Die zwei Welten. L.R. Bäuml. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.R. Bäuml
Издательство: Bookwire
Серия: Die zwei Welten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742740137
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gelassen wird, und wenn sie Personen meiden kann, dann nutzt sie jede Chance, um das zu tun. Gerade in einem Internat hat man doch die Möglichkeit, viel mit anderen zu unternehmen, doch sie zieht es lieber vor alleine auf ihrem Zimmer zu sitzen…“

      „…um zu lernen und deshalb die guten Noten?“, neckte ihn Michael.

      „So oder so, lass es dir von einem erfahreneren und etwas älteren Polizisten sagen: Da stimmt etwas nicht bei der Geschichte“, konterte Thomas und fügte hinzu:

      „Ach und übrigens ist mir natürlich nicht entgangen, dass du sie attraktiv findest. Lass das nicht deine Ermittlungen beeinflussen, sie steht nach wie vor unter Verdacht einen Mord begangen zu haben!“

      „Sobald sie entlassen wird, darf ich sie aber als Entschädigung auf einen Drink einladen?“, scherzte Michael.

      Thomas verdrehte nur die Augen und ignorierte den Kommentar, als er fragte:

      „Hast du rausgefunden, warum und in welchem Waisenhaus sie war? Es wäre vielleicht sinnvoll, dort einmal vorbeizuschauen, vor allem da ein psychologisches Gutachten von Herrn Dr. Becker nicht möglich war, da sie ja nichts sagt.“

      „Ihre Eltern starben bei einem Autounfall, da war sie drei Jahre alt. Ein Betrunkener raste mit achtzig Sachen, in einem Wohngebiet, in ihr Auto – Frontalaufstoß – keine Überlebenschance, für keinen der Beteiligten. Falls du den Bericht und die Bilder sehen willst, sie liegen auf meinem Schreibtisch, - nicht schön. Und nein, keine Verbindung zum toten Mädchen.“, fügte Michael noch hinzu, bevor Thomas, der bereits seinen Mund geöffnet hatte, etwas sagen konnte.

      „In Bezug auf das Waisenhaus: Es wurde vor neun Jahren geschlossen – Budgetkürzungen. Kurz bevor es geschlossen wurde, meldete sich ein anonymer Spendengeber bei der Leiterin des Waisenhauses, mit genauen Anweisungen und Bedingungen, unter welchen unsere in U-Haft-Sitzende Geld für ihren Lebensunterhalt erhalten würde. Der Brief liegt auf meinem Tisch

      – und bevor du fragst: Ja, ich habe bereits mit der damaligen Leiterin gesprochen, während du in der Cafeteria mit der Bedienung geschäkert hast. Sie wohnt nicht weit von hier. Das gesamte Gespräch kannst du dir anhören, ich habe es aufgezeichnet.

      Was dich aber am meisten interessieren wird, ist die Beschreibung ihres Charakters: Die Leiterin meinte, sie sei ihr sehr schnell aufgefallen, da sie ihr sehr intelligent schien, sogar etwas zu intelligent. Es war ihr teilweise so, als würde sie Dinge wissen, die sie nie und nimmer in ihren jungen Jahren hätte wissen können. Sogar zukünftige Ereignisse, wenn man so etwas Glauben schenken möchte.

      Es schien ihr, als hätte sie mitbekommen, dass es andere in ihrer Umgebung abschreckte, und schon hörte sie auf, diese Dinge mit zu teilen. Das war als sie ungefähr vier oder fünf Jahre alt war. Danach schien sie sich nur noch auf das zu konzentrieren, was von ihr erwartet und als ‚altersgemäß‘ angesehen wurde. Sie zog sich hierauf jedoch immer weiter zurück und fing an, immer mehr Zeit alleine zu verbringen. Jedoch nur zu einem Maße, dass es andere nicht als ungewöhnlich empfanden.“

      Thomas unterbrach ihn: „Und das Jugendamt fand es okay, dass eine anonyme Person Geld dafür spendet, dass ein bestimmtes Waisenkind zu einer bestimmten Schule gehen kann und alleine in einer Hütte wohnt, die der Spendengeber kennt?“

      „Das Jugendamt war sogar sehr damit einverstanden, wohl aus dem alleinigen Grund, dass es ihm sehr viel Geld sparte. Die Hütte wurde ihr erst später angeboten; zu ihrem sechzehnten Geburtstag. Davor lebte sie in den Ferien bei Gast- und Pflegefamilien, teilweise in verschiedenen Ländern, die von dem Spendengeber bezahlt und vom Jugendamt überprüft wurden. Das erklärt wohl, warum sie in Fremdsprachen gut ist. Ach ja, und bei der Hütte konnte das Jugendamt nicht mehr viel machen, da sie zustimmte, als sie alt genug war, die Entscheidung zu treffen.“, erklärte ihm Michael.

      „Solange wir den anonymen Spendengeber nicht auftreiben können, werden uns die Fragen bezüglich seines guten Timings und Engagements wohl nicht beantwortet werden. Was uns im Moment bleibt ist das große Warten auf den Autopsie Bericht…“, meinte Thomas achselzuckend.

      „Thomas, eine Idee hätte ich da noch. Wenn du einverstanden bist, dann würde ich ihr gerne heute Abend, nach Dienstschluss und in zivil, einen Besuch in ihrer Zelle abstatten. Das Treffen mit der Leiterin des Waisenhauses hat mir ein paar Ideen gegeben, wie ich an sie rankommen könnte.“, schlug Michael vor.

      „Nun gut, schaden kann’s ja nicht. Aber lass die Finger von ihr, ich will hier keine Anklage wegen sexueller Belästigung haben.“, scherzte Thomas.

      Als es langsam dunkel wurde, klopfte Michael zunächst an die Tür der kleinen U-Haft-Zelle und trat dann langsam ein. Sie saß auf ihrem spartanischen Bett und hob ihren Blick, als er hineinging. Es war das erste Mal, dass sie ihm direkt in die Augen sah und es löste ein komisches angenehmes Prickeln in ihm aus. Bis jetzt kannte er nur die leeren, etwas unterkühlten und starren Blicke von ihr, doch nun sah er, dass ihre Augen warm und freundlich waren.

      „Darf ich reinkommen?“, fragte er.

      Sie lächelte ein kaum wahrnehmbares, aber charmantes Lächeln, das unweigerlich als Zustimmung zu deuten war. Er schloss die Zellentür hinter sich und setzte sich mit ein bisschen Abstand neben sie. Wie kann ein so hübsches, elegantes und freundliches Wesen nur des Mordes verdächtigt werden? Schoss es ihm durch den Kopf, doch er verdrängte den Gedanken wieder. Er musste professionell, objektiv und somit unabhängig von seinen Gefühlen bleiben.

      „Ich glaube, ich habe mich dir noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Michael“, sagte er und streckte ihr seine rechte Hand entgegen.

      Während sie seine Hand sanft schüttelte, was ein weiteres Prickeln in ihm auslöste, sagte sie mit warmer ruhiger Stimme: „Mein Name ist Nele, aber das weißt du ja bereits.“

      „Ich habe mich heute mit der Leiterin des Waisenhauses, in dem du warst, unterhalten; kannst du dich noch an sie erinnern?“, fragte er.

      „Ja, ich erinnere mich sehr gut an sie. Sie war immer sehr bemüht, uns allen zu helfen und unseren Aufenthalt dort so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich glaube ihr größtes Ziel war, es uns ein Zuhause zu geben. Ein ehrenwertes Ziel.“ antwortete sie.

      „Hast du dich dort nicht Zuhause gefühlt?“, fragte er.

      Sie lächelte ein wenig und antwortete mit einem etwas traurigen Unterton:

      „Jeder wusste, dass das Waisenhaus nur eine vorübergehende Lösung war. Ein Zuhause ist etwas, zu dem man immer wieder zurückkehren kann.“

      „Wünschst du dir ein zu Hause?“, fragte er.

      „Wer tut das nicht?“, antwortete sie lachend und fügte hinzu:

      „Aber nur weil ich im Moment keines habe, heißt es nicht, dass ich niemals eines haben werde.“

      Er lächelte leicht bei dem Gedanken, dass man sich ein Zuhause selber schaffen kann und fragte dann:

      „Vielleicht wird ja die Hütte, in der du lebst, dein Zuhause? Kennst du eigentlich denjenigen, der dir das alles gespendet hat?“

      „Ich denke nicht, dass etwas, das mir einfach so gegeben wurde und mir von daher genauso schnell wieder weggenommen werden kann, mein Zuhause werden kann. Ich vermute, ich werde mir das selbst aufbauen müssen. Dennoch bin ich sehr dankbar, dass mir jemand all dies ermöglicht hat. Ich weiß leider nicht wer er ist, nur dass es ein Mann ist, der wohl recht wohlhabend ist.

      Warum er gerade mir all dies ermöglicht hat, würde ich selbst gerne erfahren. Auf der anderen Seite habe ich auch etwas Angst davor, denn selten ist etwas für jemand anderen getan worden, was keine Gegenleistung erwartet.“

      Michael fiel auf wie reif sie wirkte und er erinnerte sich an die Worte, die die Leiterin gesagt hatte: Es war mir, als wüsste sie Dinge, die sie in ihren jungen Jahren nie und nimmer hätte wissen können. Nun war sie jedoch deutlich älter und nicht viel jünger als er selbst. Ihre Einsicht schien, für jemanden, der in seinem Leben schon viel mitgemacht hatte, jedoch sehr vernünftig. Er verwarf daher den Gedanken und fragte sie:

      „Während