen.

      „Nein“, sagte sie. „Ich meine, also...“ Sie stammelte etwas zusammen und wusste sofort, dass ihre Antwort ein Fehler gewesen war. Sie hatte es einfach so gesagt, ohne darüber nachzudenken.

      Er lächelte, aber sie erwiderte sein Lächeln nicht.

      Der junge Mann kam einen Schritt näher.

      „Nicht verheiratet?“, fragte er.

      Es schien sehr wichtig für ihn zu sein, sonst hätte er sich nicht noch einmal vergewissert.

      Er trat einen weiteren Schritt an sie heran, und ehe sie zurückweichen konnte, hatte er sie am Arm gepackt.

      „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er. Aber sie hatte Angst. Sie zitterte sogar. Sie machte ihren Arm frei und wich erneut ein paar Schritte zurück. Die drei folgten ihr.

      „Nur etwas reden...“

      „Lasst mich in Ruhe!“

      „Wir sind ein gastfreundliches Land! Und wir sind zu jedem freundlich, der zu uns freundlich ist...“

      Das war schon eine Art Drohung

      „Ihr sollt mich zufrieden lassen!“

      Sie begann zu laufen. Keuchend hetzte sie vorwärts, während die drei ihr folgten.

      Sie spielten mit ihr. Mit ihr und ihrer Furcht. Sie ließ die Schuhe fallen, die sie in der Hand gehalten hatte, und setzte zu einem Spurt an. Sie rannte, so schnell ihre Beine sie zu tragen vermochten.

      Die Männer lachten und kamen hinter ihr her.

      Elsa wusste kaum, wohin sie rannte. Sie lief einfach in die Dunkelheit hinein, weg vom Meer, weg vom Strand, dorthin, wo Menschen waren.

      Möglichst viele Menschen. In der Masse wäre sie vielleicht sicher.

      In dem weichen Sand stolperte sie über etwas. Treibholz vielleicht, das die Flut herangespült und die Ebbe nicht wieder mitgenommen hatte. Es lag einiges davon hier am Strand. Sie fiel zu Boden.

      Sie fühlte den Sand, der in ihre Kleider drang.

      Hinter ihr waren die drei Verfolger zu hören. Sie trugen Turnschuhe und kamen schnell heran. Verzweifelt versuchte sie, wieder auf die Beine zu kommen.

      Sie betrachten mich als Freiwild!, schoss es ihr durch den Kopf.

      Die Kerle schienen sich vollkommen sicher zu fühlen. Hier am Strand, wo es dunkel war und wo kein Mensch wartete...

      Das Rauschen des Meeres und der Lärm der Straße, die am Meer entlangführte, betäubten gemeinsam