Sehen will gelernt sein. Wilfred Gerber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfred Gerber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847608677
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ich werde pünktlich um 15 Uhr bei Ihnen vorsprechen. Auf Wiederhören.“ Dr. Weiß verließ die Telefonzelle und machte sich sofort auf den Weg zum Hotel.

      Nachdem er das Gepäck aus dem Zimmer geholt hatte, checkte er aus, bezahlte die Rechnung in bar, gab ein angemessenes Trinkgeld und ließ sich ein Taxi rufen.

      Er musste nicht lange warten, der Wagen hielt gleich vor der Lobby, ein Page brachte das Gepäck, zwei große Hartschalenkoffer, direkt an die Hoteleinfahrt.

      Noch ehe die Koffer eingeladen waren, machte es sich Dr. Weiß auf der Rückbank bequem, nannte dem Fahrer, als er wieder hinter dem Steuer saß, den Hauptbahnhof als Ziel. Dort angekommen, bezahlte er, wieder in bar, gab ein kleines Trinkgeld, durchschritt eilig den Haupteingang in Richtung Fahrkartenschalter und löste ein Ticket 1. Klasse nach München.

      Sicher war sicher. Wenn jemand seine Spur verfolgen sollte, hätte er ihn so in die Irre geführt.

      Nachdem er die Fahrkarte sorgfältig in der Innentasche seiner mausgrauen Anzugsjacke verwahrt hatte, begab er sich erneut zum Taxistand und ließ sich zum Bindner-Hotel, dem besten Haus der Stadt, fahren.

      „Ich möchte gern für zwei Nächte eine Suite buchen“, sagte er am Empfang, legte seinen Aktenkoffer auf den Tresen, entnahm ihm die handgenähte, gut gefüllte Brieftasche, öffnete sie, dass der Empfangschef das Bargeld und mehrere Kreditkarten sehen konnte. „Wie möchten Sie bezahlen, Herr?“, fragte er devot.

      „Weiß, ist mein Name, nur zur Vollständigkeit, Dr. Weiß. Ich muss übermorgen sehr früh abreisen, deshalb werde ich die Rechnung jetzt gleich bezahlen. Bargeld ist Ihnen doch recht?“ Er warf einen kurzen Blick auf die Rechnung, entnahm der Brieftasche 700 Mark und sagte mit gewinnendem Lächeln. „Der Rest ist für die Angestellten.“

      Der Empfangschef vergaß, als er den Meldezettel ausfüllte, sich den Ausweis zeigen zu lassen.

      „Max, bringen Sie bitte das Gepäck von Dr. Weiß auf Suite 257.“

      „Herr Dr., Ihre Suite ist leider erst in 15 Minuten fertig, darf ich Sie in der Zwischenzeit zu einem Getränk auf Kosten des Hauses an der Bar einladen? Susanne, begleiten Sie Dr. Weiß.“

      „Ich hätte gern“, bestellte Weiß, „einen doppelten Espresso, dazu ein Glas stilles Mineralwasser, und bringen Sie mir bitte die hiesige Tageszeitung. Man will ja wissen, wo man ist.“

      Er vertiefte sich konzentriert in den Lokalteil. Seine Lektüre wurde schon bald unterbrochen.

      Verlegen stand der Page vor ihm. „Dr. Weiß? Ihre Suite ist jetzt fertig. Hier ist der Schlüssel. Wünschen Sie, dass ich Sie begleite?“, fragte er lächelnd.

      „Nein, nein, das ist nicht nötig. Mein Gepäck ist ja schon oben.“ Weiß nahm den Schlüssel, bedachte den Pagen mit einigen Münzen.

      Endlich auf dem Zimmer, seufzte er, warf sich wie er war auf das frisch gemachte Doppelbett und schloss die Augen.

      Aus dem Tiefschlaf fuhr er erschreckt hoch, vergewisserte sich durch einen Blick auf die Schweizer Platinarmbanduhr, dass die Zeit bereits knapp geworden war.

      „So spät schon!“ Hastig sprang er aus dem Bett, riss sich die Kleider vom Leib, stellte sich unter die wohltemperierte Dusche, deren warmer Strahl ihn sanft einhüllte und seine Verspannungen löste.

      Plötzlich wurde er aus den Tagträumen gerissen. Dr. Weiß war versehentlich an den Hebel der Armatur geraten, der eiskalte Strahl ergoss sich mit Macht über seinen Körper und ließ ihn erstarren.

      Tropfnass zitternd frottierte er sich hastig ab, stellte sich mit dem Handtuch um die Hüften vor den Waschbeckenspiegel, rasierte sich sorgfältig, „So viel Zeit muss sein“, flüsterte er gutgelaunt, schüttete einen Schuss des teuren Rasierwassers auf die Hand, massierte es genussvoll auf Kinn und Wangen. Wohlgefällig betrachtete er das Spiegelbild, was er sah, gefiel ihm. Genau das richtige Gesicht für sein Vorhaben.

      Der Koffer lag geöffnet auf dem Bett. Zum mausgrauen, maßgeschneiderten Geschäftsanzug wählte er das passende hellblaue Hemd und die rotseidene Krawatte. Die grauen, handgenähten, italienischen Halbschuhe komplettierten die sorgfältig ausgewählte Garderobe. Vollständig bekleidet, innerlich bereit für den Banktermin griff er zum Haustelefon. „Würden Sie mir freundlicherweise ein Taxi bestellen.“ Weiß legte den Hörer zurück, nahm den Aktenkoffer in die linke Hand, nicht ohne sich noch einmal seines Inhalts zu vergewissern, blickte flüchtig auf die Armbandbanduhr, er würde es noch pünktlich schaffen, verließ gemessenen Schrittes, schon ganz auf den bevorstehenden Auftritt fixiert, die Suite. Er hatte nicht die Absicht, obwohl er für zwei Nächte bezahlt hatte, sie je wieder zu betreten.

      Als er die Hoteltür durchschritt, wartete das Taxi in der Auffahrt. „Bitte fahren Sie mich zur Raiffeisenbank am Herrmannsplatz.“ Ohne Gepäck stieg er ein, er würde es nicht mehr brauchen, es konnte getrost zurückbleiben. Der Inhalt erlaubte keine Rückschlüsse auf ihn, außer der Kleidung, die er am Leibe trug, gehörte ihm nichts davon.

      Er zog die Akte aus dem Koffer, vertiefte sich in ihren Inhalt, als die Fahrt begann.

      Der plötzliche Halt beendete das Studium. „Die Raiffeisenbank, der Herr“, lächelte der Taxifahrer. „Das macht dann elf Mark fünfzig. Wünschen der Herr eine Rechnung?“

      „Selbstverständlich, der Rest ist für Sie.“ Dr. Weiß ordnete schnell seine Unterlagen, betrat drei Minuten nach drei die Bank, an deren Eingang Herr Bergmann, der Filialleiter, ihn erwartete.

      Er legte im Büro die notwendigen Papiere vor, und schon nach fünfzehn Minuten verließ er mit 40.000 Mark in der Aktentasche die Filiale.

      Im Inneren des in der Nähe geparkten Transporters wechselte er die Kleidung, setzte sich, nun im blauen Arbeitsanzug, hinter das Steuer, fuhr zügig, unter der Höchstgeschwindigkeit, in Richtung Frankfurter Autobahn. Kurz vor der Auffahrt lenkte er den Wagen an die rechte Seite und hielt vor der Telefonzelle.

      9

      „Lothar, ich komme heute noch nach Frankfurt zurück. Hier hat alles wie am Schnürchen geklappt. Ich habe das Geld. Treffen wir uns um sieben bei dir?“

      Wolfi Wagner hatte sich schon umgezogen, sein Gepäck im Laderaum des Transporters mit der großen Aufschrift, Feuerschutz-und Sicherheitstechnik, verstaut und fuhr nach getaner Arbeit auf der vollen Würzburger Autobahn nach Frankfurt.

      Dass sich gerade die Zellentür des türkischen Gefängnisses hinter seinem besten Freund Reinhard Amper schloss, konnte er nicht ahnen.

      Der blaue Kastenwagen war mit Feuerlöschern, Ersatzteilen und Werkzeugen bis unter das Dach voll beladen.

      Wolfi saß in blauer Arbeitshose, dem dazu gehörenden Kittel hinter dem Steuer und hielt sich während der Fahrt unauffällig an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Oft wurden er und sein Chef Lothar Busse bei den verschiedensten Polizeikontrollen einfach durchgewunken. Er hoffte, auch heute würde es so sein.

      Das Glück blieb ihm treu, außer dem allabendlichen Stau hinter Aschaffenburg verlief die Fahrt ohne Probleme.

      Er kam fast pünktlich, kurz nach sieben, auf Busses Betriebshof an, parkte den Kastenwagen ordentlich in die Lücke, begrüßte seinen Chef, der vor der Haustür ungeduldig auf ihn wartete, mit einem freundlichen: „Hallo!“

      „Komm rein, Wolfi, bring die Auftragszettel mit. Wir wollen mal sehen, ob wir uns die nächsten Tage frei nehmen können.“

      Busse wusste sofort durch Wolfis Gang, dass sich der heutige Tag gelohnt hatte.

      „Die Bareinnahmen sind in der Tasche“, strahlte Wolfi. „Ich lade noch die Koffer in den Kombi, dann können wir die Abrechnung machen. Du kannst es ja kaum erwarten, aber ich muss bald fahren. Heute Abend wartet Helga mit dem Essen auf mich. Ich ziehe mich schnell um, geduscht habe ich schon im Hotel, dann kann´s losgehen. Nimm den Geschäftskoffer mit rein. Mach schon mal ein Bier auf, ich komme gleich nach. So viel Zeit muss sein, Chef, am wohlverdienten Feierabend.