Oblomow. Iwan Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753126463
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in diesen beruhigenden, beschwichtigenden Worten »möglicherweise«, »vielleicht« und »irgendwie« auch diesmal wie immer eine ganze Fülle von Hoffnungen und Tröstungen, wie sie die Bundeslade unserer Väter enthalten hatte, und wappnete sich im gegenwärtigen Augenblicke mit ihnen gegen das doppelte Unglück.

      Schon lief eine leichte, angenehme Taubheit durch seine Glieder, umnebelte seine Gefühle und versenkte sie beinahe in Schlaf, so wie der erste leichte Frost die Oberfläche der Gewässer überzieht; noch ein Augenblick, und das Bewußtsein wäre ihm geschwunden; aber auf einmal kam Ilja Iljitsch zur Besinnung und öffnete die Augen.

      »Aber ich habe mich ja noch nicht gewaschen! Was ist denn das? Und ich habe auch noch nichts getan«, flüsterte er. »Ich wollte meinen Plan zu Papier bringen und habe es nicht getan; an den Bezirkshauptmann habe ich nicht geschrieben, auch an den Gouverneur nicht; einen Brief an den Hauswirt habe ich angefangen, aber nicht beendet; die Rechnungen habe ich nicht durchgesehen und auch kein Geld herausgegeben – den ganzen Vormittag habe ich verloren!« Er wurde nachdenklich.

      »Was ist denn das für ein Verhalten? Der ›andere‹ würde alles getan haben!« ging es ihm durch den Kopf. »Der ›andere‹, der ›andere‹! Was ist das für ein Mensch, der ›andere‹?«

      Er vertiefte sich in einen Vergleich seiner eigenen Person mit dem »andern«. Er begann angestrengt nachzudenken: und jetzt bildete sich in seinem Kopfe eine Vorstellung heraus, die derjenigen vollständig entgegengesetzt war, welche er seinem Sachar von dem »andern« vorgetragen hatte.

      Er mußte bekennen, daß der »andere« alle Briefe geschrieben haben würde, ohne daß »welcher« und »daß« durch ihre Wiederholung einander gestört hätten; der »andere« würde auch in eine neue Wohnung umziehen und den Plan fertigstellen und nach dem Gute hinfahren . . .

      »Auch ich könnte ja das alles . . .« dachte er. »Ich verstehe ja, möchte ich meinen, auch zu schreiben; ich habe manchmal nicht bloß Briefe, sondern auch knifflichere Sachen geschrieben! Wo ist denn diese ganze Fähigkeit geblieben? Auch das Umziehen ist kein Kunststück. Man braucht nur zu wollen! Der ›andere‹ trägt auch nie einen Schlafrock«, fügte er noch zur Charakteristik des »anderen« hinzu. »Der ›andere‹« (hier gähnte er) »schläft fast gar nicht . . . Der ›andere‹ genießt das Leben, ist überall, sieht alles, hat Interesse für alles . . . Aber ich! ich . . . bin nicht ein ›anderer‹!« sagte er; er war traurig geworden und versank in tiefes Sinnen. Er machte sogar seinen Kopf von der Bettdecke frei. Es war einer der klaren Augenblicke der Selbsterkenntnis in Oblomows Leben gekommen.

      Wie schrecklich wurde ihm zumute, als auf einmal in seiner Seele eine lebendige, klare Vorstellung von dem Schicksal und der Bestimmung des Menschen auftauchte, und als, wenn auch nur für einen Moment, sich ihm eine Parallele zwischen dieser Bestimmung und seinem eigenen Leben aufdrängte, und als in seinem Kopfe allerlei Lebensfragen eine nach der andern erwachten und unordentlich und ängstlich durcheinander flatterten wie Vögel, die ein plötzlicher Sonnenstrahl in einer schlummernden Ruine geweckt hat. Betrübend und schmerzlich war ihm seine mangelhafte Entwicklung, der Stillstand im Wachstum seiner geistigen Kräfte, die Schwerfälligkeit, die ihm in allem hinderlich war; und es nagte an ihm der Neid, daß andere so voll und großzügig lebten, ihm aber gleichsam ein schwerer Stein auf den schmalen, kläglichen Pfad seines Daseins geworfen war.

      In seiner schüchternen Seele wurde er sich zu seiner Qual bewußt, daß viele Fähigkeiten seines Wesens nicht geweckt, andere kaum angeregt waren und keine einzige eine volle Ausbildung gefunden hatte.

      Und dabei fühlte er mit tiefem Schmerze, daß in ihm wie in einem Grabe etwas Schönes und Lichtes, vielleicht jetzt schon Erstorbenes, verschüttet war oder wie Gold im Innern eines Berges lag, und daß dieses Gold schon längst in gangbare Münze hätte umgewandelt sein sollen.

      Aber der Schatz war hoch und schwer mit Unrat und angeschwemmtem Schutt überhäuft. Es war, als hätte die ihm von der Welt und dem Leben geschenkten Kostbarkeiten jemand gestohlen und in seiner eigenen Seele vergraben. Es hinderte ihn etwas daran, auf das Meer des Lebens hinauszufahren und dort mit allen Segeln des Verstandes und Willens dahinzufliegen. Irgendein geheimer Feind hatte gleich zu Beginn des Weges seine schwere Hand auf ihn gelegt und ihn von dem geraden Pfade, der zur Bestimmung des Menschen führt, weit abseits geschleudert . . .

      Und es scheint, daß er sich aus dem Dickicht und der Wildnis nicht mehr auf diesen geraden Pfad hinausarbeiten kann. Der Wald um ihn herum und in seiner Seele wird immer dichter und dunkler; der Pfad, auf dem er geht, verwächst immer mehr; das lichte Bewußtsein erwacht immer seltener und weckt die schlafenden Kräfte immer nur für einen Augenblick. Verstand und Wille sind längst gelähmt, und zwar, wie es scheint, unwiederbringlich.

      Die Ereignisse seines Lebens haben sich zu mikroskopischen Dimensionen verkleinert; aber auch mit diesen Ereignissen kommt er nicht zurecht; er geht nicht von dem einen Ereignisse zum andern über, sondern wird von ihnen hin und her geschleudert, eine Welle nimmt ihn von der andern in Empfang; er ist nicht imstande, dem einen Ereignisse einen spannkräftigen Willen entgegenzustellen oder sich von einem andern in vernünftiger Weise hinreißen zu lassen.

      Eine tiefe Traurigkeit überkam ihn bei dieser geheimen Beichte, die er vor sich selbst ablegte. Fruchtlose bedauernde Erinnerungen an die Vergangenheit und brennende Vorwürfe seines Gewissens verwundeten ihn wie Nadeln, und er bemühte sich mit aller Kraft, die Last dieser Vorwürfe von sich abzuwälzen, einen andern Schuldigen als sich zu finden und ihren Stachel auf diesen zu richten. Aber auf wen?

      »An alledem . . . ist Sachar schuld!« flüsterte er.

      Er erinnerte sich an die Einzelheiten der Szene mit Sachar, und auf seinem Gesichte flammte die glühende Röte der Scham auf.

      »Aber wenn jemand das gehört hätte? . . .« dachte er, und dieser Gedanke machte ihn ganz starr. »Gott sei Dank, daß Sachar nicht versteht, es jemandem wiederzuerzählen; es würde ihm auch niemand glauben, Gott sei Dank!«

      Er seufzte, verwünschte sich selbst, wälzte sich von einer Seite auf die andre, suchte einen Schuldigen, fand aber keinen. Sein Ächzen und Seufzen drang sogar bis an Sachars Ohr.

      »Na, wie ihn der Kwaß aufgebläht hat!« brummte Sachar ärgerlich.

      »Warum bin ich nur ein solcher Mensch?« fragte sich Oblomow beinah mit Tränen und verbarg wieder den Kopf unter die Bettdecke.

      Nachdem er ohne Erfolg nach dem feindlichen Elemente gesucht hatte, das ihn seiner Meinung nach hinderte, so zu leben, wie es sich gehörte, und wie »andere Leute« lebten, seufzte er, schloß die Augen, und einige Minuten darauf begann der Schlummer wieder, sein Bewußtsein allmählich in Fesseln zu schlagen.

      »Ich möchte . . . ebenfalls . . .« sagte er, mühsam mit den Augen zwinkernd, »so etwas tun . . . Hat mich denn die Natur so kümmerlich ausgestattet . . . Aber nein, Gott sei Dank . . . ich kann mich nicht beklagen . . .«

      Darauf wurde ein beruhigender Seufzer vernehmbar. Oblomow ging von der Aufregung zu seinem normalen Zustande, dem Zustande der Ruhe und Apathie, über.

      »Offenbar ist es nun einmal mein Schicksal so . . . Was soll ich da tun? . . .« flüsterte er kaum noch, da ihn der Schlaf überwältigte.

      »Zweitausend Rubel Einnahme weniger . . .« sagte er auf einmal laut im Schlaf. »Gleich, gleich, warte noch . . .« und er wurde wieder halb wach.

      »Aber . . . es wäre doch interessant zu wissen . . . woher ich . . . ein solcher Mensch bin . . .« flüsterte er wieder. Seine Lider hatten sich ganz geschlossen. »Ja, woher wohl? Wahrscheinlich . . . daher, daß . . .« er strengte sich an, zu Ende zu sprechen, vermochte es aber nicht.

      So machte er die Ursache nicht ausfindig. Seine Zunge und seine Lippen erstarrten plötzlich mitten im Satz; der Mund blieb halb geöffnet, wie er gewesen war. Statt der Worte erscholl noch ein Seufzer, und darauf begann das gleichmäßige Schnarchen eines fest schlafenden Menschen zu ertönen. Der Schlaf hielt den langsamen trägen Strom seiner Gedanken an und versetzte ihn in einem Augenblicke in eine andere Periode, zu anderen Menschen, an einen anderen Ort, wohin ich und der Leser, ihm folgend, uns im nächsten Kapitel ebenfalls