Und das ist es, was den Ort so begehrenswert macht. Er hat ein gut funktionierendes Hospital mit OP, Intensivstation, Krankenzimmern und ausgebildetem Personal. Im Post-Pandemie-Zeitalter gibt es fast keine Impfungen mehr und nur noch fragwürdige Antibiotika. Die Ärzte des Hospitals verfügen über wirksame Medizin, sind europaweit bekannt. Die Patienten kommen von weit her, viele sprechen kein Deutsch, was Behandlungen kompliziert macht. In den Arztzimmern stapeln sich alte Wörterbücher.
Das Hospital und die Medikamentenforschung gehen auf eine dunkelhäutige und rothaarige Frau zurück, die im vorherigen Zeitalter tatsächlich Medizin studiert hatte. Die Besiedlung des Dorfes geht eigentlich auf ihren damaligen Freund zurück, der sich als Neustart den schönsten Hof ausgesucht hatte. Wäre sie keine talentierte Medizinerin und er kein talentierter Landwirt gewesen, hätten andere sich nicht angesiedelt. Was sollte man schon in einem Kaff, versteckt in den Vorbergen des Schwarzwaldes.
Die Gründer der Gemeinschaft hießen Zora und Tom. Nach Zoras Tot, mit achtundneunzig Jahren, beschloss der Rat den unspektakulären Namen Ettenheimweiler fallen zu lassen und das Dorf in Zoratom umzubenennen. Die Bevölkerung stimmte dem begeistert zu. Zoratom hört sich wesentlich bedeutender an, als irgend so ein Weiler. Es wurden sogar angeberische Ortsschilder gemalt und aufgestellt.
Aber wohin die Reise des Dorfes geht oder die der Menschheit, weiß nicht einmal die charismatische Carlina zu sagen. Vermutlich sind diverse Auswüchse zu erwarten. Einige Gruppen werden zivilisierte Gemeinschaften bleiben, die moralisch, erfindungsreich und aufgeschlossen sind. Andere vielleicht ins Mittelalter zurückfallen. Auf keinen Fall bis in die Steinzeit, denn Metall ist allgegenwärtig und überall zu finden. Wissensverlust, Aberglauben, Willkür, Sklavenhaltung und Folter liegen durchaus im Bereich des Möglichen. Von der Welt außerhalb Europas weiß man gar nichts. Nur zögerlich bringt das Land Superneugierige hervor, die den alten Beruf des Entdeckungsreisenden wieder aufleben lassen.
Ein Fußballturnier steht an. Fünf Mannschaften haben sich angesagt. Eine aus Straßburger Nähe, eine aus dem Schwarzwald, die Bierbrauer aus Bruchsal, die Frankfurter, und die Basler die die Elektromotoren herstellen schicken auch eine Fußballmannschaft. Zoratom ist die einzige Siedlung mit ausreichend Platz und Ressourcen, die so viele Besucher unterbringen und versorgen kann. Es werden nicht nur Fußballspieler erwartet, auch deren Anhang braucht Schlafplätze. Frauen, Freundinnen, Kinder, Freunde, Verwandte und Fans erwarten einen komfortablen Aufenthalt. Neben dem Fußballfeld liegt noch ein kleineres für Kinder, das zum Warmspielen genutzt werden darf. Hinter den Sportplätzen, auf einem plattgewalzten Feld, dürfen die Gäste ihre Zelte aufschlagen. Nicht wenige wohnen im kommunalen Hotel oder kommen auch privat unter. Die Camper sollen im Sportheim verköstigt werden, wo sie auch Duschen können.
Die Idee zu diesem Turnier stammt von Richard, dem Trainer der einheimischen Mannschaft. Ein ernster und sehr gewissenhafter junger Mann, der alles hundertprozentig ausführen muss. Nicht immer verstehen seine Spieler was er von ihnen will. Manche verzweifeln an seinen Anforderungen. Nur weil sie bei ihm viele raffinierte Aktionen lernen, kommen sie immer wieder ins Training.
Die hiesige Mannschaft hätte auch ohne Heimvorteil die Favoritenrolle. Richard nimmt seine Aufgabe sehr genau. Alle Fußballbücher die er findet, durchforscht er nach Hinweisen, die seine Mannschaft unschlagbar machen. Mit Ernst und Akribie versucht er die Erkenntnisse seinen Männern zu vermitteln. Und er weiß, wie Spiele der Profifußballer einmal ausgesehen haben, weil er noch die Möglichkeit hat Filme anzuschauen. Doch das findet heimlich in einem Keller statt. Den letzten noch funktionierenden Bildschirm in den man Sticks stecken und abspielen kann, hält der Rat für spezielle Situationen unter Verschluss. Niemand darf das wissen, um keine Begehrlichkeiten zu wecken. So hat Richard den früheren Bundesligaprofis Tricks abgeschaut, die er seinen Leuten mühsam beibringt. Tricks, von denen fremde Mannschaften keinen Schimmer haben. Eck-und Freistöße zum Beispiel und andere Standartsituationen. Von seinen Spielern fordert der Trainer Disziplin, die beste Strategie nutzt nichts, wenn die Spieler machen was sie wollen. In Zoratom gibt es auch Fußballerinnen. Doch die müssen gegen sich selbst spielen, weil es an auswärtigen Frauschaften fehlt.
Toll wäre, wenn es das Schwimmbad noch gäbe. Darin könnten sich die Sportler nach den Spielen abkühlen. Aber ein Erdbeben hat das alte marode Becken zerbröselt. Das Wasser war dann durch zahlreiche Risse abgeflossen. Wer jetzt schwimmen will, muss zu einem See in der Ebene. Der Weg dorthin und der Badestrand werden freigehalten.
Das Erdbeben hatte nicht wenige Häuser beschädigt, manche regelrecht aufgeschlitzt. Die Bevölkerung war so geschockt, dass sie sich erst nach Tagen aufraffen konnte, ihre Behausungen zu reparieren und die Risse zu schließen. Auf dem Hügel westlich des Dorfes steht ein ehemaliger Aussichtsturm, der als weithin sichtbares schiefstehendes Symbol, von terrestrischer Aktivität zeugt und jeden daran erinnert, dass die Oberrheinische Tiefebene Erdbebengebiet ist.
Die größten Wunden entstanden in der Ebene, denn die Erde war aufgesprungen. Am Fuß der Schwarzwaldvorberge entstand ein Graben, der nun die Hügel von der Ebene trennt. Dahinter entstanden noch ein zweiter und ein dritter. Der Zweite Graben mäandert ziellos durch Dörfer, Weideland und Felder. Der dritte, der westlichste Graben, beschreibt einen weiten Bogen, wobei er irgendwo im Norden und irgendwo im Süden in den Zweiten mündet und so eine Insel bildet. Auf dieser Insel stehen Teile der Ortschaften Kappel und Grafenhausen. Beide Dörfer wurden auseinander gerissen und schwer beschädigt. Dennoch haben sich dort ein paar fremde Familien angesiedelt, die die neue Insel ganz für sich beanspruchen und mit Zoratom nichts zu tun haben wollen. Carlina hat sie besucht und wurde feindselig empfangen. Ihre Annäherungsversuche kollidierten mit einer völlig anderen Weltanschauung. Seither gelten die Inselbewohner als eine Sekte.
Kein Mensch hat jemals gesehen wie tief die Erdspalten eigentlich sind. Erst nachdem im Dorf die ärgsten Schäden behoben waren, ritt der Rat, ohne die alte Elfriede, zur Spalte am Fuß des Hügels. Man wollte natürlich eine Verbindung zur Außenwelt und deshalb eine Brücke bauen. Was zuerst wie ein hoffnungsloses Problem aussah, wurde schnell zu einer lösbaren Aufgabe. Die Erdspalten unterlagen einer natürlichen Dynamik. Die Oberrheinebene besteht aus Kies, den die Gewässer in Millionen Jahren bodenlos aufgeschichtet haben. Als die Reiter am Graben ankamen, sah er schon sehr verändert aus. Die Kieskanten waren nicht besonders stabil, streckenweise schon abgebrochen und nach unten gerutscht. Und in der Tiefe floss Wasser. Zum einen Grundwasser, das auf ganzer Länge überall aus dem Kiesboden sickerte und die Erdspalten füllte. Zudem waren sämtliche Bäche von ihrem ehemaligen Bett getrennt und ergossen sich ebenfalls in die Spalten. Und Bäche gibt es viele. Die Brückenbauer mussten nur wenige Wochen warten, bis Grundwasser und Bäche die neu entstanden Wasserläufe gefüllt hatten.
In dieser Zeit sammelten sie Metalltanks und fällten Robinien. Damit bauten sie sich eine Pontonbrücke, die stabil und wuchtig den ersten Graben überspannt. Nachdem das gut geklappt hatte, wurde auch der zweite Graben überbrückt, Zoratom war nicht mehr isoliert. Vom Wasserspiegel bis zur Oberkante ist es selten höher als ein Meter. Eine Ab- und Auffahrt war schnell gebaut. Das Wasser im Graben fließt aber, denn das Wasser der Bäche will ja irgendwohin. Deshalb müssen die zwei Pontonbrücken gut vertäut sein. Für das Wild sind die Gräben keine Hindernisse, an abgerutschten Ufern steigen die Tiere hinein und heraus. An zwei Stellen war auch die A5 unterbrochen. Die einzige nennenswerte Nord-Süd-Verbindung. Auch dort wurden Pontonbrücken gebaut. Groß genug, damit die Händler mit ihren Wagen wieder zum Marktplatz können. Das Baden in den neuen Wasserläufen hat der Rat verboten. Zu oft brechen die Ufer ab und würden die Schwimmer mit in die Tiefe reisen. Nicht jeder hält sich an das Verbot.
Die Zugereisten auf der Insel bauten, ganz aus Holz, ihre eigene Brücke, quasi als ein schwimmendes Floß. Doch haben die Sektierer ein nicht zu unterschätzendes Problem. Das damalige Erdbeben hat auch die Dämme des Rheins eingerissen. Der kanalisierte Fluss floss in einer riesigen künstlichen Rinne oberhalb des Umlandes. Nun fließt der Rhein neben seinem Bett dahin, die Hauptmenge zum Glück auf französischer Seite. Doch auch auf seiner deutschen Seite drängt er manchmal weit in die Ebene. Zum Beispiel beim letzten Frühjahrshochwasser. Die Oberrheinische Tiefebene glänzte wie ein See; die Wassermassen hatten