Ich stecke das Schwert in meine Drachenhaut zurück, mit der es verschmilzt, denn wir beide sind eins.
Die Zeit des Wartens ist zu Ende. Es gibt kein Zögern mehr, keine Furcht vor dem lauernden Tod im Dunkel.
„Eisdämonen“ sind es, die da in den Tiefen des Nebellandes das Totenlied für alle Lebewesen singen. Ihr Ruf friert alles ein, hält Leben frisch für lange Zeit.
Tiere und Menschen mögen sie töten, Magier vielleicht, doch niemals Feuerwesen wie Drachen!
Was also kann mir schon geschehen!?
Nichts!
Ich breche auf.
Träumend und lautlos erhebt sich der Drache. Drachensohn überfliegt das Nebelland.
Unter mir kriechen die Eisdämonen aus ihren Höhlen, geweckt vom Rauschen meiner Flügel.
Jetzt greifen sie empor mit ihren eisigen Klauen.
Ich aber öffne meinen Mund und hauche mein Feuer über sie.
So schmelzen sie brodelnd und schreiend dahin, platzen spritzend auseinander.
Ein Weilchen kreise ich und genieße die Abkühlung von unten - oder habe auch ich ein böses weißes Herz, das nach Vergeltung/Rache für den Tod so vieler Lebewesen schreit?
Dann fliege ich weiter, lasse Wasserlachen unter/hinter mir zurück.
Lachend schwebt Drachensohn, dessen Flügel zu beträchtlicher Größe angewachsen sind - „Quetzalcoatlus“, flüstert eine Stimme tief in ihm -, bis zur östlichen Grenze des Nebellandes. Ein weiter Weg ist dies - unüberwindbar für Menschenfüße, doch nicht für diese Drachenflügel.
Und während er durch den Raum gleitet, geschieht das Wunder - durch ihn allein, weil er es immer schon wollte und nicht konnte, weil er jetzt nicht daran denkt? - oder mit Hilfe seiner Drachenmutter und all der anderen weißen Drachen?
Niemals als Mensch, doch als Drache kann er es tun: nicht ihren toten Körper zum Leben erwecken, sondern ihre Seele zu neuem Leben.
So wird Nairra andernorts durch Drachenmagie wiedergeboren.
Jenseits des Nebellandes aber, niemals im Tal, doch an den Grenzen im Osten dort oben auf dem Plateau wehen die Westwinde über Stein, über Sand und Gräsernes Meer . Wahnsinn wehten und webten sie in Menschenhirne. Menschenseelen bliesen sie aus Menschenkörpern, nähmen die leeren Hüllen hinfort, wehten leere Körper übers Land - wenn es denn dort Menschen gäbe.
Das sind die Worte, die irgendwer spricht, das ist das Bild tief in mir, der ich nun nach meiner Landung hier unten am äußersten östlichen Rand des Nebellandes stehe, nicht oben, sondern am Fuß der Felsenwand, die kilometerweit hoch in die Himmel zu reichen scheint und noch immer wächst - oder erscheint es mir nur so, weil ich vom gewaltigen Drachen zum winzigen Menschen schrumpfe?
Nun stehe ich also hier, mit einem Fuß noch im Nebelland und mit dem anderen schon in der Schlucht, drehe mich im Kreis, drehe mich im Wind, von Ost nach Süd nach West nach Nord nach Ost. Dann verharre ich und nur mein Auge ist es, das adlergleich in Kreisen mit dem Aufwind nach oben steigt und dort auf Wolken und Wind reitend sich weiter im Kreise dreht.
Jetzt habe ich den gewünschten Überblick: sehe unter mir die Nebel im Westen, eine winzige Gestalt und eine Schlucht, die in zahlreichen Windungen den schützenden Felsenring von West nach Ost durchquert.
Mein Blick fällt wieder hinab, kehrt zurück in meinen Menschenkörper.
Nun verstehe ich, was ich sah und was es für mich bedeutet: Die Schlucht, das ist der Weg des Wanderers, ein Weg, den wenige Wesen nur beschreiten. Denn nur die, die Nebel und Drachen und Eisdämonen überleben, nur sie gelangen hierher. Wie viele, wie wenige mögen das in den letzten Jahrtausenden gewesen sein? Es ist der einzige Weg durch die ruhenden Tafelberge hindurch, um weiter nach Osten in die großen Steppen zu gelangen. Es ist mein Weg.
Du aber wunderst dich schon wieder: Warum fliegt Manfred nicht einfach weiter. Flog er nicht eben noch als Drache durch die Lüfte? Und wenn es eine Grenze wäre für Drachen, vielleicht dann nicht für Raben. Könnte er nicht auch jetzt noch als Mensch hinaufschweben. Begann nicht seine Reise vor langer Zeit mit seinem Aufstieg ums Rathaus herum und seinem Flug aus der Stadt ?
Ja, vieles könnte anders sein und anders geschehen. Nichts ist vorhersagbar. Ein kleiner „Zufall“, und schon ... hat der Wind ihn gepackt und fortge...
Nein, noch nicht.
Jetzt wage ich den ersten Schritt, der immer der schwerste ist, setze einen Fuß in die Schlucht hinein und - es geht ja - auch den zweiten. So also verlasse ich das Nebelland, das ich wohl niemals wiedersehen, -fühlen, -erleben werde.
Wind bläst mir in den Rücken, treibt mich voran. Wind heult in meinen Ohren, dringt in meinen Geist ein. Wind heult mit meiner Seele!
Halte ich mir die Ohren zu?
Stehe ich aufrecht da mit erhobenen Armen und warte?
Nein. Ich falle auf alle Viere. Hebe meinen Kopf und schaue empor.
Voll geht die Mondin über mir auf - in einer nie erahnten Größe, noch sind da Farben für einen Augenblick, dann schon nicht mehr. Denn ich habe mich verwandelt. Heule sie an wie die anderen auch, falle zurück in andere Zeiten, bin Wolf unter Wölfen.
Dieses Heulen aber gebärt Höllen.
Oder sind es Erinnerungen an ferne Zeiten und Welten?
Bin der Schrei der Folter, Opfer von Feuer und glühender Eisen. Bin das Stöhnen der Henkersknechte, die wiedergeboren nun selber Opfer sind.
Weiter, immer weiter. Wirble hinab in tiefste Tiefen. Schon lange ist da kein Denken mehr, sondern nur Fühlen. Andere Visionen, Wahnsinn, Höllenträume, Höllenbilder, Höllenqualen packen mich.
Einer tritt mir entgegen, der ist wie ich und ist es doch nicht. Auch er kann Menschengestalt annehmen, jetzt aber ist er ein Rabe. Malphas ist sein Name. Einer der hohen Gebieter der Menschenhölle ist er, der mich jetzt mit heiserer Stimme anspricht.
Ich sehe und höre, doch verstehe ich ihn nicht, der in seiner Welt mächtig ist, aber nicht in meiner. Dort befiehlt er über 40 Legionen von Teufeln. Dort - doch nicht hier. Ich verstehe ihn nicht und verliere ihn aus dem Sinn. Schon ist er verschwunden.
Finde mich wieder in einer Nebelhölle, die sich wandelt in leeres Nebelland, also Land, fester Boden unter meinen Menschenfüßen, Rettung.
Erwacht in meinem Menschenkörper, schaue ich mich um. Da ist kein Nebel, da ist kein Wesen weit und breit. Hinter mir sehe ich die Pforte zur Schlucht, durch die ich ging.
Ich gehe weiter meinen schmalen Weg. Neben mir ragen die Wände aus Granit bis in die Wolken auf, die weder ziehen noch sich wandeln, sondern nur eine einheitliche graue Decke bilden. Dunkelheit am Tag und Schwärze bei Nacht. „Mordor“,