Sie schob seine Hände zur Seite und versuchte Abstand zu gewinnen, was sie aber nicht zuließen. Immer noch stand sie eingekeilt zwischen ihnen.
„Und was arbeitet ihr so?“
„Das willst du nicht wirklich wissen“, grinste Reece. „Aber keine Sorge, wir sind die Guten.“
„Das versteckt ihr aber hervorragend“, entgegnete Raven mit einem sarkastischen Unterton.
Kian lachte.
„Man tut, was man kann. Na komm, wir bringen dich heim.“
„Das werdet ihr schön bleiben lassen“, wehrte Raven ab. „Wenn ihr bei mir auftaucht, bin ich ruckzuck meine Wohnung los. Darauf bin ich nicht scharf. Die ist nämlich schön billig.“
„Deswegen sind wir ja hierhergekommen.“ Kian küsste sie wieder. „Aber keine Sorge, wir versuchen unsichtbar zu bleiben.“
Das sollte wohl ein Witz sein.
„Haha“, machte Raven und schob erneut seine Hände von sich.
„Ich geh allein“, beharrte sie. „Und falls es jemals ein weiteres Mal geben sollte, dann lasst meine Hunde in Ruhe. Die sind jedes Mal total verstört.“
Diesmal griff Reece wieder nach ihr und presste sein Gesicht gegen ihren Hals.
„Es wird mit jedem Mal besser“, behauptete er und fasste ihr zwischen die Beine.
„Jetzt langt’s wirklich“, fauchte Raven und wand sich los. „Ich dachte, ihr hättet keine Zeit mehr. Dann verschwindet jetzt!“
„Kein Problem, Schätzchen“, lachte Kian. „Bis dann mal wieder.“
Sie sah den beiden erleichtert nach. Für einen Moment kam ihr der Gedanke, vielleicht doch umzuziehen. Sie verwarf ihn jedoch gleich wieder. Wenn die sie einmal gefunden hatten, würden sie es wohl auch ein zweites Mal schaffen.
Doch wenn die Kerle jetzt jede Woche bei ihr auftauchten, konnte das ein Problem werden.
Eichhörnchen gesucht
Jackson, Mississippi
Das Gebäude war hoch und lag etwas abgelegen im Dunkeln, am Rand des Industrieviertels von Jackson Mississippi. Nur zwei Straßenlaternen spendeten schummriges Licht in der Nähe des Eingangs.
Zwanzig Meter entfernt parkte ein schwarzer verbeulter Van, der aussah, als hätte er die besten Jahre schon lange hinter sich.
„Das ist doch echt zum Kotzen“, knurrte Liam Nolten und senkte das Nachtsichtgerät. „Wer zum Teufel baut Fabrikhallen mit nur zwei Eingängen?“
„Sparsame Menschen“, schlug Kian vor und tippte gegen den Monitor, auf dem der Lageplan der Halle abgebildet war. „Das Rolltor können wir vergessen. Bis wir das aufgehebelt haben, sind die gewarnt. Bleibt nur die Personaltür, aber die ist voll verkabelt. Unser Informant meint, dass sie nur von innen zu öffnen ist, wenn man Alarme vermeiden will. Es sei denn wir treiben noch einen Spezialisten auf.“
„Ich bin für die laute Art“, knurrte Reece von hinten. „Die Kerle müssen wir so oder so erledigen.“
„Da spricht mal wieder unser Mann fürs Grobe“, spöttelte Kian.
„Was ist mit dem Fenster ganz oben?“, kam von hinten die Frage.
„Dafür bräuchten wir ein Eichhörnchen“, knurrte Liam. „Erstens eins, das Klettern kann, und zweitens eins, das auch noch schmal genug ist, sich dadurch zu quetschen.“
Kian griff nach dem Nachtsichtgerät und spähte zu dem kleinen Fenster, das in etwa acht Metern Höhe offenstand.
„Hm, und wenn ich dir ein Eichhörnchen besorge?“
Liam sah ihn mit gerunzelter Stirn von der Seite an.
„Und wer soll das bitte schön sein?“
Reece fing an zu lachen.
„Im Ernst? Raven? Glaubst du nicht, dass sie dir eher die Augen auskratzt?“
„Quatsch. Schaffen könnte sie es jedenfalls.“
„Wer ist Raven?“, hakte Liam nach.
„Eine Sozialarbeiterin hier aus der Gegend. Sie betreut Straßenkids und ist nebenbei echt gut in Form.“
„Und seit wann kennt ihr sie?“
„Hm, seit ungefähr zwei Monaten. Vielleicht ist sie dir mal aufgefallen. Sie rennt immer mit drei Riesenkötern durch die Gegend.“
Liam nickte langsam. „Ich erinnere mich. – Na gut, wir haben nicht viele andere Möglichkeiten. Wie schnell kannst du sie herbringen?“
„Halbe Stunde.“
„Na dann, schieb ab!“
Kian kletterte aus dem Van und joggte los. Zwei Blocks weiter sprang er in einen Wagen und gab Gas.
*
Raven schreckte hoch und lauschte.
Jazz winselte leise. Mittlerweile konnte sie diesen Tonfall einordnen. Mit einem unterdrückten Fluch kletterte sie aus dem Bett und prallte im Wohnzimmer gegen Kian, der sie sofort herumdrehte und zurückschob.
„Zieh dir was an“, befahl er. „Ich hab‘ ‘nen Job für dich.“
Raven war so verdutzt, dass sie tat, was er verlangte. Bisher war das Kommando immer Ausziehen gewesen. Diese Variante war neu.
„Was für ein Job?“
Hastig zog sie sich die Jeans über und schlüpfte in ihre Turnschuhe.
„Eichhörnchen spielen.“
Sie konnte sein Grinsen geradezu hören.
„Wie wäre es mit Einzelheiten?“
„Später.“
Sie hatte das T-Shirt kaum an, als er sie auch schon nach draußen schob.
„Die Köter bleiben hier“, bestimmte er.
„Aber ...“
„Die stören nur.“
Raven blieb stehen und stemmte sich gegen ihn.
„Sie kommen mit“, fauchte sie. „Sie sind immer bei mir und das wird heute nicht anders sein. Also entweder wir vier oder gar nicht.“
Kian stieß ein ärgerliches Knurren aus, das sie zusammenzucken ließ. Hades, ihr größter Hund, hätte es nicht besser hinbekommen.
„Wenn einer von denen auch nur einen Laut von sich gibt, dreh ich ihm den Hals um“, drohte er und zerrte sie wieder weiter.
„Meine Jungs sind gut erzogen! Besser als ihr!“
Sie verfrachtete die Hunde auf den Rücksitz, was Kian zu einer weiteren Unmutsäußerung brachte. Sie ignorierte das einfach und kletterte auf den Beifahrersitz.
Eine Viertelstunde später stand Raven vor dem Van und fragte sich ernsthaft, wieso sie sich hatte mitnehmen lassen.
„Die Köter passen da nicht rein“, knurrte Kian ihr von hinten ins Ohr. „Also sorg dafür, dass sie hier draußen still sind!“
Raven führte die Hunde hinter den Van und ließ sie ablegen. Dann trat sie zu Kian, der sie sofort in den Wagen schob. Am liebsten wäre sie gleich wieder rückwärts hinausgesprungen, doch das verhinderte Kians Gestalt.
Im Laderaum drängten sich drei weitere Männer um einen Monitor. Das Licht war diffus. Reece grinste ihr breit entgegen, was sie nicht unbedingt beruhigte.