Oblomow. Iwan Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753126463
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er verschwand.

      »Nach zehn verschiedenen Stellen an einem Tage – der Unglückliche!« dachte Oblomow. »Und das nennt man nun ein Leben!« Er zuckte stark mit den Schultern. »Was wird da aus dem Menschen, wenn er sich so zersplittert und zerstückelt? Gewiß, es ist gar nicht so übel, auch einmal ins Theater hineinzusehen und sich in so eine Lidija zu verlieben . . . sie ist sehr nett! Auf dem Lande mit ihr Blumen zu pflücken und Kahn zu fahren, das ist ganz schön; aber nach zehn verschiedenen Stellen an einem Tage – der Unglückliche!« schloß er, drehte sich auf den Rücken und freute sich, daß er keine so nichtigen Wünsche und Gedanken hatte, daß er nicht herumrannte, sondern dalag, seine Menschenwürde aufrecht erhielt und seine Ruhe bewahrte.

      Ein neues Läuten unterbrach seine Meditationen.

      Es trat ein neuer Besucher ein.

      Dies war ein Herr in einem dunkelgrünen Frack mit Wappenknöpfen, glatt rasiert, mit einem dunklen, sein Gesicht gleichmäßig umrahmenden Backenbarte, mit einem abgearbeiteten, aber ruhigen, selbstbewußten Ausdruck in den Augen, mit einem sehr intelligenten Gesichte und mit einem nachdenklichen Lächeln.

      »Guten Tag, Sudbinski!« begrüßte ihn Oblomow erfreut. »Siehst du dich endlich auch einmal nach deinem alten Kollegen um? Komm nicht so nah heran, nicht so nah! Du kommst aus der Kälte.«

      »Guten Tag, Ilja Iljitsch! Ich hatte schon längst vor, einmal zu dir zu kommen«, sagte der Besucher; »aber du weißt ja, was wir für einen anstrengenden Dienst haben! Da, sieh, ich trage einen ganzen Koffer voll Papiere zum Vortrag; und dem Kurier habe ich jetzt befohlen, wenn dort nach irgend etwas gefragt werden sollte, schleunigst hierher zu eilen. Ich kann auch nicht eine Minute lang über mich verfügen.«

      »Gehst du erst jetzt zum Dienst? Warum denn so spät?« fragte Oblomow. »Früher gingst du doch immer um zehn Uhr . . .«

      »Ja, früher; aber jetzt ist es eine andere Sache: ich fahre um zwölf hin.« Er legte auf das Wort »fahre« einen besonderen Nachdruck.

      »Ah, ich verstehe!« sagte Oblomow. »Du bist Abteilungsvorsteher geworden! Schon lange?«

      Sudbinski nickte bedeutsam mit dem Kopfe.

      »Zu Ostern«, antwortete er. »Aber wieviel ich zu tun habe, das ist horrend! Von acht bis zwölf arbeite ich zu Hause, von zwölf bis fünf im Büro und abends wieder zu Hause. Von dem Umgange mit Menschen habe ich mich vollständig entwöhnt!«

      »Hm! Abteilungsvorsteher – na so etwas!« sagte Oblomow. »Ich gratuliere! So ein Mensch! Und wir hatten zusammen als Kanzleibeamte gedient. Ich glaube, im nächsten Jahre rückst du zum Staatsrat auf.«

      »Nicht doch! Was redest du! In diesem Jahre muß ich erst noch die Krone bekommen; ich glaubte, ich würde nur ›zu einer Auszeichnung‹ vorgeschlagen werden; aber jetzt habe ich ein neues Amt erhalten: zwei Jahre hintereinander geht das nicht . . .«

      »Komm doch heute zu mir zum Mittagessen; wir wollen deine Beförderung durch ein Gläschen Wein feiern!« sagte Oblomow.

      »Nein, heute speise ich beim Vizedirektor. Zum Donnerstag muß ich einen Vortrag vorbereiten; das ist eine höllische Arbeit. Auf die Berichte aus den Gouvernements kann man sich nicht verlassen. Man muß die Tabellen selbst nachprüfen. Foma Fomitsch ist so mißtrauisch: er will alles selbst machen. Da wollen wir uns heute nach Tische zusammen an die Arbeit setzen.«

      »Wirklich nach Tische?« fragte Oblomow ungläubig.

      »Was denkst du denn? Ich will noch zufrieden sein, wenn ich leidlich früh davon loskomme und wenigstens noch die Spazierfahrt nach Jekateringof mitmachen kann . . . Ja, ich bin herangekommen, um dich zu fragen, ob du nicht mitfahren willst? Ich würde dich abholen . . .«

      »Ich bin nicht ganz wohl, ich kann nicht!« antwortete Oblomow, die Stirn runzelnd. »Und ich habe auch viel zu tun . . . nein, ich kann nicht!«

      »Schade!« sagte Sudbinski; »es ist ein so schöner Tag. Ich hoffe mich heute zu erholen.«

      »Nun, was gibt es bei euch Neues?« fragte Oblomow.

      »Vieles, vieles: in den Briefen ist der Ausdruck ›ergebenster Diener‹ abgeschafft; es wird jetzt geschrieben: ›nehmen Sie die Versicherung usw.‹ Es ist verboten worden, die Dienstlisten in zwei Exemplaren vorzulegen. In unserem Büro sind drei Tische und zwei Beamte ›zu besonderen Aufträgen‹ hinzugekommen. Unsere Kommission ist geschlossen worden . . . Viel Neues!«

      »Nun, und was machen unsere früheren Kollegen?«

      »Da ist einstweilen nichts Besonderes zu sagen; Swinkin hat ein Aktenstück verloren!«

      »Wirklich? Was hat denn der Direktor dazu gesagt?« fragte Oblomow mit zitternder Stimme. Er hatte, weil er die Verhältnisse von früher her kannte, einen Schreck bekommen.

      »Er hat befohlen, ihm die Gratifikation vorzuenthalten, bis das Aktenstück sich wiedergefunden haben wird. Es ist ein wichtiges Aktenstück: ›über Zwangsvollstreckungen‹. Der Direktor glaubt«, fügte Sudbinski beinahe flüsternd hinzu, »er habe es absichtlich verloren.«

      »Nicht möglich!« rief Oblomow.

      »Nein, nein! Dieser Verdacht ist unbegründet«, stimmte ihm Sudbinski in würdevollem, gönnerhaftem Tone bei. »Swinkin ist ein windiger Kopf. Weiß der Teufel, was er manchmal für Resultate herausbekommt; er verwirrt alle Rekognitionen. Ich habe mich viel mit ihm abgequält; aber nein, so etwas läßt er sich nicht zuschulden kommen. Das tut er nicht, nein, nein! Er wird das Aktenstück irgendwo verlegt haben, und es wird sich später finden.«

      »Also du steckst immer tief in der Arbeit!« sagte Oblomow. »Immer Amtstätigkeit.«

      »Ja, es ist schrecklich, schrecklich! Nun freilich, unter einem solchen Manne wie Foma Fomitsch zu dienen ist ein Vergnügen: er läßt niemanden unbelohnt; selbst diejenigen, die nichts tun, vergißt er nicht. Wenn der Termin für die Auszeichnungen da ist, so macht er seine Vorschläge; wer noch nicht an der Reihe ist aufzurücken oder einen Orden zu bekommen, dem erwirkt er eine pekuniäre Zuwendung . . .«

      »Wieviel bekommst du denn eigentlich?«

      »Das will ich dir sagen: 1200 Rubel Gehalt, außerdem Tafelgeld 750 Rubel, Wohnungsgeld 600 Rubel, Beihilfe 900 Rubel, für Reisen 500 Rubel und an Gratifikationen gegen 1000 Rubel.«

      »Donnerwetter!« rief Oblomow, vom Bette aufspringend. »Du hast wohl eine schöne Stimme? Du wirst ja bezahlt wie ein italienischer Sänger!«

      »Das ist noch gar nichts! Pereswjetow bekommt Zulagen und arbeitet weniger als ich und versteht auch nichts. Na, allerdings erfreut er sich auch nicht eines so guten Rufes wie ich. Man weiß mich sehr zu schätzen«, fügte er mit niedergeschlagenen Augen bescheiden hinzu. »Der Minister hat kürzlich von mir gesagt, ich sei eine Zierde des Ministeriums.«

      »Du bist ein Prachtmensch!« sagte Oblomow. »Aber von acht bis zwölf zu arbeiten und von zwölf bis fünf und dann noch zu Hause – o weh, o weh!«

      Er wiegte den Kopf hin und her.

      »Aber was sollte ich denn tun, wenn ich nicht meine dienstliche Tätigkeit hätte?« fragte Sudbinski.

      »Da gibt es unzählige Dinge! Du könntest lesen, schreiben . . .« sagte Oblomow.

      »Ich tue auch jetzt weiter nichts als lesen und schreiben.«

      »Aber das ist doch etwas ganz anderes. Du könntest etwas drucken lassen . . .«

      »Es können nicht alle Leute Schriftsteller sein. Du selbst schreibst ja auch nicht«, versetzte Sudbinski.

      »Dafür habe ich ein Gut zu verwalten«, sagte Oblomow mit einem Seufzer. »Ich entwerfe einen neuen Plan; ich will verschiedene Verbesserungen einführen. Ich quäle mich und quäle mich . . . Aber deine Tätigkeit ist auf Fremdes gerichtet und nicht auf Eigenes.«

      »Was soll ich tun? Wenn man Geld dafür bekommt, muß man auch arbeiten. Im Sommer will ich mich erholen: Foma Fomitsch hat mir versprochen, er wolle extra für mich einen auswärts