„Ja. Vor drei Jahren wäre alles anders geworden. Nachdem kein Zeichen von dir kam, hatte ich mich verlobt um mich gegen dieses Gefühl zu erwehren, gegen die Illusion, als könnte noch mal was aus uns werden“. Der Zauber des Momentes war dahin. Ich sah wie er mit sich kämpfte. Ich hätte es wissen müssen, dass die Sittenstrenge seiner erzkonservativ katholischen Erziehung nur die Monogamie für ihn zuließ. Die neu entstandene Situation passte nicht in sein Lebenskonzept, seine einfach strukturierte Denkweise ließ die heutige Situation einfach nicht zu. Er wollte ein „anständiger Mann“, wie er es nannte, bleiben. Ich benahm mich dagegen schuftig. Denn ich bin zu ihm mit der Absicht gekommen, mich unvergesslich für ihn zu machen, ihn mit weiblicher Magie in eine unheilbare Sehnsucht zu stürzen, selbst auf die Gefahr hin, seine Beziehung ins Wanken zu bringen. Ich gebe zu, dass solch Verführung unmoralisch ist, doch in mir loderte eine Begierde, die nur der richtige Mann erfüllen konnte. „Aber Richard. Wir sind Jahre älter, reifer geworden. Auch ich habe diese eine Nacht nicht vergessen können. Unsere Situation heute schreit nach Verlangen. Wie lange wolltest du dich gegen dieses Gefühl wehren. Schau dich an.“ „Ach Stephanie“, hörte ich ihn flüstern“, „das habe ich nicht zu träumen erhofft. Seit unserer ersten Nacht liege ich manchmal wach in meinem Bett und träume vor mich hin. Ich, ich…, ich weiß nicht…, was mit meiner Zerrissenheit noch werden soll.…..“ Aus seinen unvollendeten Sätzen war eine Unsicherheit zu spüren und ließ Rückschlüsse auf seine moralischen Regungen zu. Ich spürte seine Zweifel an der Unrechtmäßigkeit seines Tuns. Auch wenn sich mir eine solche Frage nicht stellte, so konnte ich ihn verstehen, schließlich war er verheiratet und in dieser Verbindung ist er Vater zweier Kinder geworden. Seine Komplexe zwangen ihn zur Zurückhaltung und er erschien festentschlossen dieser „anständige Ehemann“ bleiben zu wollen. Auch wenn ich mir den Ausgang des Abends anders vorgestellt hatte, so musste ich dies respektieren. Er legte sich zu mir ins Gras und suchte meine Hand. „Vor drei Jahren hätte alles anders werden können“, wiederholte er sich. „Ich versteh deine Zweifel ja“, sagte ich ihm. „Versprich mir, dass wir uns bald wiedersehen“. Mit diesem Satz setzte ich ihn unter Druck. Ich wollte ihn nicht so einfach aufgeben, auch wenn ich wusste, dass ich an den Festen seiner Moral und seiner Beziehung rüttelte. Ich kannte ja um seine Sehnsüchte und das Verlangen, dass in ihm lebte. Mit der Grausamkeit einer jungen Frau, die ich damals war, konnte ich mich nicht damit abfinden, meine unheilbar gewordene Sehnsucht einfach ungestillt zu begraben und ihn in den Armen einer anderen zu wissen. Ich wollte für ihn unvergesslich bleiben. Richard drehte sich zu mir. „Ich verspreche es“. Damit hatte auch unser zweiter Abend ein vorschnelles und ungewolltes Ende genommen. Ich war enttäuscht und redete mir ein, dass mit Richard noch nicht alles verloren wäre. Was hat schon eine verlorene Nacht zu bedeuten. Ich war damals Anfang der zwanziger Jahre und dachte, ich musste nur lange genug warten können. Es war jene Zeit in meinem Leben, wo ich noch glaubte, dass meine Teenagerjahre sich unendlich lange hinziehen könnten. Ich hatte jede Menge Zeit zum Warten. Wenn ich hörte wie Bekannte, die nur wenig älter waren, sich schon als Erwachsen sahen, das Ende ihre Jugendzeit bedauerten, sah ich mich selbstgefällig nicht in einer solchen Gefahrenzone. Auch wenn meine Mutter in ihrem alljährlichen Monolog zu Weihnachten immer wieder davon sprach, dass die Jahre immer schneller vergehen würden, je älter man wird, sie Enkel sehen wollte, glaubte ich, dass die Zeit meiner Zwanziger Jahre ewig dauern würden. Was aber, wenn Richard mich doch vergaß? Diesen Gedanken wollte ich nicht weiter denken.
Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. Georg Christoph Lichtenberg
Wieder in Berlin
In den Tagen nach den Semesterferien in Diesbach begann ich sehr schnell wieder in den alltäglichen Wahnsinn des Lebens einzutauchen. Ein zweites Mal in meinem noch jungen Leben fühlte ich für einen kurzen Moment, dass ich mich in den richtigen Händen befunden hatte. Doch Richard schien nicht über seinen Schatten springen zu können, oder ich hatte es nur halbherzig verstanden, ihn für mich gewinnen zu können. Nun, nach all dem Erlebten fragte ich mich, wieviel Frösche es noch galt zu küssen, bis ich mich an einem Ziel fand. Der schönste Intellektuelle in Berlin verstand nicht das zu wecken, was ein einfacher Landwirt aus der Provinz mit seinen sanften Händen verstand zu spielen. Was sollte ich tun? Ich nutzte meine Zeit und sammelte die Erfahrung, dass es auch eine theoretische Art gab, Sex zu haben. Über Sex reden war eine neue Art zu vögeln, bevor man ins Bett stieg, um es auszuprobieren und festzustellen, ob es funktionieren könnte. Nur wenige kamen dazu, ihren Luftballon auch steigen lassen zu können. Doch mit jedem Tag der in Berlin verging, je mehr Schönlinge in mein Leben traten und wieder verschwanden, ich neue männliche Geschlechtsorgane und deren Besitzer ausprobierte, verstand ich das Ticken in deren Schaltzentralen und erfuhr, wie jene Organe gesteuert wurden. Es war nicht so, dass ich nymphomanische Züge entwickelte, aber ich entwickelte für diese Art zu spielen eine wohlwollende Grundeinstellung, auch wenn der Ein oder Andere meiner jugendlichen Freunde seinen persönlichen Einsatz auf meiner Spielwiese maßlos übertrieben einschätzen tat. Aber die Reize, die von ihren Spielzeugen ausgingen, waren zu etwas geworden, das ich nicht mehr missen mochte. Wenn ich sie wollte, genügte es mir ihre Körper zu gewinnen. Für mich waren sie alle flüchtige Gestalten in flüchtigen Körpern. Nicht mehr und nicht weniger. Männer als Objekte. Ich benutzte sie. Als meine Geliebten? Nein. Für einen einzigen hätte ich dieses Wort verwandt, und gerade der konnte, oder wollte es nicht sein. Ich, die Geliebte eines Mannes? Auch ein klares Nein. Wie konnte ich Geliebte eines Mannes sein, von dem ich nur erwartete, dass er mich nimmt und dann beim Gehen die Tür hinter sich schließt. Ich hätte ein anderes Wort erfinden müssen, eines, das besser beschreibt, was sie für mich waren. Ich fand es weder in einem Wörterbuch noch in einem Lexikon. Schon das Wort „Geliebter“ und die dahinter stehende Bedeutung engten mich ein, der Sinn des Wortes zu allgemein gefasst, als dass ich es für diese Wesen hätte verwenden können, denen ich in Abständen begegnete. Ich gebe zu, dass ich auch unter ihnen differenzierte, wertete, aber das Wort „Geliebter“ würde nicht ich auf sie anwenden wollen. Aber diese Zeit des Probierens war auch eine unruhige Zeit. Bislang hielt mein jugendliches Charisma alles am Laufen, immer öfter wurden aber bis dahin verdrängte Gedanken, dass das Probieren auch nachhaltige, die Zukunft beeinflussende Folgen haben könnte, bewusster. Doch ich passte ja auf. Ich suchte Selbstbestimmung, wollte den Zeitpunkt, und vor allem von wem ich ein Kind wollte, selbst bestimmen und nicht meinen Weg in die Zukunft durch eine ungewollte Schwangerschaft verbauen. Dabei malte ich mir in düstersten Vorstellungen aus, was mein Vater wohl zu einer solchen Situation sagen würde. Doch zu jener Zeit, ich spreche gerade von Mitte der 60-er Jahre, war die Pille ein noch recht umstrittenes Verhütungsmittel und kollidierte mit den damaligen religiösen Moralvorstellungen. Zudem wurde sie nur verheirateten Frauen, die bereits Kinder hatten, auf Rezept verschrieben. Aber dieses