Taterndorf. Johanna Marie Jakob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Marie Jakob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002416
Скачать книгу
war es bereits dunkel, der flackernde Lichtkreis der Petroleumlampe tastete sich den Dorfanger hinauf. Magdalena hielt die Lichtquelle am vorgestreckten Arm, mit dem anderen hakte sie Wilhelm unter. Sie hatte geglaubt, bei ihm Halt zu finden auf dem vom Regen aufgeweichten Platz, doch bald merkte sie, dass er an der frischen Luft Probleme mit dem Gleichgewicht hatte.

      „Liebe Güte, Wilhelm, du bist betrunken“, schimpfte sie leise. „Was soll denn der Herr Pastor von uns denken?“

      Inzwischen hatten sie die Dorfstraße erreicht, die zwischen den dicht stehenden Häusern hindurch schnurgerade in Richtung Wenden führte. Das jedenfalls hatte der Wirt ihnen versichert. Das alte Wendendorf sei voller Bauernhöfe, die keineswegs mehr so geordnet lägen wie die Handtuchgrundstücke im Neuen Dorf, aber wenn sie nur immer dieser einen Straße folgen würden, kämen sie direkt zum Pfarrhaus, das sie an der davor stehenden Eiche erkennen würden.

      Die Straße kam Magdalena enger vor als vor wenigen Stunden im Tageslicht, es war, als würden die Häuser im Dunkeln zusammenrücken, um sich nachts die Geheimnisse ihrer Bewohner zuzuraunen. Wie Totenschädel starrten sie auf die beiden einsamen Fußgänger herab, nur einzelne Fassaden sandten, mit warmem Lichtschein aus den Fenstern, ein freundliches Lächeln für die Ankömmlinge.

      Sie hatte sich gefragt, wie sie im Stockfinsteren eine Eiche erkennen sollten, aber jetzt zeigte sich, dass ihre Probleme ganz anderer Art waren. Wie vermochte sie ihren wankenden Mann am rechten Arm und die blakende Funzel am linken unbeschadet bis in dieses Bauerndorf bringen? Sie versuchte, sich abzulenken, indem sie in die wenigen beleuchteten Stuben der Dörfler blickte, an deren Fenstern sie vorüber stolperten. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen und sie konnte ihr Kopftuch in den Nacken schieben. Wilhelm hatte darauf bestanden, wenigstens den Koffer mitzunehmen. Der schlug jetzt wiederholt gegen sein Schienbein und brachte ihn zum Straucheln. Magdalena seufzte. Sie würde auf ihn aufpassen müssen. Schon am ersten Abend hatten sie ihn gnadenlos über den Tisch gezogen.

      Er stellte den Koffer ab, was ein leises Schmatzen im Matsch erzeugte und streckte den Rücken. Im Haus neben ihnen weinte ein Kind. „Ich schätze, die haben mich ausgetrickst“, sagte er kleinlaut.

      Durch das Fenster sahen sie eine Frau frische Scheite in den Ofen legen. Der Schein der Flammen leuchtete aus der Ofentür hinaus auf die Straße und geradewegs in Wilhelms zerknirschtes Gesicht. Er sah aus wie ein Schauspieler auf der Bühne, der nicht wusste, in welchem Stück er gerade spielte.

      „Macht nichts“, tröstete Magdalena, „das zahlen wir ihnen irgendwann heim. Jetzt komm weiter. Ich fürchte, wir werden den Pastor aus dem Bett klopfen müssen.“

      Als die Häuserzeile endete, führte die Straße ein Stück über freies Land und sie rochen frisch gepflügte, feuchte Erde. Dann tauchten die ersten Bauernhöfe im Lampenlicht auf. Breite Holztore zwischen Steinmauern wirkten wie Höhleneingänge und atmeten den Gestank der Misthaufen aus. Die Häuser der Bauern duckten sich hinter den Kalksteinmauern und ließen keinen Lichtschimmer hinaus in die Nacht. Nur die Petroleumlampe und das Gekläff der aufgescheuchten Hunde zeigten ihnen den Weg. Glücklicherweise hatte Wilhelm sich inzwischen einigermaßen vom Schnaps erholt, denn den Koffer über den zerfahrenen Weg zu schleppen, erwies sich zunehmend schwierig. Seine Armmuskeln brannten und sein Rücken schmerzte. Wenigstens ging es jetzt leicht bergab. Die Straße wand sich nach links um einen Hof herum. Noch immer hatten sie keine Eiche gesehen.

      „Und wenn wir schon vorbei gelaufen sind?“, stellte Magdalena die Frage, die ihm bereits einige Zeit durch den Kopf ging, ohne dass er sie ausgesprochen hatte. Seit die Wirkung des Alkohols nachließ, quälten ihn Halsschmerzen, die prompte Reaktion seines Körpers auf die Kälte und die nasse Kleidung.

      Während er überlegte, was er Magdalena antworten sollte, blieb diese abrupt stehen. Der Koffer schlug gegen sein Schienbein, als sie an seinem Arm zerrte.

      „Sieh doch, dort vorn!“

      Aus der feuchten Dunkelheit schälte sich die kahle Krone eines Baumes. Wilhelm bückte sich, hob ein Blatt auf und hielt es in den Lichtkegel der Lampe. Gottlob, es war ein Eichenblatt! Am Rande des Platzes leuchtete anheimelnd ein einzelnes Fenster in einem freistehenden Haus ohne Zaun und ohne Mauer.

      „Das muss es sein“, sagte Magdalena voller Inbrunst, mit der sie ihrem Wunsch, endlich angekommen zu sein, Nachdruck verleihen wollte.

      „Zum Glück brennt noch Licht.“ Er stellte den Koffer mit einem leisen Seufzer ab und klopfte an die Doppeltür aus derben Holzbohlen. Es geschah nichts. Die Stille im Haus und in der Straße war erdrückend, selbst die Hunde schwiegen jetzt, als gäbe es unter ihnen eine geheime Absprache. Wilhelm klopfte noch einmal. Wieder nichts. Von dem Baum hinter ihnen tropfte Regenwasser in die Pfützen.

      Schließlich hämmerte Magdalena mit der Faust an das Holz, dass die gesamte Tür in ihren Angeln erbebte. Wilhelm schnappte nach Luft, doch der Erfolg gab ihr recht. Aus dem Haus kamen die Geräusche schlurfender Schritte und das Murmeln einer Männerstimme. Ein Schloss klackte und kurz darauf fiel das Licht einer flackernden Kerze auf die beiden Reisenden. Sie wurde von einem Mann gehalten, der sie verwirrt anblinzelte. Über seine rechte Wange zogen sich Druckstellen, sein schütteres Haar hing ihm unordentlich über das Ohr. „Sind Sie der Missionar?“, fragte er unfreundlich, bevor Wilhelm etwas sagen konnte. „Ich habe Sie früher erwartet.“

      „Ja, Wilhelm Blankenburg ist mein Name. Das ist meine Frau Magdalena. Es gab Schwierigkeiten mit …“

      „Kommen Sie erst mal rein.“ Der Mann öffnete die Tür weiter und trat beiseite. „Möchten Sie etwas essen? Wir hatten zu Abend mit Ihnen gerechnet, nun ist das Mahl natürlich kalt.“

      „Oh, bitte keine Umstände! Das ist völlig in Ordnung. Wie gesagt, wir wären schon früher …“

      „Meine Frau ist inzwischen zu Bett gegangen. Das würde ich auch gern tun. Da hinten ist die Küche. Das Essen steht auf dem Tisch. Diese Treppe rauf, erste Tür rechts, dort befindet sich Ihre Schlafkammer. Morgen, gleich in der Frühe, muss ich nach Nordhausen, die Kutsche geht um neun. Ich nehme an, Sie wollen mich begleiten?“

      „Ja, gern. Der Landrat von Arnstedt erwartet mich.“

      „Na dann, eine gute Nacht!“ Er drückte Wilhelm die blakende Kerze in die Hand und verschwand im Dunkel des Treppenhauses.

      Wilhelm und Magdalena sahen sich eine Weile sprachlos an. Sie fasste sich als Erste. „Komm, ich habe Hunger.“ Sie zog ihn in die von ihrem Gastgeber beschriebene Richtung. Nach dem kargen Empfang erschien ihnen der gedeckte Tisch mehr als üppig. Eine gebratene Schwartenwurst kringelte sich neben dicken Brotscheiben. Wilhelm schnupperte an einer Schüssel, in der helle Gemüsestücke in einer gelben Soße schwammen. „Kohlrabi“, brummte er genießerisch.

      Während er zwei Teller füllte, sah Magdalena sich in der Küche um. Neben dem stabilen Tisch in der Mitte des Raumes mit vier derben Holzhockern gab es einen Schrank, der mit kleinen gehäkelten Gardinen hinter grünen Glasscheiben Gemütlichkeit ausstrahlte. Gleich neben der Tür stand ein großer weißer Herd mit einer glänzend gewienerten Platte. Ein Wasserkessel in der Ecke weckte Appetit auf frischen Tee, doch das Feuer war heruntergebrannt.

      Wilhelm hatte eine Schüssel mit Käse entdeckt und begann die Wurst zu zerschneiden. „Komm, setz dich.“

      „Ich habe Durst.“

      „Hier ist Wasser im Krug.“

      „Werden wir lange hier wohnen?“, fragte Magdalena und musterte das Besteck mit den hölzernen Griffen.

      „Nein. Wir sollen ein Haus in Friedrichslohra beziehen. Der Landrat wird mir morgen die Papiere ausstellen. Es hieß, wir bekämen Möbel und Hausrat.“

      „Mmh.“

      „Was ist?“

      Sie schob ihren Kopf über den Tisch und flüsterte zwischen zwei Bissen: „Ich finde diesen Pastor unheimlich. Ich möchte hier nicht länger bleiben.“

      „Sobald das Haus bezugsfertig ist, sind wir hier weg. Es dauert sicher nur ein paar Tage.“

      Der