Fingerzeige - Intentions. Oscar Wilde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oscar Wilde
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783753133249
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das Leben die Kunst weit mehr nachahmt, als die Kunst das Leben, und ich bin überzeugt, daß du das zugeben wirst, wenn du einmal ernstlich darüber nachdenkst. Das Leben tritt mit dem Spiegel vor die Kunst und bildet den seltsamen Typus eines Malers oder Bildhauers nach, oder verwirklicht durch Taten den Traum eines Dichters. Philosophisch ausgedrückt ist die Grundlage des Lebens – die Energie des Lebens, wie Aristoteles sagen würde – einfach das Ringen nach Ausdruck, und die Kunst schafft immerwährend die verschiedensten Formen, durch die es sich ausdrücken kann. Das Leben greift sie auf und verwertet sie, und wenn es dabei selber zugrunde geht. Junge Männer haben Selbstmord begangen, weil Rolla ihn beging, haben sich das Leben genommen, weil Werther sich das Leben nahm. Bedenke, was wir der Nachahmung Christi, der Nachahmung Caesars verdanken.

      Cyril. Das ist fürwahr eine höchst merkwürdige Lehre, aber um sie zu vervollständigen, mußt du dartun, daß auch die Natur, so gut wie das Leben, ein Abbild der Kunst ist. Bist du bereit, das zu beweisen?

      Vivian. Ich bin bereit, alles zu beweisen, mein Lieber.

      Cyril. Die Natur richtet sich also nach dem Landschaftsmaler und erhält ihre Wirkungen von ihm?

      Vivian. Gewiß. Woher stammen jene wundervollen braunen Nebel, die durch unsere Straßen schleichen und die Lampen-Lichter verwischen und die Häuser in gestaltlose Schatten verwandeln, wenn nicht von den Impressionisten? Wem verdanken wir die prachtvollen Silbernebel, die auf unseren Flüssen lagern und in denen die geschwungene Brücke und die wiegende Barke in schwindelnde Linien zarter Grazie zerfließen, wenn nicht ihnen und ihrem Meister? Der ungeheure Umschwung, der während der letzten zehn Jahre in den klimatischen Verhältnissen Londons stattfand, ist einzig und allein dieser besonderen Kunstschule zuzuschreiben. Du lächelst. Betrachte die Sache einmal vom wissenschaftlichen oder metaphysischen Standpunkte, und du wirst sehen, daß ich recht habe. Denn was ist die Natur? Die Natur ist keine Urmutter, aus der wir alle geboren sind. Sie ist unser Erzeugnis. In unserem Gehirn nur erhält sie Leben. Die Dinge sind, weil wir sie sehen, und was wir sehen und wie wir sehen, ist von den Künsten abhängig, die uns beeinflussen. Es ist ein großer Unterschied, ob man ein Ding ansieht, oder ob man es sieht. Man hat von einem Dinge noch nichts gesehen, ehe man nicht seine Schönheit sieht. Erst dann und nur dann tritt es ins Dasein. Heutzutage sehen die Menschen die Nebel, aber nicht, weil es Nebel gibt, sondern weil die Dichter und Maler ihnen die geheimnisvolle Schönheit solcher Erscheinungen offenbarten. Es hat wahrscheinlich ganze Jahrhunderte hindurch in London Nebel gegeben. Das glaube ich sogar ganz sicher. Aber niemand hat sie gesehen, und daher wissen wir nichts von ihnen. Sie traten nicht eher ins Dasein, als bis die Kunst sie erfunden hatte. Heute, muß man zugeben, sind Nebel eine wahre Plage geworden. Sie bilden die Manieriertheit einer Clique, und ihre übertrieben realistische Darstellung verursacht bei den Armen im Geiste Bronchitis. Wo sich die fein Gebildeten eine schöne Wirkung verschaffen, holen sich die Ungebildeten eine Erkältung. Seien wir daher human und lassen wir das wunderschöne Antlitz der Kunst sich anderen Dingen zukehren. Und in der Tat, es ist schon geschehen. Jenes weiße, webende Sonnenlicht, das wir jetzt bei den Franzosen sehen, von seltsamen, malvenfarbigen Flecken und ruhelosen, violetten Schatten unterbrochen, ist die neueste Phantasie der Kunst, und im Ganzen gibt die Natur sie in höchst bewunderungswürdiger Weise wieder. Während sie früher die Werke eines Corot und Daubigny nachahmte, bietet sie uns jetzt prachtvolle Monets und bezaubernde Pisaros. Ja, es gibt Augenblicke – sie sind zwar selten, aber sie sind – in denen die Natur ganz modern wird. Natürlicherweise ist sie nicht immer zuverlässig, zumal sie sich in folgender schlimmen Lage befindet. Die Kunst schafft eine völlig neue und einzig dastehende Stimmung und geht dann zu anderen Dingen über. Die Natur hingegen, indem sie vergißt, daß in der Nachahmung auch eine offene Beleidigung liegen kann, wiederholt diese Stimmung immer wieder, bis wir alle ihrer endlich überdrüssig werden. Kein wirklich gebildeter Moderner redet zum Beispiel von der Schönheit eines Sonnenunterganges. Sonnenuntergänge sind ganz aus der Mode. Sie gehören einer Zeit an, da Turner noch tonangebend war. Sie bewundern, heißt ›aus der Provinz‹ sein. Andererseits aber bestehen sie fort. Gestern abend wollte Mrs. Arundel durchaus, daß ich ans Fenster träte, um den, wie sie meinte, ›wundervollen Abendhimmel‹ zu betrachten. Natürlich mußte ich es tun. Sie ist eine jener etwas beschränkten aber hübschen Frauen, denen man nichts verweigern kann. Und was war es? Nichts weiter, als ein minderwertiger Turner, ein Turner aus seiner schlechten Zeit, wobei noch die schlimmsten Fehler des Malers ganz besonders zur Geltung kamen. Natürlich gebe ich gern zu, daß auch das Leben diesen Irrtum begeht. Es erzeugt schlechte Renés und unechte Vautrins, so gut wie die Natur bald einen zweifelhaften Kuyp, bald einen mehr als fragwürdigen Rousseau hervorbringt. Und doch, wenn es die Natur tut, stört es uns mehr. Es scheint von ihr so dumm, so selbstverständlich, so unnötig. Ein unechter Vautrin kann uns immerhin ergötzen; ein zweifelhafter Kuyp ist unerträglich. Doch will ich gegen die Natur nicht allzu scharf sein. Ich wünschte nur, der Kanal, besonders bei Hastings, gliche nicht ganz so oft einem Henry Moore, einer grauen Perle mit gelben Lichtflecken. Aber wenn die Kunst vielseitiger wird, so wird auch zweifellos die Natur vielseitiger werden. Daß sie die Kunst nachahmt, werden wohl heute nicht einmal ihre Feinde in Abrede stellen. Gerade in dieser Eigenschaft, und nur in dieser, behält sie mit dem Kulturmenschen Fühlung. Aber habe ich meine Lehre zu deiner Zufriedenheit bewiesen?

      Cyril. Du hast sie zu meiner Unzufriedenheit bewiesen, und das ist noch besser. Aber selbst wenn man zugibt, daß das Leben und die Natur diesen seltsamen Trieb der Nachahmung besitzen, wirst du doch sicherlich anerkennen, daß die Kunst sowohl die Gefühls- und Geschmacksrichtung ihres Zeitalters, wie auch die Beschaffenheit der Moral und der Sitte darstellt, in deren Mitte und unter deren Einfluß sie entstanden ist.

      Vivian. Durchaus nicht! Die Kunst stellt nichts dar außer sich selbst. Das ist die Grundlehre meiner neuen Ästhetik; und das macht es – mehr noch als jener innere Zusammenhang zwischen Form und Stoff, von dem Pater spricht – daß die Tonkunst der Typus aller Künste ist. Freilich sind die Völker, wie jeder einzelne Mensch, in dem Wahn befangen, daß sie diejenigen sind, von denen die Musen reden, und das erklärt sich aus der gesunden, natürlichen Eitelkeit, die das Geheimnis des Lebens ist. Sie suchen beständig in der stillen Hoheit geistigster Kunst irgendein Abbild ihrer eigenen Rasereien und vergessen immer, daß nicht Apollo, sondern Marsyas das Leben besingt. Der Wirklichkeit entrückt und das Antlitz den Schatten der Höhle abgewandt, offenbart die Kunst ihre eigene Vollendung, und wenn die staunende Menge der wunderreichen, tausendblättrigen Rose zusieht, wie sie sich erschließt, so glaubt sie ihre eigenen Schicksale und ihre eigenen Gedanken in neuer Verkleidung zu sehen. Aber sie sind blind. Die Kunst entäußert sich alles Menschlichen und gewinnt weit mehr durch neue Mittel und neue Stoffe, als durch irgendeine Begeisterung für die Kunst, oder irgendeine hohe Leidenschaft, oder irgendein großes Erwachen des menschlichen Bewußtseins. Sie entwickelt sich rein organisch. Sie ist nie ein Symbol des Zeitalters; die Zeitalter sind ihre Symbole.

      Selbst diejenigen, die der Ansicht sind, daß uns die Kunst über Land und Leute Auskunft gibt, können nicht in Abrede stellen, daß die Kunst, je mehr sie zur Nachahmung neigt, um so weniger den Zeitgeist vertritt. Wenn uns die teuflischen Gesichter der Römischen Caesaren anschauen aus verwittertem Porphyr und geflecktem Jaspis heraus, dem Lieblingsmaterial der naturalistischen Künstler jener Zeit, so scheint es uns, als sähen wir in diesen grausamen Lippen und diesen schweren, sinnlichen Kinnbacken den geheimen Grund für den Untergang des Kaiserreichs. Das ist aber falsch. Die Laster des Tiberius vermochten ebensowenig jene höchste Kultur zu zerstören, wie die Tugenden der Antonier vermochten, sie zu stützen. Andere, viel unscheinbarere Dinge richteten sie zugrunde. Die Sibyllen und Propheten der Sistina mögen in der Tat einigen zur Deutung der Wiedergeburt des freien Geistes dienen, die wir die Renaissance nennen; was aber erfahren wir in den Trunkenbolden und brüllenden Bauern der Holländischen Kunst von der großen Seele ihrer Heimat? Je abstrakter und ideeller eine Kunst ist, um so besser vermag sie das innere Wesen ihres Zeitalters zu offenbaren. Wenn wir durch Vermittlung der Kunst begreifen wollen, wie ein Volk gedacht und gefühlt hat, müssen wir uns an die Architektur und die Musik wenden.

      Cyril. Das leuchtet mir auch ein. Der Geist eines Volkes wird am besten in den abstrakten und ideellen Künsten wiedergegeben, denn der Geist selbst ist abstrakt und ideell. Wollen wir hingegen den