Raban und Röiven Der Feuervogel. Norbert Wibben. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Wibben
Издательство: Bookwire
Серия: Raban und Röiven
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742754868
Скачать книгу
Festung besitzen, die möglicherweise als Bedrohung der Darkwings interpretiert werden konnte. Sie wandern seit der Niederlage durch das Land und versuchen, ihren ehemaligen Anhängern zu helfen. Hin und wieder verdingen sie sich auch den Darkwings, um sie bei der Bewältigung einer als gerecht empfundenen Angelegenheit beizustehen.

      Die aktuelle Mission der Jäger zu unterstützen, in deren Verlauf die Verbrecher gefasst wurden, ist eine derartige Aufgabe. Seit Monaten kam es überall im Land zu Überfällen auf einsam gelegene Anwesen, die ausgeraubt und niedergebrannt wurden. Die Bewohner wurden stets getötet, damit die Übeltäter nicht identifiziert und ergriffen werden konnten. Da unter diesen Ermordeten auch Angehörige der Fairwings waren, hatte Kenneth seine Hilfe angeboten. Die königlichen Jäger und selbst der König hatten ihn jedoch ausgelacht, obwohl die Führer der Fairwings berühmt für ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten sind. Sie vertrauten ihrem eigenen Können und wollten der Öffentlichkeit nicht eingestehen, dass ein Angehöriger der Fairwings geschickter sei als sie.

      Nach weiteren Überfällen begannen die Bewohner der Stadt gegen die Obrigkeit zu murren. Einige hatten Verwandte, die zu den Opfern gehörten und beschimpften die Jäger als unfähig. Als den königlichen Jägern auf Flugblättern sogar unterstellt wurde, mit den Verbrechern im Bunde zu stehen und untätig zu sein, fehlte nicht viel und es hätte einen Aufstand gegeben. In diesem kritischen Moment hatte Kenneth erneut vorgesprochen und den Ort des nächsten Überfalls vorausgesagt. Obwohl er nur Kopfschütteln und spöttische Blicke erntete, erteilte ihm der König den Auftrag, seine Behauptung zu überprüfen. Im Stillen hoffte dieser, den Mythos des erfolgreichen, gütigen Mannes durch dessen Misserfolg zu zerstören. Er befürchtet, genau wie seine Vorfahren, dass die Fairwings eines Tages das Herrscherhaus und das Volk der Darkwings unterwerfen werden, so wie diese es durch Hinterlist und Verrat vor 100 Jahren mit den Fairwings gemacht hatten. Da wird es gut sein, wenn der von seinem Volk geliebte Mann endlich einen Fehlschlag landet.

      Kenneth wurden aus diesen Überlegungen heraus auch nur sechs Jäger zur Seite gestellt. Obwohl in derartigen Fällen sonst dreimal so viel ausgesandt werden, war der Sucher über die geringe Anzahl froh. Sie konnten dadurch eine größere Schnelligkeit entwickeln und sich notfalls auch besser verbergen. Bei einer Auseinandersetzung mit den Verbrechern wären zwar mehr Kämpfer immer besser, zumal deren Anzahl unbekannt war, aber Kenneth vertraute wie stets auf seine magischen Kräfte, die den anderen jedoch nicht bekannt sind. Deshalb reagierte Kendra auch so erstaunt, als es vor drei Tagen zu der Auseinandersetzung mit den Verbrechern kam und sie diese Fähigkeit bemerkte.

      Aber nicht nur das Geschick seines Volkes und die damit verbundenen Nachteile in der Gegenwart bilden den Grund, warum Kenneth seine unbewegte Miene beibehält. Er sucht immerfort nach einer Möglichkeit, wie er diesen entkommenen Verbrecher, der ebenfalls magische Fähigkeiten besitzt, doch noch fangen kann. Nicht, weil er um sein Ansehen fürchtet, sondern weil der Geflohene ein sehr gefährlicher Mensch ist, der sicher weiter rauben und morden wird.

      Während sie durch das Stadttor reiten, werden sie von erstaunten Wachen und aufgeregten Städtern begrüßt.

      »Habt ihr die gemeinen Schufte endlich zur Strecke gebracht?«

      »Die müssen hängen, diese Verbrecher!«

      »Das sind ja hochgestellte Personen. Wieso machen die so etwas? Denen fehlt es doch an nichts.«

      »Sind das Verwalter der königlichen Güter? Ihre Kleidung deutet daraufhin.«

      »Sie müssen für ihre Taten büßen!«

      »Hurra auf die Jäger des Königs!« Hin und wieder ertönt auch:

      »Gut gemacht, Kenneth!«

      Diese und ähnliche Rufe begleiten die Gruppe auf dem Weg zur königlichen Residenz. Das Volk ist aufgebracht und verlangt schon bald nach Rache. Die Wächter vor der Burg, die innerhalb der Stadt eine Festung mit eigenen Schutzmauern hinter einem tiefen Wassergraben ist, lassen nur die Reiter mit den Gefangenen über die Zugbrücke und durch das starke Tor. Um dem Druck der Menge standzuhalten, bekommen die Wachen schnell weitere Unterstützung und können dadurch die nachdrängende Menschenmenge stoppen.

      »Wir wollen dabei sein, wenn die Verbrecher verurteilt werden!«

      »Lasst uns hinein. Sie haben unsere Verwandten getötet. Sie müssen sterben.«

      »Sie sollen hängen!«

      »Wehe euch, wenn sie davonkommen. Wir haben bemerkt, dass sie höhergestellt sind, trotzdem müssen sie bestraft werden.«

      »Vor dem Gesetz müssen alle gleich behandelt werd…«

      Als in diesem Moment das wuchtige Tor der Anlage geschlossen wird, sperrt es nicht nur das aufgeregte Volk, sondern auch deren Stimmen aus, die nun nur noch leise, ähnlich dem Gesumme von Bienen, zu hören sind. Die Reiter sitzen ab und übergeben ihre Tiere einigen Stallburschen, danach führen sie die Gefangenen in den Kerkerbereich. Sie werden dort von Wachen empfangen, die ein erstes, schweres Gittertor öffnen. Gemeinsam durchschreiten sie muffige Gewölbe und gelangen durch ein zweites, starkes Eisengitter in einen Seitengang, in dem mehrere Eichentüren zu erkennen sind. Dort wird eine dieser Türen geöffnet und die Gefesselten betreten zögernd den von mitgeführten Lichtern nur spärlich erleuchteten Raum. Die Wächter knurren und stoßen sie unsanft vorwärts, um sie dann von den Fesseln zu befreien. In einer Ecke liegt etwas Stroh auf dem Steinfußboden, das als Lager dienen soll. Die dicke Eichentür mit dem kleinen Gitterfenster knallt zu. Ein dumpfes Echo rollt schaurig durch die Gewölbe, bis es verstummt. Die Gefangenen werden noch trockenes Brot und etwas Wasser bekommen und am nächsten Tag zu einem Verhör geführt werden. Da kein Licht zurückgelassen wurde, tasten sie sich im Dunkeln verängstigt dorthin, wo das dünne Stroh zu erkennen war. Hier lassen sie sich zu Boden sinken.

      Sie kennen die königliche Residenz von früheren Besuchen, als sie zur monatlichen Berichterstattung von den Gütern, die sie im Auftrag der Krone verwalten, hier waren. Sie hatten sich damals auch die Prunksäle des Königs angesehen und wurden letztlich durch deren Glanz verführt, ihre Verwalterhäuser ebenfalls derart extravagant auszustatten. Das benötigte Geld beschafften sie sich durch Überfälle. Bei einem ihrer Besuche hatten sie auch die Kerker gesehen und wissen daher, dass sie hier nicht entkommen können. Entmutigt und niedergeschlagen lassen sie ihre Köpfe hängen.

      Die Jäger und der Sucher verlassen den Kerker und klopfen sich draußen im letzten Abendlicht den Staub von ihrer Kleidung. Sie verabschieden sich voneinander, da sie in unterschiedlichen Quartieren übernachten werden. Die Jäger unter ihresgleichen, in einem abgesperrten Bereich der Anlage und der Sucher bei seinem Pferd im Stall. Da Kenneth zwar eine Unterkunft in dem Bezirk der Fairwings bekommen hätte, aber nicht die Absicht hat, sich durch die Menschenmenge vor dem Tor zu drängen und dabei einige blaue Flecken abzubekommen, liegt er jetzt mit geschlossenen Augen in duftigem Heu. Das gelegentliche Schnauben eines der Tiere stört ihn nicht. Er ist voll konzentriert und versucht, ein Traumbild heraufzubeschwören, um den Aufenthaltsort des anderen Magiers zu ermitteln.

      Kendra blickt dem Sucher hinterher, der ohne Murren im Unterstand der Tiere verschwindet. Sie bewundert die Selbstbeherrschung des Mannes, an dessen Stelle sie auf eine Unterkunft bei den Jägern bestanden hätte. Kendra zuckt nach kurzer Zeit mit den Schultern. Sie muss noch den königlichen Ankläger von der Ergreifung der Verbrecher informieren, bevor sie sich ebenfalls zur Ruhe begeben kann. Aber auf dem Weg dorthin kehren ihre Gedanken immer wieder zu Kenneth zurück.

      Am nächsten Morgen ist Finnegan genauso aufgeregt wie im Sommer, als sie zu dem Besuch im Museum der Hauptstadt aufgebrochen sind. Er wuselt in der Küche herum, in der er schon früh den Tisch gedeckt hat. Er vergleicht die Zeitanzeige der Küchenuhr mit der seiner Armbanduhr, während er ärgerlich brummelt, weil die Zeit so langsam vorangeht. Raban ist froh, dass Röiven gestern Abend in den geheimen Wald gewechselt ist, da er sie nicht ins Museum begleiten kann. Zwar protestierte