Oblomow. Iwan Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753126463
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ist nun erst der höhere Schwindel!«

      Oblomow lachte auf.

      »Was fletschst du die Zähne? Sage ich nicht die Wahrheit?« rief Tarantjew.

      »Na, lassen wir das!« unterbrach ihn Ilja Iljitsch. »Geh in Gottes Namen dahin, wohin du gehen wolltest, und ich werde mit Iwan Alexejewitschs Hilfe alle diese Briefe schreiben und versuchen, meinen Reformplan so schnell wie möglich aufs Papier zu werfen; bei der Gelegenheit wird sich beides zusammen machen lassen . . .«

      Tarantjew ging ins Vorzimmer, kehrte aber plötzlich wieder zurück.

      »Das hatte ich ganz vergessen! Ich kam heute zu dir mit einem Anliegen«, begann er, jetzt in ganz höflichem Tone. »Ich bin morgen zu einer Hochzeit eingeladen: Rokotow verheiratet sich. Borge mir dazu deinen Frack, Landsmann; weißt du, meiner ist schon ein bißchen abgescheuert . . .«

      »Aber wie geht denn das?« antwortete Oblomow, der bei dieser neuen Forderung ein finsteres Gesicht machte. »Mein Frack paßt dir nicht . . .«

      »Er wird mir schon passen; warum sollte er mir nicht passen?« unterbrach ihn Tarantjew. »Erinnerst du dich: ich habe einmal deinen Rock anprobiert, und er saß, als ob er für mich gemacht wäre! Sachar, Sachar! Komm mal her, altes Rindvieh!« rief Tarantjew.

      Sachar brummte wie ein Bär, kam aber nicht.

      »Rufe ihn doch, Ilja Iljitsch! Was ist das von deinem Diener für ein Benehmen!« schalt Tarantjew.

      »Sachar!« rief Oblomow.

      »Ach, daß euch doch . . .« ertönte es aus Sachars Zimmer, zugleich mit dem Sprung der Beine von der Ofenbank.

      »Nun, was wollen Sie?« fragte er, sich an Tarantjew wendend.

      »Gib meinen schwarzen Frack her!« befahl Ilja Iljitsch. »Michei Andrejewitsch wird ihn anprobieren, ob er ihm paßt; er muß morgen zu einer Hochzeit . . .«

      »Ich gebe den Frack nicht her«, sagte Sachar in entschiedenem Tone.

      »Wie kannst du es wagen, so zu antworten, wenn dein Herr es befiehlt?« schrie Tarantjew. »Warum schickst du ihn nicht ins Arbeitshaus, Ilja Iljitsch?«

      »Ja, das fehlte noch, den alten Mann ins Arbeitshaus zu schicken!« sagte Oblomow. »Gib den Frack her, Sachar; sei nicht eigensinnig!«

      »Ich gebe ihn nicht her«, erwiderte Sachar kaltblütig. »Mag er vorher unsere Weste und unser Hemd zurückbringen. Die sind beide schon bald fünf Monate bei ihm zu Besuch. Er hat sie sich ebenso zu einer Namenstagsfeier geborgt, und wir haben sie nicht wieder zu sehen bekommen; es ist eine Samtweste und ein Hemd von feiner holländischer Leinwand, das fünfundzwanzig Rubel gekostet hat. Ich gebe den Frack nicht her!«

      »Na, dann adieu! Seid einstweilen dem Teufel befohlen!« schloß Tarantjew zornig und drohte beim Hinausgehen Sachar mit der Faust. »Vergiß nicht, Ilja Iljitsch, ich werde die Wohnung für dich mieten, hörst du?« fügte er hinzu.

      »Nun gut, gut!« sagte Oblomow ungeduldig, um ihn nur loszuwerden.

      »Und schreibe nur alles Erforderliche«, fuhr Tarantjew fort, »und vergiß nicht, dem Gouverneur zu schreiben, daß du zwölf Kinder hast, eines immer kleiner als das andre. Und sorge dafür, daß um fünf Uhr die Suppe auf dem Tische ist! Warum hast du denn nicht Befehl gegeben, eine Pastete zu machen?«

      Aber Oblomow schwieg; er hörte schon längst nicht mehr nach ihm hin, hielt die Augen geschlossen und dachte an etwas anderes.

      Nach Tarantjews Weggange herrschte im Zimmer etwa zehn Minuten lang eine durch nichts gestörte Stille. Oblomow war durch den Brief des Dorfschulzen und durch den bevorstehenden Umzug verstimmt und zum Teil auch durch Tarantjews Rederei ermüdet. Endlich stieß er einen Seufzer aus.

      »Warum schreiben Sie denn nicht?« fragte Alexejew leise. »Ich würde Ihnen eine Feder schneiden.«

      »Tun Sie das, und gehen Sie dann in Gottes Namen irgendwohin. Ich werde die Briefe allein aufsetzen, und Sie können dann nach Tische abschreiben.«

      »Sehr wohl«, antwortete Alexejew. »Ich fürchte wirklich, daß ich Sie dabei am Ende noch stören würde. Ich werde unterdessen zu den Herren hingehen und ihnen sagen, sie möchten mit der Fahrt nach Jekateringof nicht auf uns warten. Leben Sie wohl, Ilja Iljitsch!«

      Aber Ilja Iljitsch hörte nicht nach ihm hin: er hatte die Beine unter den Leib gezogen, so daß er auf dem Lehnstuhl beinah lag, und versank trübsinnig in einen Zustand, der zwischen Druseln und Nachdenken die Mitte hielt.

      V

      Oblomow, von Geburt Adliger, dem Range nach Kollegiensekretär, lebte seit zwölf Jahren ununterbrochen in Petersburg.

      Anfangs, solange seine Eltern noch am Leben waren, hatte er etwas beschränkter gelebt, nur eine Zweizimmerwohnung gehabt und sich mit einem Diener, den er vom Gute mitgebracht hatte, begnügt, mit Sachar; aber nach dem Tode seines Vaters und seiner Mutter war er der alleinige Besitzer von dreihundertfünfzig Seelen geworden, die ihm durch Erbschaft in einem der abgelegensten Gouvernements, beinahe schon in Asien, zugefallen waren.

      Statt fünftausend Rubel hatte er nun eine Jahreseinnahme, die zwischen sieben- und zehntausend Rubeln schwankte, und da nahm auch seine Lebenshaltung einen andern, größeren Zuschnitt an. Er mietete sich eine geräumigere Wohnung, vergrößerte sein Hauspersonal durch einen Koch und schaffte sich einen Wagen und zwei Pferde an.

      Damals war er noch jung, und wenn man auch nicht sagen kann, daß er lebhaft gewesen wäre, so war er doch wenigstens lebhafter als jetzt; er war noch von mancherlei Bestrebungen erfüllt, hoffte immer noch auf etwas und erwartete vieles, sowohl vom Schicksal als auch von sich selbst; er bereitete sich immer auf eine Karriere vor, auf eine Rolle, die er spielen wollte, selbstverständlich vor allen Dingen im Staatsdienste, was ja auch der Zweck seiner Übersiedelung nach Petersburg gewesen war. Außerdem dachte er daran, auch in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen; in fernerer Perspektive endlich, für die Zeit des Überganges von der Jugend zum reiferen Alter, schwebte seiner Phantasie das lächelnde Bild des Eheglücks vor.

      Aber ein Tag ging nach dem andern dahin, ein Jahr löste das andere ab; der weiche Flaum in seinem Gesichte verwandelte sich in einen harten Bart; die leuchtenden Augen wurden zu zwei trüben Punkten; die Taille rundete sich; die Haare begannen erbarmungslos auszufallen; er vollendete das dreißigste Lebensjahr; aber er war auf keinem Gebiete auch nur einen Schritt vorwärtsgekommen und stand immer noch an der Schwelle seiner Laufbahn, ebendort wo er zehn Jahre vorher gestanden hatte.

      Er hatte immer noch die Absicht, demnächst das wirkliche Leben zu beginnen, und bereitete sich noch darauf vor; er entwarf immer noch im Geiste ein ideales Bild seiner Zukunft; aber mit jedem Jahre, das über seinem Haupte dahinzog, sah er sich genötigt, an diesem idealen Bilde Änderungen und Tilgungen vorzunehmen.

      Das Leben zerfiel nach seiner Auffassung in zwei Hälften: die eine bestand aus Arbeit und Langeweile (das waren bei ihm gleichbedeutende Begriffe), die andere aus Ruhe und friedlicher Heiterkeit. Infolgedessen enttäuschte ihn seine hauptsächlichste Laufbahn, der Staatsdienst, in der ersten Zeit in der unangenehmsten Weise.

      Da er fern von jeder größeren Stadt mitten in den sanften, freundlichen Sitten und Gebräuchen seiner Heimat aufgewachsen war und zwanzig Jahre lang mit seinen Angehörigen, Freunden und Bekannten auf das innigste verkehrt hatte, so war er dermaßen von Familiensinn durchdrungen, daß er sich auch den bevorstehenden Staatsdienst gleichsam wie eine Beschäftigung in der Familie vorstellte, zum Beispiel in der Art einer lässigen Eintragung der Einnahmen und Ausgaben in ein Heft, wie das sein Vater gemacht hatte. Er hatte die Vorstellung, daß die Beamten einer jeden Dienststelle unter sich eine eng befreundete Familie bildeten, die unermüdlich wechselseitig für die Ruhe und das Vergnügen der einzelnen sorge; daß der Besuch des Büros keineswegs eine obligatorische Gewohnheit sei, an die man sich täglich zu halten habe, sondern daß Schlackerwetter, Hitze oder auch bloß Verstimmung stets als ausreichende gesetzmäßige Gründe für ein Fernbleiben vom Amte dienen könnten.

      Aber