Die zwei Welten. L.R. Bäuml. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.R. Bäuml
Издательство: Bookwire
Серия: Die zwei Welten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742740137
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ein und drückte die Enter-Taste. Schon die ersten Treffer auf der neu geladenen Seite ließen ihn erkennen, dass er hiermit wohl auf dem Holzweg war. Die Seite war einfach nur voll mit Anbietern, die Geld verdienen wollten, indem sie einem auf verschiedenste Weise die Zukunft vorhersagten. Von daher versuchte er es mit dem Begriff ‚Seher‘, fand aber - bis auf einen Eintrag bei Wikipedia und den üblichen Verweisen auf Nostradamus und das Orakel von Delphi - wenig Hilfreiches.

      Er nahm also einfach mal an, dass es im Bereich des Möglichen war, dass sie diese Fähigkeit tatsächlich besaß und es auch vorher bereits Persönlichkeiten gegeben hatte, die in die Zukunft sehen konnten. Vielleicht wurden weitere mögliche Fähigkeiten bei berühmten Hellsehern gar nicht erst bemerkt, weil dies bereits eine so außergewöhnliche Begabung ist? Er fuhr also fort mit dem Begriff ‚Gedankenlesen‘ und fand einen interessanten Bericht über Mentalisten, die die Methode des sogenannten ‚Cold-Readings‘ anwandten.

      Unter anderem war dort erwähnt, dass manche Menschen ein gewisses natürliches Talent hierfür hatten. Durch eine Kombination aus gezielter Fragestellung, Beobachtung des Gesprächspartners, Einschätzung dessen Gestik, Mimik und äußeren Erscheinungsbilds, war es ihnen möglich, Rückschlüsse auf diese Person zu ziehen und gewisse Dinge zu erraten. Neles Vermutungen, dass Michael mit ihr ausgehen wollte, wie Thomas hieß, dass sie entlassen werden würde und dass das Diktiergerät nicht funktionierte, könnten von daher vielleicht tatsächlich Treffer ins Schwarze gewesen sein.

      Nichts desto trotz wäre diese Begabung erstaunlich, wenn nur wenig mystisch. Ihre Zukunftsdeutungen, von denen die Waisenhausleiterin berichtete, könnten damit zusammen hängen. Aus dem Pool an Informationen zog sie logische Rückschlüsse und kam somit zu den möglichen Optionen, wie es weitergehen könnte. Die am wahrscheinlichsten klingende wählte sie dann aus. Ebenfalls eine ungewöhnliche Begabung, aber nichts Mystisches. Der Gedanke, dass sie sich gut bei der Kriminalpolizei machen würde, schoss ihm durch den Kopf und er musste unweigerlich lächeln, da ihm spontan zumindest eine weitere Person einfiel, der das ebenfalls gefallen würde, sie als Kollegin zu haben.

      Er hatte also nun eine logische Erklärung für zwei ihrer Fähigkeiten gefunden, jedoch war ihm bereits bewusst, dass es für das nicht funktionierende Diktiergerät und die Todesursache des Mädchens, die Nele genannt hatte, keine geben würde, außer purem Zufall. In den Tiefen seines Herzen wusste er jedoch, dass er sie als magisches Wesen richtig einschätzte und er in Wirklichkeit nicht nach logischen Erklärungen, sondern nach einem Namen für dieses Wesen suchte. Nur so würden sie eventuell weitere Anhaltspunkte finden können, sollte sich Michael dazu entschließen, sie zu suchen.

      Seine Bemühungen ergaben aber keinen Namen. Als er jedoch nach der Fähigkeit suchte, elektrische Geräte beeinflussen zu können, stieß er auf eine Seite, die von Kindern berichtete, die angeblich Gegenstände bewegen konnten, ohne diese anzufassen. Wiederum andere Kinder nahmen Wesen war, die für Erwachsene nicht sichtbar waren. Laut den Berichten schienen diese Fähigkeiten jedoch verloren zu gehen, sobald die Kinder aus dem Kindergartenalter heraus waren.

      Thomas war eigentlich ein rational denkender Mensch und, hätte er diese Berichte gelesen, bevor er Nele kennen gelernt hatte, hätte er gedacht, dass sie sowas von ausgedacht waren. Nun hielt er jedoch die Möglichkeit, dass sie eventuell doch der Wahrheit entsprechen könnten, für denkbar. Vielleicht war ja Nele einmal eines dieser Kinder gewesen, aber hatte, im Gegensatz zu den anderen Kindern, ihre Fähigkeiten nicht verloren, als sie älter wurde?

      Allmählich wurde es in seinem kleinen Arbeitszimmer dunkel, so dass er aufstehen musste, um das Licht anzumachen, damit das flackernde blaue Licht seines Computerbildschirms seinen Augen nicht noch mehr schaden konnte. Er mochte Computer nicht besonders, jedoch hatten die zwanzig Jahre Erfahrung, die er mittlerweile bei der Polizei hatte, ihn gelehrt, offen für Neues zu sein. Dass dies auch einmal den Glauben an ‚paranormale‘ Aktivitäten enthalten würde, hätte er jedoch nicht gedacht.

      Wenn die Welt nicht so war, wie er es bis jetzt angenommen hatte, bedeutete das dann nicht auch unweigerlich, dass alle Mordfälle, die jemals geklärt worden waren, nicht noch einmal aufgerollt werden sollten? Nur so könnte das Einwirken von weiteren, nicht menschlichen Kräften ausgeschlossen und der Täter als solcher wirklich überführt werden. Was war eigentlich mit all den ungelösten Fällen? Konnte Jack the Ripper zum Beispiel niemals identifiziert werden, weil er in Wirklichkeit gar kein Mensch, sondern ein, sagen wir mal, Dämon gewesen war?

      Interessant wäre überhaupt erst einmal zu wissen, welche der Mythen und Legenden tatsächlich stimmten! Es gab so viele! Manche ähnelten sich sehr, egal wo auf der Welt sie erzählt wurden. Andere wiederum unterschieden sich, je nach dem, welchem Land sie entsprangen. Ihm schmerzten die Augen und sein Kopf fing langsam aufgrund des vielen angestrengten Nachdenkens an, weh zu tun.

      Das Schlimmste daran war jedoch, dass er kein Stück weiter gekommen war. Er hatte noch immer keine handfesten Hinweise, wer oder was Nele war. Ein Anhaltspunkt blieb ihnen dennoch: Die Hütte, in der Nele lebte, wenn das Internat geschlossen hatte.

      Kapitel 8

      

      Es war der dreiundsechzigste Tag ihrer Reise und Nele war am Ende ihrer Kräfte angelangt. Morgen Früh würde sie sich weigern auch nur noch einen Schritt zu gehen. Joggen, essen – sofern man trockenes Brot und Wasser Essen nennen konnte – schlafen, joggen, essen, schlafen… Sie hatte es satt! Noch dazu schrie mittlerweile jeder Muskel in ihrem Körper vor Schmerzen und sie sehnte sich mehr und mehr nach einem warmen Bad. Saubere Kleidung schien für sie ein Luxus, von dem sie vor langer, langer Zeit einmal kosten durfte, der ihr aber nun verweigert wurde. Umso größer war ihr Verlangen danach, ihn zurück zu bekommen.

      Sie hatte es schon vor einiger Zeit aufgegeben, ihre Blasen zu zählen. Ihre Schuhe schienen für solche Gewaltmärsche nicht gemacht zu sein, denn sie lösten sich immer weiter auf, was wiederum die Blasensituation nicht verbesserte. Zudem kam noch diese Hitze dazu. Es war Hochsommer und ihre Kleidung klebte an ihr, als würde sie sich in eine zweite Schicht Haut umwandeln wollen. Die Tage waren dementsprechend lang, die Nächte kurz. Sie liefen nun schon seit vielen Stunden durch die sich wenig verändernde Landschaft. Die Berge waren zwar nicht mehr zu sehen, doch umso mehr Wiesen und brachliegende Felder gab es um sie herum. Keine Häuser, keine Dörfer, keine Menschen, keine Tiere, nichts: Nur Landschaft und Stille. Um diese ertragen zu können, hatte sie angefangen in ihrem Kopf Lieder zu summen. Da sie sich aber nur an wenige Melodien erinnern konnte, wurde das nach einer Weile sehr langweilig. Von daher konzentrierte sie sich auf ihre Atmung, um zu verhindern, dass sie völlig aus der Puste kam.

      Sie lief und lief, immer ihrem Weggefährten hinterher. Sein nebelartiges Wesen war ihr mittlerweile vertraut geworden, dennoch hatte sie das Gefühl, ihm immer weniger trauen zu können. Hier war sie also, schweißgebadet, stinkend, voller Schmerzen, in einer Welt, die sie nicht kannte und mit einem Mann, dem sie nicht traute. Super gemacht! Und wem hatte sie das zu verdanken? Sich selbst und ihrem Drang nach Erklärungen. Wäre sie doch einfach im Internat geblieben und nicht zur Hütte gefahren.

      Sie hätte die Schule beenden können, es wäre ja auch nur noch ein Monat mit Prüfungen gewesen, und dann eine Lehre gemacht, um selbst Geld zu verdienen. Vielleicht bei der Polizei? Aber so… Selbst wenn sie nun zurückgehen würde, würde sie überhaupt ihren Abschluss bekommen? Könnte sie die fehlenden Prüfungen noch nachholen, als wäre nichts gewesen? Wohl kaum. Außerdem wusste sie, tief in ihrem Inneren, dass, egal wie sie sich entschieden hätte, sie keine Wahl gehabt hätte, in diese Welt zu kommen. Er hätte sie geholt, ob sie gewollt hätte oder nicht, und es war wohl besser, dass sie freiwillig mitgegangen war.

      Die Sonne neigte sich langsam der Erde zu und ließ die Schatten um sie herum immer länger werden. Bald würde es dunkel werden und morgen früh würde sie wieder weiter laufen, egal ob sie wollte oder konnte.

      Sie merkte, wie der Boden unter ihren Füßen allmählich steiler wurde, es ging bergauf. Der düstere Mann wollte wohl das Lager auf der Spitze eines Hügels aufschlagen. Dies schien ein vernünftiger Plan zu sein, auch wenn es wohl keine gefährlichen Tiere gab; deshalb lief sie widerstandslos hinter ihm her. Als sie