Vielleicht gab es gar keinen Gott und die Menschen waren ein Produkt des Zufalls. Wieso kommt es dann, dass sich dieser Zufall bei den meisten liebenden Pärchen wiederholt und bei einigen anderen, die sich ebenso ein Kind wünschten nichts dergleichen geschah? An Lie-e's Körper gab es unzählige Narben von Kämpfen mit Bären und anderen Wildtieren - sollte er zufällig all diese Kämpfe überlebt haben? Vielleicht heißt dieser Gott in Wirklichkeit "Zufall" und ist einer der irgendwo oben wohnt, um in Momenten der Gefahr von oben die richtige Waffe in meine Hände FALLEN ZU lassen. Ob der Name des Gottes nun Manitu, Abraham, Franz, Christus oder Zufall wäre, sei letztendlich gleichgültig.
Wenn Gott aber nur das Werkzeug reicht, welches wir brauchen um unsere Schwierigkeiten zu meistern, dann entscheidet nicht er unser Schicksal, sondern wir selbst. Dies etwa dadurch, dass wir uns seiner Hilfen bedienen oder aber sie liegenlassen, sie anderen überlassen oder wir uns dazu entscheiden nichts zu tun, weil andere ein besseres Los gezogen hätten. Andererseits aber hatte Lie-e immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ihm der da oben immer genau das zuwarf, was er gerade in der Situation brauchte, nicht bloß irgendetwas, sondern genau das Notwendige. Welches sonderbare Wort, "notwendig" es wendet die Not - zum Besseren hin.
Wenn also Gott uns selbst die Entscheidung überlässt, wie wir mit dem eigenen Leben umgehen, dann enthält er sich jeder Wertung des Richtigen und Falschen, vielmehr akzeptiert er, dass jeder sein eigenes Richtig in sich trägt, wenn er bloß mit den gereichten Instrumenten an seiner Verwirklichung arbeitet. Allmählich verstand Lie-e die Gleichheit der Menschen nicht nur mit seinem Hirn, sondern auch tief in seinem Herzen. Auch verstand er, dass die Macht des Zufälligen darin liegt, die momentane Schwierigkeit zu überwinden. In diesem Moment erblickte Lie-e einen Baum der zufällig vor seinen Augen umgefallen war und nun eine Brücke über den Fluss bildete. Mit seiner neu gewonnenen Dankbarkeit und Ehrfurcht überquerte er den Fluss um auf der anderen Seite des Ufers zur Quelle zu gelangen.
Im Laufe seines Weges entdeckte er Lianen die sich ihm entgegenstreckten und zwar genau an jenen Stellen, wo das Ufer glitschig war, so dass er mit des Zufalls Hilfe immer wieder die Schwierigkeiten meistern konnte. Letztendlich gelangte er zur Quelle und als er sie erblickte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Natürlich wusste Lie-e, dass das Wasser nicht an dieser Stelle entstehen würde, lediglich dass es von der Unsichtbarkeit in die Äußere Welt tritt um dort ein bewusster Teil unseres Lebens zu werden. Dieses herunterfallende Bächlein, den sie Götterbote nannten, er brachte ihnen die Nahrung, die Reinigung, die Erfrischung, den Durstlöscher und die Erkenntnis vom Weg zum großen Meer, bevor daraus Wolken wurden, welche den weiter entfernt wohnenden wiederum zufallen konnten.
Lie-e bewunderte immer mehr, dass auf der Welt alles mit rechten Dingen zugeht und da kam ihm sein Auftrag wieder in den Sinn: Er sollte zusehen, also sehen lernen, dass alles seine Richtigkeit hat. Niemand hatte davon gesprochen, dass er dafür sorgen sollte, was auch als Aufgabe ihn zum Aufgeben gezwungen hätte. Jeder Teil dieser Welt sorgt auf seine Weise, dass das kommt, was er für seinen Weg benötigt und wenn ein solches Wesen nicht mehr weiter weiß, dann fällt ihm von oben das Richtige zu, genau das, was es in diesem Augenblick am dringendsten braucht.
Um aber all das zu verstehen, hatte es seiner großen Wanderschaft bedurft, wie auch der vielen zufälligen Geschehnisse. Also musste er auch auf seiner eiligen Suche nach der Wahrheit immer wieder innehalten und während er innehielt, seine Gedanken auf eine eilige Wanderschaft schicken.
Bloß ein Gedanke beschäftigte ihn noch sehr. Wenn Gott auch Zufall, Franz, oder Ottokar heißen konnte, könnte er auch "Lie-e" heißen? Irgendwann auf seinem Heimweg blickte er auch in einen Fluss und er sah etwas in den Wellen geschrieben. Leider waren seine Augen gerade so sehr mit Tränen gefüllt, dass er die Nachricht von oben nicht entziffern konnte. Lie-e konnte auch nicht aufhören zu weinen, zu sehr war er von all den Zufällen seiner Wanderschaft berührt und so eilte er heimwärts.
Nach seiner langen Reise und Abwesenheit war die große Freude ausgebrochen, als Lie-e sein Dorf betrat. Kinder, Frauen und Männer ließen alles stehen und liegen um ihn zu begrüßen. Sie fragten ihn mit aufgeregter Stimme, was er denn erlebt, was er ihnen mitgebracht hätte, weswegen er denn so lange unterwegs gewesen sei, wie er denn die Gefahren überwunden hätte und dergleichen mehr.
Sein Lehrer jedoch nahm ihn zur Seite und kündigte ein Fest über drei Tage und drei Nächte an und am Höhepunkt des Festes würden sie auf all ihre Fragen die Antwort bekommen. So geschah es dann auch. Der Medizinmann blickte Lie-e in die Augen und sprach: Du warst auserkoren für unseren Stamm auf Wanderschaft zu gehen und jenen Teil von dir zu suchen, den du brauchtest um ganz zu werden und du konntest nicht eher zu uns zurück finden, bevor du deine Antworten mit deinem Herzen verstanden hast. Nun, darf auch dein Name ein Ganzes werden und so nennen wir dich ab heute "Lie b e" und von nun an wirst du, wann immer wir mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben unser Ratgeber sein. All das, was du dazu benötigst, hast du auf deiner Reise erfahren. Dein ganzes restliches Leben wirst du uns immer wieder davon erzählen und in deinen Antworten fällt uns das Richtige zu.
Nun erinnerte sich "Lie-b-e" seiner letzten Frage, ob denn Gott auch Lie-e heißen könnte. Nun, da ihm dieses "b" zugefallen war, wusste er, dass Gott auch "Liebe" heißen konnte. Könnte er überhaupt anders heißen als "Liebe"?
Ge-danken und Ge-Bete
Der indianische Medizinmann LIEBE erhob sich an diesem Morgen schon vor dem Sonnenaufgang, denn er wollte sich auf die Chancen dieses Tages eingehend vorbereiten. Zunächst vollzog er die Reinigungszeremonie seines Äußeren, den er Körper nannte auf eine sehr behutsame und sanfte Weise. In der Art wie er zärtlich über seinen Körper strich, drückte er seine Dankbarkeit aus, von allen Teilen genügend viele zu haben, und jeder dieser Teile fügte sich in die Harmonie seines Lebens, solange er selbst nicht dagegen handelte.
Danach schritt er vor sein Zelt und kauerte sich auf den lehmigen Boden genau so, dass die Sonne beim Aufgang sein Gesicht antreffen konnte. Schließlich wusste er, dass es die Aufgabe der Sonne war, sich jenen Menschen zu zeigen, die daran Interesse hatten. Es war aber nicht die Aufgabe der Sonne, die Menschen dazu zu bringen, sich ihr zuzuwenden. Liebe schloss seine Augen und ging mit all seinen Gefühlen in sein Inneres. Erst langsam unter seine Haut und dann immer mehr in das Zentrum seines Körpers, welches Lebensquell genannt wurde.
Dabei unterbrachen ihn aber immer wieder GE-DANKEN. Es wollte ihm nicht so recht gelingen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren und so überlegte er, was denn eigentlich ein Gedanke sei.
Zum Beispiel ein Wunsch, eine Bitte, eine Hoffnung, aber auch eine Befürchtung, eine Sehnsucht, eine Angst, ein Urteil, ein Protest, eine Betrachtung der Minderwertigkeit, eine Suche nach der absoluten Richtigkeit, eine zweiflerische Zerrissenheit, ein Ablehnen von Alternativen, ein Vorurteil, eine scheinbare trügerische Gewissheit, ein analytischer - skeptischer kritischer Betrachtungswinkel, ein Versuch der richtigen Einordnung, eine Flucht in die Vergangenheit oder in die Zukunft, eine Verteidigungsrede die vorbereitet wird, eine Strategie an der noch gefeilt wird, eine Idee der Rache, eine kleine oder große Resignation, eine Schuldzuweisung, eine Abgrenzung, ein Opferspiel, und so weiter und so weiter.
Liebes Lebenserfahrung hatte ihn gelehrt, dass viele Menschen schwarze Gedanken ihr eigen nannten. Sie waren so ähnlich wie Bauern, die auf das Feld hinaus gingen und schwarze Saat unter die Erde brachten. Immer wieder, und wieder, Tag um Tag, Nacht um Nacht. Dabei hatten sie sich so unendlich viel Mühe gegeben, die Steine aus ihren Feldern zu entfernen, die Rillen zu pflügen um schließlich das schwarze Saatgut zu bewässern.
Einige Zeit später ernteten sie dieses schwarze etwas. Nicht dass es ihnen gefallen hätte diese Ernte einzuführen - viel lieber wäre ihnen das