gerechnet, dass sein Gegner sich zur Flucht wenden würde. Eher instinktiv
sprang der Ork zur Seite, um hinter einem Felsblock am Rand des Pfades
Deckung zu nehmen. Aber sein Fuß traf auf loses Gestein, das unter ihm
wegzurutschen begann. Das Spitzohr schrie auf, ließ den Bogen fallen, um
sich herumwerfen zu können, und krallte die Hände in das unter ihm
nachgebende Erdreich. Doch dann verlor es endgültig den Halt, und sein
Schrei verhallte, als der schmächtige Körper in den Abgrund stürzte.
Balruk hörte das blutrünstige Gebrüll weiterer Orks, darunter die tieferen
Stimmen der Rundohren, und folgte dem Pfad mit hastigen Schritten weiter
nach Süden. Er fühlte, dass sein Blut aus der Schulterwunde sickerte und sein
Wams unter der Rüstung von der klebrigen Nässe getränkt wurde, die ihm
seine zunehmende Schwächung ankündigte. Aber er konnte die Wunde nicht
erreichen, konnte nur Fuß vor Fuß setzen. Balruk, König der Zwerge der
grünen Kristallstadt Nal’t’rund, hoffte, die Orks würden sich etwas Zeit mit
der Verfolgung lassen und sich damit begnügen, ihre Fänge in das
bluttriefende Fleisch der Axtschläger zu graben. Seine Füße schmerzten, und
seine rechte Schulter war ohne Gefühl, doch jeder Schritt führte ihn weiter
nach Süden. Vielleicht würde er dort Hilfe für sein Volk finden, im Süden, im
Land der Pferdelords.
Kapitel 2
»Lehn dich nicht so weit aus dem Fenster, mein kleiner Pferdefürst Garwin«,
lachte Larwyn auf und verließ den massiven Schreibtisch, um an das Fenster
zu treten. »Wir mögen schnell zu Pferde sein, doch können wir deshalb noch
nicht fliegen.«
Garwin versuchte dennoch, die Brüstung des Fensterbogens zu erreichen,
und krähte empört, als seine Mutter ihn sanft, aber bestimmt vom Fenster
fortzog. Doch die Frustration des Dreijährigen verflog rasch, und sein
Interesse wandte sich der rotbraunen Rüstung seines Vaters Garodem zu, die
im Hintergrund des Arbeitszimmers des Pferdefürsten der Hochmark stand.
Larwyn sah ihrem Sohn lächelnd bei der Untersuchung der stählernen
Beinschienen zu und setzte sich dann wieder hinter den Schreibtisch ihres
Gemahls.
»Er wird ein rechter Pferdelord werden«, sagte ein schlanker und
hochgewachsener Mann mit tiefschwarzem Haar aus der Mitte des Raumes.
Tasmund, der Erste Schwertmann der Hochmark und Führer der Wache der
Schwertmänner, hielt seine linke Hand ehrerbietig am Griff seines Schwertes.
Wie gewöhnlich hatte er den rechten Arm ein wenig steif unter seinem langen
grünen Umhang verborgen. Als vor Jahren eine orkische Legion gegen
Eternas stürmte, war er gegen eine Mauer geschleudert und seine Schulter
beinahe zerschmettert worden. Die Kunst der elfischen Heilerin Leoryn hatte
bewirkt, dass er sie wieder bewegen konnte, aber der Arm war an der Schulter
ein wenig steif geblieben, sodass Tasmund sein Schwert mit dem rechten Arm
nie wieder richtig würde schwingen können. Er hatte sich zwar antrainiert, es
mit der linken Hand zu führen, aber aus Tradition heraus hing die Waffe stets
an seiner linken Hüfte.
»Das mag noch Zeit haben«, erwiderte Larwyn auflachend. »Vorerst wird
er sich eher unter dem Bauch eines Pferdes als auf dessen Rücken bewegen.«
Drei Jahre war Garwin nun alt, und etwas mehr als drei Jahre lag es
zurück, dass die Legionen der Orks erneut das Menschenvolk bedroht hatten.
Ein neuer Bund von Elfen und Menschen war geschmiedet worden und hatte
in der großen Schlacht vor der weißen Stadt des Königs von Alnoa zum Sieg
gegen die Horden des Schwarzen Lords geführt. Zur gleichen Zeit hatte auch
die Hochmark um ihr Überleben gekämpft, und die Spuren dieses Ringens
waren noch an vielen Stellen zu sehen. Nun war Garodem, der Pferdefürst der
Hochmark, in die Stadt des Königs der Pferdelords gereist, denn Reyodem,
der König und zugleich der Sohn von Garodems in der Schlacht gefallenem
Bruder, hatte den Rat der Pferdefürsten einberufen.
Larwyn blickte auf ihren Sohn und die Rüstung ihres Mannes, und ihre
Gedanken schweiften einen Moment in die Vergangenheit.
Vor vielen Jahren war das Volk der Pferdelords von den Barbaren im
Westen aus seinen angestammten Gebieten vertrieben worden und hatte in der
großen Ebene eine neue Heimat gefunden. Das Volk hatte sich entwickelt,
sich vermehrt und Marken gegründet, die von den Pferdefürsten im Auftrag
des Königs geführt wurden. Die Pferdelords waren ein Volk von Hornvieh- und
Wolltierzüchtern, deren ganzer Stolz die kräftigen Pferde waren, auf denen sie in
die Schlacht ritten. Garodem, Larwyns Gemahl, war einer von zwei Söhnen
des Königs der Pferdelords gewesen, und es lag nun schon über dreißig Jahre
zurück, dass er sich mit seinem Bruder wegen eines von beiden begehrten
Weibes entzweit hatte. Garodem war seinem Bruder nicht mehr begegnet,
bevor dieser bei einem Angriff der Orks vor der weißen Stadt gefallen war,
und Larwyn wusste, dass dies ihrem Gemahl ein heimlicher Kummer war.
Larwyn strich sich eine Strähne ihrer blonden Locken aus dem Gesicht und
blickte zu der großen Landkarte, die an einer Wand des Raumes hing. Sie
zeigte die Marken der Pferdelords und die anderen ihnen bekannten Länder.
Doch waren darauf auch Gegenden dargestellt, die noch kein Pferdelord
jemals gesehen hatte, denn es war eine elfische Karte. Sie wurde Garodem
von den beiden Elfen Lotaras und Leoryn zum Geschenk gemacht, die damals
der Hochmark im Kampf gegen die Legionen der Orks beigestanden hatten
und inzwischen zu ihrem elfischen Volk zurückgekehrt waren.
Die Karte erschien Larwyn als ein Symbol für das neue Bündnis zwischen
den Menschenwesen und dem Volk der Elfen. Sie war aus einem glatten und
sehr weichen Stoff gewirkt und fein bemalt. Aber dieser Stoff