Ich öffne meine Augen.
Was geschah? Starb ich? Wurde ich wiedergeboren? Wo bin ich?
Schwebe nicht mehr, sondern stehe aufrecht auf der Erde, drehe mich einmal im Kreis und schaue mich um und sehe ihn nicht. Trete ein paar Schritte zurück und erkenne die Formen im Felsen vor mir: gewaltig, gigantisch, doch ohne Leben, in der Bewegung erstarrt, als hätte er einst Medusa erblickt, so ragt ein Jadedrache vor mir auf.
Ist es überhaupt ein Drache?, frage ich mich nun doch. Was sahen Menschen nicht alles schon in irgendwelchen Formen - Kanäle und ein Gesicht auf dem Mars - und schon war die Marszivilisation geboren, Leben, das es in bescheidener Form dort geben könnte, einst gegeben hat, wieder geben wird.
Also träumte ich nur, der Drache würde erwachen. Also tat ich noch nichts. Das muss irgendwie an diesem Nebelland liegen: nichts als Schäume und Träume.
Also stehe ich auf, hebe meine Arme und singe mit gewaltiger Stimme die magischen Worte.
Und eine zweite Stimme flüstert synchron andere Worte in mir und aus mir hinaus.
Und so ist es, als sei ich ein Vogel und könnte auf der Syrinx mich selbst begleiten.
Draußen aber ...
Schau an: es scheint, als verwandelten sich Manfreds Mund und Hals für einen Augenblick, in dem er die Worte singt, in den eines Drachen.
Rufe die Worte hinaus, die Drachen wecken. Sie lauten:
„Stein, wach auf!
Kehre ins Leben zurück!
Drache bist du!
DRACHE erwache!
Wach auf aus deinen Träumen!
Wach auf!“
Singe immer und immer wieder den Refrain: „Wach auf!“
Nichts geschieht.
Nun, einen Versuch war es wert. Hätte ja gelingen können. Setze mich wieder ins Laub, das ein kleiner Zauber trocknete. Jetzt hüllt mich wieder ein Bärenfell ein. Es ist kalt geworden.
Fliegt Zeit dahin, vergeht der Tag. Der Sonn versinkt so rot und groß hinter Büschen und Bäumen.
Nacht. Sterne strahlen über mir. Voller Sehnsucht schaue ich auf. Kein Nebel nirgendwo. Und auch die Volle Mondin scheint dort still zu stehen.
Werwolfzeit, Zeit der Morde, Zeit der Liebe, denke ich noch und ...
Manfred schläft. Nichts passiert.
Noch immer nichts.
Nichts - nichts - nichts - …
Jetzt aber ist da ein Fauchen, ein Hitzeschwall.
Ja, so erwachen Drachen und lachen.
Dieser Lärm! Springe auf und ziehe mein Schwert aus den Dimensionen, in denen es geborgen ruhte.
Sie falten sich wieder zu und behalten OM in sich.
Ach, diese lebenswichtigen Reflexe. Meist sind sie gut und richtig, doch jetzt und hier scheint mein Schwert der Meinung zu sein, dass ich es nicht brauche. Tja, so ist das mit denkenden Waffen.
Also bleibt mir nichts anderes übrig als zu verharren. Ich rieche, höre, fühle und weiß, was war, was ist, stehe da und schaue dem Drachen in die Augen, versuche, ihn zu bannen.
Seine Augen aber befehlen mir.
„Komm näher! Komm zu mir und wärme dich! Denn kalt ist die Nacht. Komm zu mir!“, flüstert seine Stimme in meinen Ohren, meinem Geist, in meiner Seele.
So muss ich denn gehorchen, gehe näher und näher an den Drachen heran, sehe es für den Bruchteil einer Sekunde auf mich zuschießen, denke einen letzten Gedanken: Feuer!
Schwärze.
Erwacht, frage ich mich: Starb ich? Bin ich nun tot - gegrillt, verkohlt, zu Staub zerfallen, längst gestorben, im Jenseits geborgen?
Ich lebe!
Wo lebe ich und wann?
Bin wohl wiedergeboren, denn mein Menschenkörper brannte, verbrannte. Daran erinnere ich mich und verstehe: Mein alter Körper blieb drüben - in der alten Welt zurück. Hier aber im Drachenland laufe ich die ersten Schritte auf allen Vieren zum Ufer hin, schaue in den spiegelnden See und betrachte still meinen Drachenkörper.
Sehe verwundert meine Hände an, die sich nirgendwo mehr spiegeln, denn da ist kein See vor mir. Das sind ja Menschenhände. Da waren doch eben noch Drach... Und da sind Menschenbeine, ein Menschenrumpf. Ich betaste meinen Kopf, auch der scheint ziemlich menschlich zu sein.
Diese Träume!, denke ich verwundert. Alles schien doch so real. Aber Träume sind Schäume. Träumte ich tatsächlich, als Drache zu erwachen! Wie kann das sein? Träumte ich, von Drachenatem verbrannt zu werden? Träumte gar, ein steinerner Drache erwachte?
Versuche, mich zu erinnern: Was sah ich noch in meinem Traum? Was nahm ich mit meinen Drachensinnen wahr?
Einen Augenblick lang sah ich die Drachen in ihren Höhlen liegen: Weit reichen ihre Sinne ins Nebelland hinaus. Rauch steigt aus ihren Nüstern auf, Rauch, der sich mit dem Nebel der feuchten Wiesen mischt. Und jetzt begreife ich, woraus die Wolken über dem Nebelland bestehen. Sie sind Wiesen-, Moor- und Drachenatem.
Ja, im Nebel wohnen die Drachen. Ich habe von Drachen geträumt!
Und du, liebe(r) LeserIn glaubst, es gäbe die Drachen der alten Sagen und Märchen nicht mehr, die hätte es nie gegeben? Vielleicht glaubst du den Biologen, die dir sagen, dass Drachen gewaltige Warane waren oder Saurier, Relikte aus den alten Tagen der Größe, als unsere Vorfahren noch Spitzmäuse waren? Oder dass einige Dinos bis in die ersten Tagen der Menschheit, Vormenschheit überlebt und sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hätten. Andere kennst du, die erzählen von Drachen, auf denen Menschen reiten wie auf Pferden, Drachen, die nichts anderes als Flugsaurier sind? Drachen wären nicht aus Fleisch und Blut, meinen wieder andere. Welches Wesen kann schon Feuer speien? Drachen wären die Raumschiffe der Götter gewesen, die einst die Erde besuchten?, schrieb einer einst.
Wenn du dies oder jenes glaubst, dann irrst du dich gewaltig - drachengewaltig! Denn alles ist falsch. So sind Drachen nicht, sind sie nie gewesen. Aber sie sind , sie waren , sie werden sein - sie existieren! Wenige Menschen gibt es heute noch, die sie sehen können. Und selten ist da einer, der ihnen begegnet. Denn Drachen leben in anderen Dimensionen, in Räumen neben unserem Raum, in Zeiten neben unserer irdischen Zeit. Ja, hier in diesem versteckten Nebeltal könnten sie existieren. Du denkst an vergessene, verlorene Welten, an Tepuis und Saurier, Atlantis und Caprona. Dort jedoch ist Manfred nicht, jetzt und hier weilt er im Nebelland .
Worte zerbrechen die Stille, klingen wie Glocken, als kämen sie von weit, weit her, als wären sie vor langer Zeit in uralter Sprache gesprochen und hallten noch immer und immer wieder wider. Und nun haben sie auf ihrem langen Weg endlich dieses Tal und meine Ohren, meinen Geist meine Seele, mich - ihr Ziel? - erreicht:
„Schau mich an!“, spricht nicht der versteinerte, sondern der andere Drache jenseits/neben/über mir.
Ich gehorche und ... begrüße ihn mit einem wahren Schwall von Worten, höre nicht auf zu quatschen. Reden lenkt von der Angst ab und verwandelt sie doch nicht in Mut,