Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089936
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jedes Straßenschild eine Volksbefragung zu organisieren versuchen. Und manchmal prozessieren sie auch gegen Kindergeschrei oder Jugendliche auf Bolzplätzen. Und die ganz üble Sorte vergiftet Hunde und Katzen, die überall herumkacken. Ehrlich gesagt, für letztere habe ich sogar Verständnis. Aber sollte man besser nicht sagen. Jedenfalls nicht als Polizist.

      „Ja, ich sag ja nur“, sagte der Rentner nochmal und diesmal lauter, sodass ich es auf den zwanzig Metern, die ich inzwischen schon zurückgelegt habe, auch auf jeden Fall mitbekommen muss. „Wenn man schon bei der Polizei ist, sollte man sich wenigstens selbst an die Gesetze halten, finde ich! Ich habe schließlich mein Leben lang Steuern gezahlt!“

      Ich konnte es mir nicht verkneifen.

      Ich drehte mich um und rief: „Dummes Gequatsche ist seit dem Ersten strafbar! Haben Sie das noch nicht gewusst? Da steht lebenslänglich drauf!“

      *

      Also, vielleicht sollte ich an dieser Stelle ein paar Dinge richtig stellen, sonst bekommen Sie einen falschen Eindruck von mir.

      Vielleicht denken Sie: 'Typisch Beamter, will nur seine Ruhe.'

      Oder Sie denken: 'Und so eine Schnarchnase soll das Gesetz gegen Kriminelle verteidigen? Na, dann gute Nacht, Hamburg!'

      Ich bin in Wahrheit nicht so schnarchnasig, wie Sie jetzt vielleicht denken.

      In Wahrheit bin ich ein dynamischer Vulkan.

      Naja, so dynamisch und explosiv, wie Menschen aus dem Norden, die sprachlich über den spitzen Stein stolpern eben sein können. Alles ist ja relativ, wie Einstein schon herausgefunden hat. Ein temperamentvoller Italiener werde ich in diesem Leben nicht mehr. Noch nichtmal ein quasseliger Rheinländer. Aber ich brenne 24 Stunden am Tag für meinen Job, den Schwachen zu helfen, den Opfern von Gewalttaten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dafür zu sorgen, dass das organisierte Verbrechen nicht Überhand nimmt. Manchmal schlafe ich nur vier Stunden. Gangster haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, sich nicht an die Dienstpläne unserer Abteilung zu halten. Wir müssen aktiv sein, wenn die Halunken es auch sind. Das ist nunmal so. Ich ernähre mich von ungesunden Hot Dogs, weil ich oft keine Zeit für anderes habe. Und wenn ich deswegen eine Plautze kriege, sollte man das wie eine Kriegsverletzung ansehen, die ich man sich eben im Kampf gegen das Verbrechen holen kann.

      Aber wenn ich dann mal einen Tag frei habe, dann will ich nur Ruhe.

      Dann sitze ich zum Beispiel am Wasser und halte die Angel hinaus.

      Wo wir schon bei der Wahrheit sind: Ich mag gar keinen Fisch. Ich habe auch nicht den Verdacht, dass da, wo ich sitze sonderlich viele davon herumschwimmen. Ich persönlich als Fisch würde mir jedenfalls ein anderes Gewässer suchen.

      Aber kann man in unserer Leistungsgesellschaft einfach nur rumsitzen? Man ist sofort verdächtig. Wieso sitzt der da so? Was glotzt der? Oder wenn man die Augen geschlossen hat, um sich wie Buddha ganz in sich selbst zu versenken, dann denkt jeder: Ist der besoffen?

      Dem Rentner, der mich so doof angemacht hatte, hätte ich auch sagen können: „Ich angle gar nicht. Ich bade nur einen Wurm.“ Ist mir aber zu spät eingefallen. Das ist manchmal so. Die besten Sachen fallen einem zu spät ein. Und davon abgesehen, weiß man ja nie, an wen man so gerät. Aktivisten für das Menschenrecht von Würmern, dreckig zu bleiben, soll es ja auch geben...

      Mein freier Tag war mir heilig.

      Die wenigen Augenblicke inneren Friedens wollte ich genießen.

      Leider kannten die dunklen Elemente der Stadt keinen Respekt vor heiligen Dingen.

      Also musste ich los.

      Ermitteln.

      „Mein Gott, Roy, das nächste Mal suche ich mir einen Angelplatz im Funkloch“, murmelte ich vor mich hin, während ich schon im Wagen saß und mich durch den Verkehr quälte.

      Aber sowas finde mal in einer Großstadt wie Hamburg!

      Ein Funkloch meine ich.

      1

      An einer anderen Stelle in der Stadt, zu einer anderen Zeit...

      Immer schon hatte es geheißen, das Haus sei böse.

      Übel.

      Unheimlich. Ein Ort, den man besser mied.

      Ein Geisterhaus.

      Aber genau das zog manche aus bestimmten Gründen hier her.

      Kinder zum Beispiel.

      Oder Penner.

      Und Ratten.

      *

      „Los, kommt schon! Oder traut ihr euch nicht?“

      Marvin-Julian Pellemeier hatte ein Brett aus dem vernagelten Fenster des heruntergekommenen Hauses heraus gebrochen. Der neunjährige Junge mit den rotblonden, etwas wirren Haaren, stand auf der Fensterbank und blickte sich zu den anderen um. Insgesamt sechs Jungen zwischen zehn und zwölf Jahren bildeten dort mit verschränkten Armen und skeptischen Blicken einen Halbkreis. Marvin-Julian war der Jüngste in ihrer Bande, die sich einfach ‚Die Gang’ nannte. Oft genug hatten sie sich über ihn lustig gemacht. Aber heute konnte er auftrumpfen.

      „Hey, was ist? Seid ihr feige oder traut ihr euch was?“

      Das Geisterhaus – so hieß das seit einem Jahr leer stehende Gebäude bei den Kids in der Umgebung. Es war einfach unheimlich – schon deswegen, weil um das Gebäude herum immer wieder tote Ratten zu finden waren. Marvin-Julian gelang es, noch ein weiteres Brett zu lösen. Die entstandene Öffnung war jetzt groß genug, um ins Innere gelangen zu können. Dunkel war es dort. Schatten tanzten.

      Und der Geruch hätte Marvin-Julian eigentlich warnen müssen...

      Eigentlich...

      Aber da war es wohl schon zu spät.

      2

      Brasewinkel Straße 345...

      Der Geruch, der aus dem Inneren des Gebäudes drang, war so stechend, dass Marvin-Julian innerhalb von Augenblicken Nase und Augen schmerzten. Ihm verschlug es den Atem. Aber nun konnte er nicht mehr zurück. Dazu hatte er sich zu weit vorgewagt. Jetzt einen Rückzieher zu machen, hätte bedeutet, sich vor den anderen bis auf die Knochen zu blamieren. Genau das erwarteten sie ja von ihm.

      Nein, dachte er, ich werde es ihnen zeigen! Sie werden nicht sehen, dass ich Angst habe!

      Marvin-Julian sah in die Gesichter der Gangmitglieder.

      Einige grinsten. Andere sahen einfach nur interessiert zu und warteten ab.

      „Wetten, dass du dich doch nicht traust!“, meinte Paul, der Älteste in der Gruppe. Er war der Anführer. Geräuschvoll räusperte er sich und spuckte aus. „Ist doch immer dasselbe mit dem Kerl! Erst gibt er groß an, nachher ist nichts dahinter.“

      „Ich sag euch Feiglingen nachher, was innen zu sehen war!“, rief Marvin-Julian.

      „Ha, ha!“, machte Paul und verzog das Gesicht dabei zu einer Grimasse. „Mach nur! Wir warten gespannt ab.“

      „Besser nicht!“, äußerte sich Burat.

      Burat war zehn, hatte eine Brille mit ziemlich dicken Gläsern und galt bei den anderen als der Vorsichtige in der Gruppe.

      Er traute sich am wenigsten und verletzte sich trotzdem am Häufigsten von allen, was vor allem damit zusammenhing, dass er ziemlich ungeschickt war. „Lass es besser bleiben, Marvin-Julian“, meinte er. „Wer weiß, vielleicht ist sogar noch der Penner da drin...“

      Burat spielte darauf an, dass sie vor einiger Zeit einen Obdachlosen auf dem Gelände beobachtet hatten. Es hatte wie aus Eimern geschüttet und die Jungen waren gerade von der Schule gekommen, als sie die abgerissene Gestalt in dem fleckigen, völlig durchnässten Regenmantel auf das Geisterhaus hatten zugehen