James Boyles war nun über Tag größten Theils mit seinem Factotum, dem buckligen Vetter, im Laden, kam aber irgend Jemand, der seine richterlichen Dienste in Anspruch nehmen wollte, sei das nun für eine Trauung oder in einer Streitigkeit, so schloß er den Laden so lange zu - wer etwas kaufen wollte, mußte warten, bis er wieder kam, - lud die Parteien in das dicht dahinter liegende kleine Haus, erledigte dort seine Geschäfte und führte sie dann wieder durch den Laden zurück, wo er schon dafür sorgte, daß sie nicht fortgingen, ohne Wenigstens einen Trunk Whisky zu nehmen, wenn sie nicht noch außerdem einige Dollars für Waaren sitzen ließen.
Auf dem breiten Weg hin nach Karthago rasselte das kleine leichte Fuhrwerk der Wittwe Roßberg, und die „Stadt" war schon in Sicht, als sie hinter sich, auf dem trockenen Wege, die Hufschläge eines Pferdes hörte. Sie drehte den Kopf zur Seite und erkannte im Nu den Wirth vom „goldenen Affen", der ganz keck und zuversichtlich herantrabte. Ja, als er vielleicht zehn Minuten später den Wagen passirte, um der „Erste" auf dem Platze zu sein, hatte er sogar die Frechheit, die Damen achtungsvoll zu grüßen.
Frau Roßberg konnte es nicht gut vermeiden, ihm zu danken, es wäre zu unhöflich gewesen, aber sie that das mit einer außerordentlichen und ihr sonst ungewohnt vornehmen Neigung des Kopfes, was die Kathrine täuschend ähnlich nach-/49/ahmte. Pechtels nahm aber nur wenig Notiz davon, gab seinem wackern Thier die Sporen und sprengte so stolz an ihnen vorüber, als ob er der König von Karthago gewesen und nur eben einmal umhergeritten wäre, um seine Maisfelder zu besichtigen. Er ließ den Wagen der Wirthin auch bald zurück, hing, in Karthago angekommen, sein Pferd an und ging ohne Weiteres in den Laden, wo er sich - für sich und den Händler-Friedensrichter - wie das dort überall Sitte ist - ein Glas Whisky geben ließ. Boyles trank mit, und Pechtels bezahlte, eine Sache, die ganz in der Ordnung war, und daß er indessen mit dem Friedensrichter über das, was ihn hierher geführt, kein Wort sprach, dafür hatte er zwei Gründe: erstlich wollte er die eigentliche Klage vollkommen der Wirthin vom „goldenen Löwen" überlassen, und dann - verstand er wohl eben Englisch genug, um einem Gaste daheim einen „Schluck" oder etwas zu essen zu verabreichen, aber auch nicht die Spur mehr - die Verhandlung später mußten sie ja denn doch, wenn der Friedensrichter nicht etwa Deutsch verstand, durch einen Dolmetscher führen.
Der kleine Wagen war übrigens viel rascher hinter ihm drein gekommen, als er anfangs erwartet haben mochte, denn nur erst wenige Minuten stand er mit dem Richter am Ladentisch, als das Fuhrwerk schon vor die Thür rasselte, und gleich darauf die Wittwe, fest entschlossen dem Gegner keinen Vorsprung und nicht das erste Wort zu lassen, mit der Base den Raum betrat.
So rasch trafen auch Beide hinter einander ein, daß Boyles wohl merkte, sie gehörten zusammen, und es führe sie eine gemeinschaftliche Sache hierher. Die Dame ließ ihn außerdem nicht lange im Zweifel, denn auf Pechtels zeigend, der wiederum seinen Hut lüftete, begann sie dem Yankee - natürlich in deutscher Sprache - zu erzählen, was sie hierher geführt, und Boyles horchte auf das Erstaunteste ihren Worten, von denen er aber keine Sterbenssilbe verstand.
Pechtels selber, obgleich schon seit acht Monaten im Lande, wie wir vorher erwähnt, war der englischen Sprache fast gar nicht mächtig. Er verstand einzelne Worte, die zu seinem Geschäft gehörten, weiter nichts, und als sich Boyles jetzt an /50/ ihn wandte und ihn frug, was die „Lady" von ihm wollte, nickte er nur mit dem Kopfe und sprach:
All right - lady and me - all right," wodurch er andeuten wollte, daß sie Beide eine Klagesache vorzubringen hätten.
Der kleine bucklige Schreiber befand sich natürlich mit in dem Laden, und an diesen wandte sich jetzt Boyles.
„Tom, verstehst Du, was die Beiden von mir wollen? Hol' der Teufel das Kauderwelsch! Wenn man's sprechen soll, bricht's Einem die Zunge entzwei, und wenn man's hört, klingt's gerade, als wenn ein alter Fensterladen im Winde knarrt, oder eine toll gewordene Mühle klappert."
„Na, das ist doch klar," sagte Tom, der gerade beschäftigt war, einem kleinen, eben eingetretenen Jungen einen Topf mit Syrup zu füllen, „Ihr sollt sie zusammenspließen - sie wollen sich heirathen - weiter nichts."
„Na ja, das dachte ich auch," sagte der Friedensrichter, „dann schafft mir nur den Jungen fort und schließt die Thür zu, damit wir in die Office gehen können; hier im Laden läßt sich's doch nicht machen," und der Frau zunickend, daß sie steh einen Augenblick gedulden und ihm folgen solle, sagte er zu Pechtels: „Kommt nur mit, das wollen wir Euch gleich besorgen," und schritt ihm dann, wobei er ihm noch einen Wink gab, voran.
Die beiden streitenden Parteien fanden es selbstverständlich, daß ihre Sache nicht im Laden ausgeglichen werden konnte, und während Pechtels den Damen den Vortritt ließ, folgten sie alle Drei dem Richter in das kleine Seitengebäude, das Boyles allein zu diesem Zweck aufgerichtet hatte und auch seine office nannte. Ein Zettel draußen an der Thür bezeichnete es sogar als solche.
In der Mitte des aus rohen Balken hergestellten Raumes, mit einem einzigen schmalen Fenstereinschnitt, stand ein viereckiger Tisch, mit vier oder fünf Holzstühlen darum her. Auf dem Tische befand sich ein Dintenfaß mit einigen Federn und ein kleiner Stoß Papier, was dem Ganzen etwas Feierliches gab. Ueber dem Fenster standen sogar, etwas sehr Ungewöhnliches in diesem Theil der Welt, auf einem aus zwei /51/ derben Pflöcken ruhenden Brett ein halb Dutzend in gelbes Leder eingebundener Bücher, angeblich juristische Werke, die aber wohl selten genug herunter genommen und noch seltener gebraucht wurden.
Tom hatte indessen den Jungen mit seiner Syrupskanne expedirt und den Laden nach dem üblichen Gebrauch geschlossen. Jetzt, während Boyles noch, ein wenig verlegen, wie er ein Gespräch anknüpfen könne, vor den Fremden stand, betrat er ebenfalls die Office und besorgte das „Geschäftliche".
Vor allen Dingen nahm er von dem Bücherbrett eine auf der äußersten Kante liegende und wahrscheinlich oft gebrauchte, wenn auch wohl festen geöffnete Bibel, denn sie diente nur dazu, um den üblichen Eingangsschwur abzulegen. Diese deponirte er auf dem Tisch, schob sich dann einen Bogen Papier zurecht, tunkte eine Feder ein und sah Boyles an, als ob er sagen wollte: „Nun kann's losgehen." Boyles mochte denn auch wohl einsehen, daß längeres Zögern nichts half, und als üblichen Eingang zu jeder Feierlichkeit mußte er vor allen Dingen die Namen der Betreffenden erfahren. Die Frage your name? verstand aber Pechtels und gab den seinigen, freilich sehr zur Bestürzung Tom's, der wohl über das erste Frederic sehr leicht wegkam, an dem spätern ch in Pechtels aber vollkommen hängen blieb.
„How do you spell that?" (Wie buchstabirt Ihr das?) frug er, allerdings wohl dreimal. Pechtels verstand aber gar nicht, was er mit dem Worte spell meinte, und da er wohl sah, daß der kleine Mann nicht wußte, wie er seinen Namen schreiben sollte, ging er zum Tisch, nahm ihm die Feder aus der Hand und that es selber. Mit dem Namen Mary Roßberg ging es besser.
Pechtels frug jetzt, ob Niemand im Orte sei, der Deutsch verstünde, und Tom begriff, was er meinte, schüttelte aber auf das Entschiedenste mit dem Kopfe, und Boyles, der nicht gern zu viel Zeit mit dem geschlossenen Laden versäumen mochte (draußen hatte er schon wieder einen Karren rasseln hören, und das konnten Fremde sein), sagte einfach zu seinem Secretär: