Sehen will gelernt sein. Wilfred Gerber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfred Gerber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847608677
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schon mal hier sind, schlage ich Ihnen vor, die Feuermelder trotzdem einzubauen. Über die Bezahlung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir räumen Ihnen einen dreimonatigen Zahlungsaufschub ein. Ist Ihnen das recht?“ Wolfi erhob sich und lächelte den Hausherren verständnisvoll an.

      „So eine Großzügigkeit, meine Herren, hätte ich nicht mal im Traum von Ihnen erwartet“, stimmte er erleichtert und freudig zu. „Noch einen Kaffee?“

      „Nein, danke, Herr Lauth, der Kaffee ist hervorragend, lassen Sie uns zuerst die Arbeit erledigen. Zeit ist bekanntlich Geld, heißt es im Sprichwort.“

      „Werner, hol bitte die Melder aus dem Wagen. Ich gehe in den Keller und setze die neue Sicherung.“ Wolfi schnappte sich den Werkzeugkasten.

      „Ich bin schon auf dem Weg, Manfred. Bleiben Sie ruhig sitzen, Herr Lauth. Ich kenne den Weg“, entgegnete Wolfis Chef Lothar Busse.

      Kein Verdacht würde auf sie fallen. Sie taten nur ihre Arbeit, sonst nichts. Wer würde schon vermuten, dass sie so frech wären, nach dem Diebstahl an den Tatort zurückzukehren, um den mit dem Opfer vereinbarten Auftrag abzuarbeiten und das Schwarzgeld dafür zu kassieren. Unvorstellbar.

      „Guten Abend, Helga mein Schatz.“ Er hängte müde den blauen Arbeitskittel mit dem Logo seiner Firma auf der linken Brustseite an die Garderobe im Flur. Der Tag war anstrengend gewesen, Lothar wollte nur Erfolge sehen. Wolfi legte das Schlüsselbund griffbereit auf den Schuhschrank.

      „Leider ist es heute wieder spät geworden, dann hatten wir auch noch einen langen Stau hinter Aschaffenburg.“ Er umarmte und küsste liebevoll seine Freundin. „Schläft Anna schon?“

      „Du machst mir Spaß, Wolfi. Was sollte sie mit ihren acht Jahren anderes tun, als um halb elf zu schlafen. Sie hat dich in den letzten Wochen fast nie gesehen. Ständig fragt sie, wo denn ihr lieber Papa ist!“, schimpfte Helga Bruns, Wolfis langjährige Freundin und Mutter seiner Tochter.

      „Du hast ja recht, Liebe“, versuchte Wolfi zu beschwichtigen. „Bald wird es besser, hat mir Lothar versprochen. In zwei Wochen macht er Betriebsferien. Dann können wir endlich alle zusammen ein paar Tage wegfahren, versprochen.“ Das zärtliche, strahlende Lächeln ließ Helgas Zorn verrauchen.

      „Du musst hungrig sein. Soll ich dir schnell etwas machen?“, fragte sie vorerst beruhigt.

      „Nein, Danke, wir haben unterwegs gegessen, aber zu einem Feierabendbier sage ich nicht nein.“ Er setzte sich zu ihr an den Küchentisch. „Lothar hat mir heute das Gehalt ausgezahlt.“ Wolfi griff in die Hosentasche, nahm aus dem dicken Bündel zweitausend Mark und schob sie über den Tisch zu Helga. Sie sah ihn betrübt an, schob den zweiten Tausender zurück. „Den Rest will ich nicht, Wolfi“, sagte sie in die bedrückende Stille hinein, ihr Lächeln erlosch. „Das ist schmutziges Geld. Ich will damit nichts zu tun haben, das müsstest du inzwischen wissen. Ich hoffe nur, dass es mit dir und Lothar nicht schlimm endet.“

      „Mach dir keine Sorgen, Helga, Lothar ist schon lange im Geschäft und äußerst vorsichtig. Außerdem haben wir für den Fall der Fälle vorgesorgt“, versuchte Wolfi seine Freundin zu beruhigen. Wie immer, gelang es ihm auch heute nicht. Helgas Furcht stand seit Langem zwischen ihnen, erlaubte, trotz aller Bemühungen, kein normales freies Leben.

      Viel Zeit verbrachte Wolfi bei ihr und Anna in der Wohnung, doch offiziell war er immer noch bei seinem Vater in der Sozialsiedlung der Vorstadt gemeldet. In ihr hatte er die Kindheit, Jugend und einen großen Teil seines erwachsenen Lebens verbracht. Alle Freunde, auch sein bester, Reinhard Amper, wohnten dort oder waren nach kurzer Zeit an einem anderen Ort schnell zurückgekehrt. In der Umgebung der Freunde fühlte sich Wolfi sicher und geborgen. Im Tal des Todes durfte er sich ungeniert daneben benehmen, musste keinen Schein wahren. Wenn er aber doch einmal leichtsinnig unvorsichtig wurde, war ihm der Schutz der anderen sicher. Diese Verlässlichkeit ließ ihn nie, trotz des unsteten Lebens, auf den Gedanken kommen, die Vorstadtsiedlung zu verlassen. Jedes Mal nach den unzähligen langen und kurzen Reisen kehrte er zurück, war dann freudig erregt, endlich zu Hause zu sein.

      Wolfi hielt nichts mehr bei Helga in der Küche. Ihre unausgesprochenen Vorwürfe trieben ihn, trotz der bleiernen Müdigkeit, auf die Straße. Enttäuscht und stumm ging er.

      Sie blieb am Tisch sitzen, der Rücken krümmte sich, ihren Blick heftete sie starr und verloren an die Küchenwand.

      Die Wohnungstür fiel leise ins Schloss. Verschreckt hob sie den Kopf, die Tränen liefen, das Schluchzen ließ den Körper erbeben, Furcht und Trauer endeten in auswegloser Verlassenheit.

      Spät kam sie zu sich. „Was soll ich machen? Ich liebe ihn doch“, murmelte sie, erhob sich und verließ zitternd die Küche. Erst der gleichmäßige, ruhige Atem des Kindes im Schlafzimmer erlöste sie aus ihrer Qual.

      11

      „Susanne, wir sollten unsere Ermittlungen mehr auf die Aktenkoffer lenken“, triumphierte Kriminalhauptkommissar Horst Kruse. „Der Knackpunkt bei den Koffern ist, dass die Täter nicht immer denselben verwenden, aber immer dieselbe Marke. Damit könnten wir sie kriegen. Wir nehmen uns jetzt noch mal alle verdächtigen Überwachungsvideos vor. Wenn wir auf vermehrte Übereinstimmung bei der Koffermarke treffen, überprüfen wir die Personen auf Gemeinsamkeiten. Die Kollegen sollen so viele Videos, wie möglich, auf diesen Gesichtspunkt hin bearbeiten. Vielleicht bringt uns das endlich einen Schritt weiter. Noch eine Merkwürdigkeit ist mir aufgefallen, das kann etwas heißen, muss aber nicht. Die Täter begehen in allen Bundesländern Straftaten, nur nicht in Hamburg und Umgebung. Das kann durchaus bedeuten, dass sie ihren festen Wohnsitz dort haben. Auch darauf sollten wir unser Augenmerk lenken. Ich habe mich schon mit den Kollegen in Hamburg kurzgeschlossen. Sobald wir ein brauchbares Täterfoto haben, wollen sie die Fahndung einleiten. Vielleicht haben wir endlich Glück. Susanne, gibst du das bitte an die Kollegen der SoKo weiter? Lehmann löchert mich die ganze Zeit. Er will endlich Ergebnisse sehen.“

      „Ja, Horst, ich veranlasse das gleich. Wenn du recht hast, haben wir endlich etwas Konkretes für die Fahndung.“ Die Kommissarin legte zögerlich die Hand auf Kruses Arm. „Ich würde dir einen baldigen Erfolg von Herzen gönnen.“ Eine peinliche Pause stellte sich ein. „Heute mache ich, wenn nichts dazwischen kommt, pünktlich um sechs Feierabend. Ich habe inzwischen so viele Überstunden, dass ich sie in diesem Jahr überhaupt nicht mehr abfeiern kann. Wie sieht es mit dir aus, Horst?“, fragte Susanne Richter und rückte noch näher an ihn heran. „Der Buschfunk hat gemeldet, dass du für eine Woche Strohwitwer bist, weil Ursula mit ihren Tennisdamen beim Stagelwirt im Trainingslager ist. Warum hast du mir davon nichts gesagt. War das Absicht, mein Lieber?“, ließ sie Kruse ihren Zorn deutlich spüren. „Wenn Schluss ist zwischen uns, kannst du mir das ruhig sagen. Ich werde dir keine Szene machen, aber dass du mit mir redest, darf ich, nach so langer Zeit, von dir erwarten.“

      „Red keinen Unsinn, Susanne. Du siehst selbst, was hier los ist. Ich bin die letzten Tage überhaupt nicht aus dem Revier weggekommen und habe meistens hier im Büro auf dem Feldbett geschlafen. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht, und du kommst mir so. Nur kurz zum Umziehen habe ich es nach Hause geschafft. Ich hätte mir schon Zeit für dich genommen, wenn Gelegenheit dazu gewesen wäre.“ Kruse war verärgert. „Falls wir heute zu einem Ergebnis, sei es auch noch so klein, kommen sollten, sehen wir uns am Abend, das verspreche ich dir. Also, an die Arbeit. Je eher wir fertig sind, desto früher können wir gehen“, lächelte Kruse und beugte sich über die Akten. Er legte vier Fotos nebeneinander und versuchte mit einer starken Lupe Ähnlichkeiten auf ihnen zu entdecken. Lange starrte er die Bilder an, bis er sich sicher war, dass die Person vor den verschiedenen Geldautomaten ein und dieselbe war, aber je länger er auf die unscharfen Fotos blickte, schwand seine Sicherheit, zu unterschiedlich war die Kleidung, mal trug die Person einen einfachen Arbeitskittel, mal einen gut geschnittenen Geschäftsanzug, mal geschmackvolle, teure Freizeithemden und mal einen billigen Trainingsanzug. Auch die Gesichts-und Körperformen hatten plötzlich nichts Gemeinsames mehr, mal war die Person füllig mit einem runden, aufgedunsenen Gesicht, mal hager mit eingefallenen Wangen und spitzem Kinn. Wenn die Person auf den Fotos immer dieselbe war, musste sie ein