Die Koordinatorin nickte beifällig. „Wenn Sie gestatten … Ich habe eine Karte entworfen, die das in Frage kommende Suchgebiet betrifft. Zumindest, so weit wir dies für den ersten Nullzeit-Sturz der Juliette Beecher einschätzen können.“
Die Professorin stellte eine Verbindung zwischen ihrem Mini-Comp am Handgelenk und der Steuerung des Tisches her. Über der Tischplatte bildete sich eine holografische Karte des Weltraums, die rasch in jenen Sektor zoomte, in dem Outer-Rim-Station 47 lag.
„Von der Trafalgar kennen wir die Flugdaten, mit denen die Juliette Beecher aus dem System geflohen und in die Nullzeit gegangen ist. Eine Eigenheit des Hiromata-Antriebs und auch der Schwingungsantriebe der Norsun und Negaruyen ist es, dass ein Schiff nur in Flugrichtung in die Nullzeit gehen kann. Die Richtung lässt sich nicht verändern, nur die Distanz, die in der Nullzeit zurückgelegt wird. Die Beecher könnte zwanzig Lichtjahre zurückgelegt haben oder ebenso gut Zweitausend oder mehr. Aber, wie gesagt und das ist das einzige Plus für uns, nur in einer schnurgeraden Linie. Da wir zwei Gruppen mit den Langstrecken-Scannern losschicken können, sollte die erste Gruppe nach dreihundert Lichtjahren aus der Nullzeit gehen und die zweite Gruppe nach sechshundert. Nun, vielleicht sollten wir das aus Sicherheitsgründen auf Zweihundertfünfzig und Fünfhundert reduzieren.“
„Dem stimme ich zu“, sagte Uddington sofort. „Ich will nicht riskieren, dass uns etwas entgeht. Schön, die Schiffe gehen in die Nullzeit, sehen sich um und führen dann die nächste Nullzeit durch. In Siebenhundertfünfzig und Eintausend.“
„Exakt, Admiral.“ Tamilak lächelte.
Pjotr Chukov klatschte in die Hände. „Carl, wir sollten die Captains einweisen und möglichst bald loslegen. Inzwischen ist die Beecher wohl längst in die zweite Nullzeit gegangen und hat wahrscheinlich auch ihren Kurs geändert. Unsere Chancen sind nicht unbedingt groß, sie doch noch zu finden.“
„Wir müssen sie finden, Pjotr“, brummte Carl Uddington. „Diesmal geht es um ein Rettungskommando, mein Freund, und es wird die größte und anstrengendste Such- und Rettungsoperation, welche wir jemals durchgeführt haben. Wir müssen sie sicher nach Hause holen, denn über die Konsequenzen will ich lieber nicht nachdenken.“
Kapitel 4 Bestandsaufnahme
Absturzstelle Freihandelsschiff I.T.S. Juliette Beecher
Desara-dal-Kellon suchte den Frachtraum persönlich auf, in dem die Gefangenen, unter den aufmerksamen Blicken von Gardisten, jeden einzelnen Transportbehälter auf dessen Inhalt untersuchten. Zuvor hatte sie, gemeinsam mit ihren Leibwachen und Kenlor, das Wrack umrundet und sich von zwei Dingen überzeugt: Es war ausgeschlossen, dass es jemals wieder flog und es war ein Wunder, dass es überhaupt Überlebende gab. Desara verzichtete darauf, die nähere Umgebung zu erkunden, denn für sie hatte die Versorgung der Verletzten und die Sichtung der verfügbaren Vorräte und Hilfsmittel die absolute Priorität.
Dass sie den Frachtraum aufsuchte, war nicht nur Beweis für die Dringlichkeit, die sie in der Sichtung der Inhalte sah, sondern vor allem auch ihres Misstrauens, welches sie gegenüber den Gefangenen empfand. Sie wollte unter keinen Umständen, dass diese einen Fund unterschlugen, der den Negaruyen vielleicht gefährlich werden könnte.
Durch die Eroberung und Bedienung des APS-Kreuzers Nanjing hatte Desara die Schrift der Menschen lesen gelernt und ließ jede Kiste, jeden Behälter und jedes Fass erst öffnen, wenn sie persönlich zugegen war. Das verzögerte die Durchsuchung, bot zugleich aber allen Seiten die Sicherheit, das man nichts Nützliches übersah.
Desara wurde von Joana und Pearl begleitet. Der weibliche First-Sergeant bewies immer wieder die vielfältigen praktischen Erfahrungen, die sie sich angeeignet hatte. Endlich war die letzte Kiste geöffnet und Joana tippte die Angaben zu ihrem Inhalt in ihren tragbaren Mini-Comp, der nun eine überraschend lange Liste von hilfreichen und weniger nützlichen Dingen enthielt.
Die robust gebaute Flotten-Boxmeisterin Pearl Stevens sah Desara nachdenklich an und deutete mit einer ausholenden Geste um sich. „Wir haben verdammtes Glück, dass die Beecher praktisch die komplette Grundausstattung für eine neue Siedlung geladen hat. Natürlich fehlen hier etliche Dinge, wie einige Kleinmaschinen, Multitools und die Gießschablonen für den Bauschaum, mit dem man Boden, Wände und Decken der einfachen Häuser anfertigen kann. Das sind die größten und schwersten Brocken einer solchen Fracht und das Zeug war sicher in den unteren Räumen, da der Weg zur Schleuse dort kürzer ist. Trotzdem ist hier oben einiges von Nutzen.“
Desara-dal-Kellon nickte. Sie hatte sich im Kopf ihre eigene Liste angefertigt, erwähnte dies aber natürlich nicht, um die Aufrichtigkeit ihrer Gefangenen zu überprüfen. „Nenne mir diese Dinge, menschliche Unterfrau.“
Pearl wusste, dass der Begriff Unterfrau nicht respektlos gemeint war. Im Matriarchat der Negaruyen hatten die Frauen das Sagen und in der Regel auch die maßgeblichen Funktionen inne. Männer tätigten die einfachen Arbeiten oder dienten als Soldaten. Praktisch alle Gardisten waren männlich, wurden aber von weiblichen Unteroffizieren, den Unter- und Oberfrauen, befehligt.
„Leider haben wir hier oben recht wenig Werkzeug und auch nicht die in Neukolonien üblichen Maschinen, um solche anzufertigen. Aber wir haben neben Verbandmaterial und Medikamenten zwei Medo-Scanner und Medi-Schaum. Außerdem ein paar Matratzen, Decken und Kissen, die es den Verletzten bequemer machen. Drei Kisten voller Sprühdosen mit Bauschaum, aber wir werden hier wohl kaum Häuser bauen, oder?“ Es war eine rein theoretische Frage, denn Pearl fuhr sofort mit ihrer Liste fort. „Vier Kisten mit Notrationen und Trinkwasserflaschen, dazu eine Trinkwasseraufbereitungsanlage. Falls wir hier also auf Wasser stoßen, ist unsere diesbezügliche Versorgung gesichert.“
„Ich habe nicht vor, mich hier lange aufzuhalten“, entgegnete Desara kühl. „Was noch?“
„Keinerlei Waffen, falls Sie darauf anspielen“, knurrte Pearl. „Aber eine Menge Krempel, mit dem man die ersten Wohnhäuser halbwegs behaglich einrichten kann. Neben dem Gabelstapler haben wir eine Baumfällmaschine und ein Brunnenbohrgerät entdeckt. Dann zwei Dutzend einfacher Funkgeräte für Distanzen bis zwanzig Kilometer. Neben den dazugehörigen Ladestationen.“
„Energieerzeuger?“, fragte Desara prompt.
Pearl lächelte halbherzig. „Sogar sechs. Sechs transportable Stromerzeuger, deren Fusionsaggregate mit Wasser betrieben werden können. Für den Notfall Solarzellen und sogar ein transportables Windrad, allerdings mit geringer Leistung. Kaum ein Megawatt, falls Ihnen das was sagt.“
„Und damit haben wir ein Problem“, meldete sich Joana mit düsterer Stimme zu Wort. „Wir können Strom für ungefähr eintausend Wohneinheiten produzieren, aber der reicht nicht aus, um ein interstellares Funkgerät zu versorgen. Jedenfalls nicht, wenn ein Funkspruch dieses System verlassen soll.“
„Anschabb“, fluchte Desara. Sie erwiderte Joanas Blick. „Dann müssen wir einen der Energieerzeuger im Maschinenraum reparieren, denn ohne Notruf sitzen wir hier unwiderruflich fest, falls wir nicht zufällig entdeckt werden.“
Joana erinnerte sich nur zu gut an den Anblick der dortigen Schäden. „Das wird schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich.“
„Nichts ist unmöglich, wenn man es wirklich will.“ Der Blick der Primär-Kommandantin war kalt und drohend. „Dann müssen wir eben improvisieren.“
Pearl schien vermitteln zu wollen. „Vielleicht kann man aus den verschiedenen Geräten etwas Sinnvolles zusammenbasteln. Allerdings kann ich nichts versprechen. Ich bin kein Techniker und auch kein Mechaniker.“
„Haben Sie einen Spezialisten zur Hand?“, fragte Joana mit einer Mischung aus Spott und zugleich Hoffnung, doch die Negaruyen kreuzte die Arme vor der Brust. Es war die Geste der Verneinung.
Jennifer Hartmann hatte das Gespräch aus einiger Entfernung mitgehört. Die hübsche Rothaarige hielt sich möglichst im Hintergrund,