„… und deshalb sind wir hier. Wir wollen Ihnen helfen, mit geregelter Arbeit zu einem besseren Leben zu kommen. Wenn Sie täglich arbeiten gehen, werden Sie Lohn erhalten, von dem Sie Nahrung und Kleidung kaufen können. Jede Familie wird eine Wohnung haben. Nicht zwanzig Zigeuner werden in einem Raum leben, sondern eine Zigeunerfamilie wird ein ganzes Haus bewohnen. Vielleicht mit einem kleinen Garten dahinter, indem Sie Kohl züchten und Äpfel und was Sie möchten.“
Die beiden Männer hörten ihm still zu, sogen an ihren Pfeifen und nickten dann und wann andächtig. Wilhelm, der mit Widerspruch gerechnet hatte, schwieg einen Moment verwirrt und redete weiter. „Denken Sie an Ihre Kinder und Kindeskinder. Ich bin noch nicht lange hier, aber wie elend sie sind, das habe ich schon erkannt. Sie haben Läuse und Krätze und sie sind immer hungrig. Ich weiß, dass Sie Ihre Kinder lieben, sollten sie nicht satt sein und warm gekleidet?“
Wieder nickten die Männer, ohne etwas zu sagen.
„Und noch etwas: Ihre Kinder sollten lesen, schreiben und rechnen lernen. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie wichtig das heutzutage ist, um sich im Leben zurechtzufinden. Sie wollen gewiss, dass die Kinder zu nützlichen Gliedern unserer Gesellschaft werden. Außerdem sollten Sie zu Gott beten. Wir werden Ihnen die Heilige Schrift näherbringen, damit Sie Hilfe und Trost darin finden.“
Wilhelm schwieg, alles, was er sich überlegt hatte, war gesagt. Er blickte die Männer fragend an.
Der bulibasha blies eine Rauchwolke gegen die Decke und richtete seinen Blick fest auf Wilhelm. „Das ist gut, was du da sagst. Doch wie willst du das alles schaffen? Bist du reich, dass du uns Wohnung geben kannst? Hast du Geld für Kleidung und einen Lehrer für unsere Kinder?“
„Der Lehrer will ich selbst sein. Auch meine Frau wird Ihre Kinder unterweisen. Häuser sind hier im Dorf genug frei, wir müssen sie nur instand setzen. Das Land wird sie uns zur Verfügung stellen, wenn der gute Wille erkennbar ist. Geld wird am Anfang aus Spenden kommen. Unser Ziel ist es, dass Sie einmal selbst in der Lage sind, Geld zu erwirtschaften. Alle erwachsenen Zigeuner im arbeitsfähigen Alter werden Arbeit haben. Ich helfe Ihnen dabei, welche zu finden. Und mit dem eigenhändig verdienten Geld können Sie Ihre Familie ernähren.“
Der alte Mettbach nahm die Pfeife aus dem Mund. „Selbst wenn wir nicht gearbeitet haben, hat Gott uns ernährt.“
Magdalena hatte bisher geschwiegen, jetzt schaltete sie sich ein: „Aber wie elend leben Sie dabei. Es ist nicht Gottes Wille, dass Sie ohne Arbeit sind. In der Bibel steht ausdrücklich, dass man im Schweiße seines Angesichtes sein Brot essen solle und Apostel Paulus sagt, wer nicht arbeite, der solle auch nicht essen.“
„Die Tiere des Waldes und die Vögel in der Luft, arbeiten sie etwa? Und Gott ernährt sie doch.“ Der alte Mettbach grinste schlitzohrig.
„Und frieren die Tiere nicht des Winters im Wald? Sie haben keine Wohnung, keine Öfen, an denen sie sich wärmen könnten.“ Magdalena sah ihn fragend an.
Der Alte nickte anerkennend. Er schien Spaß an dieser Debatte zu haben.
Wilhelm ergriff wieder das Wort. „Bis spätestens Ende nächsten Jahres wollen wir eine Schule errichten, in der Ihre Kinder tagsüber lernen. Abends kehren sie dann zu Ihnen zurück. Voraussetzung ist, dass jede Familie eine Wohnung hat und die Männer einer geregelten Beschäftigung nachgehen. Niemand soll mehr im Wald leben oder gar auf Reisen gehen. Ich werde damit anfangen, jedem Zigeuner, der jung und kräftig ist, eine Arbeitsstelle zu beschaffen. Meine Frau wird hier in dieser Stube beginnen, die Kinder zu unterrichten.“
„Die meisten von unseren jungen Männern arbeiten bereits. Georg spielt auf dem Jahrmarkt das Zimbal, die Söhne des alten Steinbach sind gute Scherenschleifer.“
Der alte Mettbach nahm die Pfeife aus dem Mund und begann mit dumpfer Stimme zu singen: „Bringt stumpfe Scheren und Messer raus, der Scherenschleifer steht vorm Haus!“ Er lachte mit zahnlosem Mund und verstummte unvermittelt wieder.
„Mein Sohn Christoph spielt Geige und seine Söhne“, der Bulibasha zeigte auf Mettbach, „sind geschickte Seiltänzer.“
„Wie oft können Ihre Söhne dieser Arbeit nachgehen? Ist etwa jeden Tag Jahrmarkt? Sie brauchen eine Tätigkeit, die sie jeden Tag ausüben, elf Stunden im Sommer und acht im Winter, Tag für Tag, außer sonntags. Nur dann werden sie genug und regelmäßig Geld verdienen und ihre Kinder ernähren und kleiden können.“
Der Bulibasha klopfte seine Pfeife auf den neuen Dielen aus. Magdalena versuchte, es zu ignorieren. Er sah den alten Mettbach an und sie nickten sich zu. „Wenn ihr für uns und unsere Kinder sorgen wollt, dann haben wir nichts dagegen. Doch wir wollen nicht verschweigen, dass uns gesagt wurde, dass ihr ein großes Zuchthaus bauen wollt, in das wir alle hineinkommen sollen, und ihr euch unserer Kinder bemächtigen würdet. Es heißt bei uns, der Wolf streichelt kein Schaf. Wir müssen euch das Versprechen abnehmen, dass ihr so etwas nicht tun werdet.“
Wilhelm richtete sich auf. „Meine Herren, ich schwöre Ihnen, wenn Sie es möchten, sogar auf die Bibel, dass niemand vorhat, ein Zuchthaus zu bauen. Wir werden Ihnen nicht die Kinder nehmen, im Gegenteil, wir wollen Ihre Kinder zu gescheiten, gottesfürchtigen und tüchtigen Menschen erziehen.“
Magdalena nickte und legte zur Bekräftigung ihre Hand aufs Herz. Sie hoffte, dass die beiden Männer diese Geste verstehen würden.
„Dann ist alles gesagt. Was wir besprochen haben, müssen jetzt alle wissen. Wir reden mit unseren Frauen und Söhnen, dass sie eurem Anliegen offen gegenüberstehen sollen.“ Der alte Mettbach nickte zu den Worten des Bulibasha, beide erhoben sich gewandt und verbeugten sich zum Abschied.
Als sie hinaus waren, standen Magdalena und Wilhelm sich einen Moment lang schweigend gegenüber, dann umarmten sie sich stumm. Die erste Schlacht war geschlagen. Ob sie auch gewonnen war, musste sich erst zeigen.
2. Vertrauen
Wo ich die Flamme bin,
sei du die Kohle.
Wo ich der Regen bin,
sei du das Wasser.
(Beschwörungsformel der Zigeuner)
Der Abschied vom Pfarrhaus fiel Magdalena nicht schwer, der von Christine dagegen schon. Sie hatte das Gefühl, die kleine Frau in ihrem elenden Alltag allein zurückzulassen. „Sie müssen mich besuchen, versprechen Sie mir das?“
Christines Augen huschten umher wie Mäuse auf der Flucht vor der Katze. Sie hatte Angst, das war unverkennbar. Gewiss hatte ihr Mann in weiser Voraussicht verboten, weiter Kontakt zu ihr zu halten. Magdalena sah Pastor Blume direkt an. „Sie haben doch nichts dagegen, wenn Christine uns besuchen kommt? Sie ist die einzige Frau, die ich hier im Dorf kenne.“
Der Pastor hielt ihrem Blick stand. Er antwortete nicht gleich, dann drehte er sich so, dass seine Frau seine Lippen nicht sehen konnte. „Sie sollten Christine da rauslassen, Frau Blankenburg. Sie hat es schwer genug in diesem Dorf. Wenn sie mit der Zigeunermission in Verbindung gebracht wird, dann wird es nicht leichter für sie.“
„Ich glaube, sie braucht den Kontakt zu den Menschen, Herr Pastor. Sie wird deswegen gemieden, weil sie so scheu ist. Die Leute halten sie für sonderbar, weil sie Christine nicht richtig kennen. Sie sollten Ihrer Frau mehr Freiheiten gönnen, sie könnte ein Juwel für Ihre Gemeinde sein.“ Magdalena hatte sich nicht abgewandt, ihr war es wichtig, dass Christine sie verstand.
Die Augen des Pastors wurden schmal. „Was wissen Sie denn von diesen Menschen hier? Sie sind gerade eine Woche da und wollen sie besser kennen als ich? Ich lebe seit dreißig Jahren hier, Christine ist hier aufgewachsen. Mir muss niemand erklären, wie ich die Leute zu nehmen habe. Aber ich bin sicher, Sie werden sie