»Ich werde sie nicht allein ziehen lassen«, antwortete ich ihm schließlich: »Ihr seid meine Familie. Aber seitdem wir hier sind, ist unsere Familie um drei wichtige Drachenkinder gewachsen und die können wir ebenso nicht im Stich lassen. Es wird gewiss nicht einfach werden. Der Tatsache werden wir uns stellen müssen.« »Soll das heißen, dein ursprünglicher Plan war tatsächlich einfach wieder von der Insel zu verschwinden?«, hakte Thylion grummelnd nach.
Ich sah ihn an und spürte plötzlich alle Blicke auf mir. Sie hatten ein Recht zu erfahren, was passiert war und was in mir vorging, oder etwa nicht? Ich seufzte leise: »Ich weiß, dass du mehr in mir siehst, als einfach nur ein weiteres Drachenkind. Aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich nicht darüber nachgedacht, was ich tue. Die Dinge sind einfach passiert. Ich habe mich in Prag dazu entschieden, dass ich fliehen will, um Niel zu retten. Wir haben den Plan geschmiedet und es hat ohne Probleme funktioniert. Es hat mich keiner aufgehalten. Ich war so voller Adrenalin, dass ich gedacht habe, wenn es einmal so gut läuft, wieso nicht gleich noch Niel befreien. Das war Anfangs nur eine spontane Idee. Aber umso weniger Hindernisse ich überwältigen musste, mit denen ich eigentlich felsenfest gerechnet hatte, umso einfacher erschien mir alles. Irgendwie hat alles einfach funktioniert. Es gab keine große Gegenwehr. Verstehst du, auf was ich hinauswill?«
Thylion blickte mich verwundert an: »Dass du denkst, dass du mehr Glück als Verstand hattest und jetzt hast du Angst, dass es dieses Mal richtige Schwierigkeiten geben könnte. Aber wie ich schon einmal sagte, du unterschätzt dich gewaltig.«
»Moment mal, aber du hast mich doch hierhergeschickt, um euch einen Vorteil zu verschaffen, oder nicht?«, hakte Varush nach.
Ich schmunzelte ihn an: »Eigentlich habe ich Chris nur
gebeten, dich zu fragen, ob du in die Wache eintrittst, um auf Niel aufzupassen. Vor allem in Hinblick auf die Tatsache, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es tatsächlich schaffe zu fliehen.«
Varush verstummte daraufhin. Eine seltsame Stille legte sich über den Raum. Hatte ich etwas Falsches gesagt? War es verkehrt ihnen die Wahrheit zu erzählen?
»Ich dachte, es wäre gut, ehrlich zu euch zu sein«, versuchte ich die Situation zu retten.
Danny schmunzelte: »Eigentlich haben wir uns das schon gedacht, oder Leute? Du bist ein Familienmensch, durch und durch. Du bist keine Kämpferin um des Siegens willen oder dem Willen, jemanden zu töten, sondern eine, die für ihre Familie eintritt. So wie bereits beim letzten Mal. Aber ich hätte gedacht, dass dir das, was du bereits geschafft hast, Mut macht, mehr zu wollen. Es geht doch nicht nur um unsere Familie. Es geht um die große ganze Familie der Unsterblichen.«
»Nein, ich denke, Cara hat recht. Es wäre sinnvoller, das hier zu beenden. Wir haben unsere Familie gerettet und sogar neue Mitglieder hinzugewonnen. Das sollte uns reichen. Wir haben bisher kaum Konsequenzen davontragen müssen. Beim nächsten Mal könnte es schlimmer ausgehen. Was ist, wenn einer von uns getötet wird? Wollt ihr diesen Preis tatsächlich bezahlen? Der Rest der Unsterblichen wird niemals soweit sein, sich uns anzuschließen«, entgegnete Osiris.
»Darum geht es doch nicht«, antwortete Elen: »Es geht darum, ein Zeichen zu setzten. Den anderen zu zeigen, dass unsere Drachenfamilie genauso stark ist wie die königliche Vampirfamilie. Dass es tatsächlich wieder ein Gleichgewicht in unserer Welt geben kann und keine Diktatur. Dafür muss man auch bereit sein, Opfer zu bringen.«
»Und nicht hierzubleiben und sich zu behaupten, würde bedeuten, ständig in der Angst zu leben, dass man uns verfolgt und tötet«, fügte Aruna an: »Cara, meine Mutter hat immer zu mir gesagt, Cara ist stark. Sie ist anders als die anderen. Sie wird einen Weg finden uns alle wieder zu vereinen. Bitte sag mir, dass sie nicht falsch liegt und wir jetzt alleine dastehen.«
Ich trat an sie heran und nahm ihre Hand: »Das werdet ihr nicht. Ich werde mit euch kämpfen, komme, was wolle. Und wenn ihr das wollt, werde ich euch anführen. Aber ich bin nicht skrupellos, geschweige denn fehlerfrei. Ich habe Angst und Mut gleichermaßen, wie vermutlich alle hier im Raum und wenn es zum ersten ernsten Zwischenfall kommt, werde ich Zweifel an der Sache haben, wie jeder von uns. Aber, was immer auch kommen mag, werde ich mit euch durchstehen. Ihr müsst mir nur versprechen, dass ich die Entscheidungen nicht alleine fällen und tragen muss.«
»Versprochen!«, antwortete Aruna mit einem Lächeln. Thylion legte daraufhin seine Hand auf unsere und grinste mich an: »Ich würde den Stellvertreterposten nehmen, falls du mal eine Auszeit brauchst.«
Niel, Elen, Udara, Chris und Danny machten es ihm nach.
»Den kannst du ausüben, wenn wir Zwei mal etwas Zweisamkeit brauchen!«, erklärte Niel lachend.
»Und wenn er selber welche braucht?«, hakte Aruna nach. Woraufhin Thylion sie mit der anderen Hand sanft in die Seite boxte: »Nicht jetzt!« Aruna blickte ihn verdutzt an, sagte aber nichts mehr. Elen und ich kicherten, als wir Chris roten Kopf bemerkten. Da war wohl tatsächlich etwas.
»Dann bleiben wir auch hier, oder? Tara? Kira? Le?« wandte sich Osiris an die anderen. Tara, Le und Kira gaben nach kurzer Zeit mit ihren Händen auf unseren zu verstehen, dass sie es zwar nicht gut heißten, uns aber nicht im Stich lassen würden.
»Das wird mindestens einen von uns das Leben kosten«, stellte Varush ernüchternd fest und legte auch seine Hand auf die unseren. »Sorry. Hat mein Vater immer gesagt.« »Dann sollten wir Dad vom Gegenteil überzeugen!«, konterte Chris lachend.
Um eine neue Ordnung zu erschaffen,
ist es manchmal notwendig,
die Alte auszulöschen.
(Daamien)
Das Versteck
Partu, Daamien und Andal schafften es, ihre Verfolger durch den mehrmaligen Wechsel ihres Fluchtfahrzeuges abzuhängen und in einem Hotel unterzutauchen.
»Es sieht so aus, als wären wir endlich allein«, stellte Partu fest, während er den schweren Vorhang zur Seite schob, um besser nach draußen sehen zu können.
»Wo sind wir eigentlich?«, fragte Andal ihn und packte eine Karte, die er im letzten Wagen gefunden hatte, aus. Partu ließ den Vorhang los und trat an Andal heran: »Hier.« Er deutete auf ein kleines Dorf an der Grenze von Tschechien nach Österreich.
»Okay. Soweit südlich. Wieso sind wir nicht direkt Richtung deutsche Grenze gefahren? Hat sie etwa noch so eine Aufgabe für uns?«, hakte Andal mürrisch nach. »Andal, lass es gut sein«, maßregelte Daamien ihn. »Partu? Hast sie dir gesagt, ob wir irgendwo hinkommen sollen?« Partu schüttelte den Kopf: »Ihr Brief war eindeutig. Verlasst die Kirche durch den Hinterausgang und erregt dabei Garushins Aufmerksamkeit. Flieht und verschafft uns Zeit.«
»Zeit?« grübelte Daamien: »Für was?«
Er lief im Zimmer auf und ab: »Zeit ... Vermutlich, um etwas zu erledigen ... Aber was? ... Mit wem? Chris ist bei ihr. Vielleicht weil sie Chris für etwas Bestimmtes braucht ... Hm ... Chris könnte Kontakt zu Varush herstellen ... Varush ist, dank ihr ... auf Gough. Das ist es.«
»Gough?«, murmelte Andal: »Das ist doch nicht ihr Ernst? Sie wollen doch nicht etwa die Insel stürmen?« »Wenn sie das nicht schon getan haben!«, antwortete Daamien nachdenklich.
»Und dann?«, fragte Andal erneut: »Abhauen? Wohin, wenn alle Schergen der Welt hinter ihnen her sind?« »Oder bleiben«, fügte Partu mit ruhiger Stimme hinzu. »Wofür?«, wollte Andal daraufhin von ihm wissen. »Was sollte jemanden freiwillig auf dieser gottverlassenen Insel halten?«
»Sie ist schwer einzunehmen und damit gut zu verteidigen. Vorausgesetzt man hat die Lufttrolle und ein paar Wassertrolle auf seiner Seite«, erwiderte Daamien. »Aber damit fordert sie ihn direkt heraus. Das kann auch gewaltig schief gehen.«
Partu nickte zustimmend: »Sie könnten vermutlich unsere Hilfe gebrauchen?«
»Das denke