Schattenreich. Azura Schattensang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Azura Schattensang
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken von Canthan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752907056
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gab dem Stab Schwung und ließ ihn wie eine Verlängerung ihres Armes nach vorne schnellen. Mit einem hellen Klingeln traf er sein Ziel. Constantin!

      Gerade noch rechtzeitig hatte er den vorschießenden Stab mit einem der Übungsschwerter geblockt. Ein entschuldigendes Lächeln huschte über sein Gesicht.

      „So früh schon fleißig?“ Sein Grinsen wurde breiter und seine braunen Augen funkelten.

      „Nicht jeder kann sich den Luxus leisten und den halben Tag verschlafen.“ Aurelia musste ebenfalls grinsen.

      Constantin, groß, gut gebaut und mit seinen kurzen, blonden Haaren ein absoluter Frauenschwarm, war im selben Alter wie sie und hatte ein Jahr später als sie seinen Weg in den Orden gefunden.

      Spielerisch tippte er mit der Spitze seines Schwertes gegen ihren Stab. „Lust auf eine kleine Trainingseinheit?“

      Aurelia nickte als Zeichen ihres Einverständnisses und ging in Position.

      Constantin ließ sein Schwert einige Male surrend um sich kreisen. Dann ging er zum Angriff über.

      Metall prallte auf Holz, glitt ab und suchte erneut den Kontakt. Die beiden schenkten sich nichts, während sie umeinander kreisten und mit Finten und Ausfällen die Verteidigung des jeweils anderen zu durchdringen versuchten. Schließlich gelang es Aurelia mit dem Stab Constantin das Standbein wegzuziehen, sodass er das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Hinterteil landete. Lachend deutete sie mit einem Ende des Stabes auf seine Kehle.

      „Gewonnen!“ Sie zwinkerte ihm zu.

      „Umwerfend wie immer“, lachte er und streckte ihr seine Hand entgegen.

      Aurelia griff danach um ihm aufzuhelfen, doch er zog mit seinem vollem Gewicht dagegen und sie landete mit einem überraschten Aufschrei auf ihm. Fest umarmten er ihren schlanken Körper und flüsterte: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

      Mühsam löste sie sich aus seiner Umarmung und lächelte scheu. „Danke sehr.“

      Er musterte sie von unten herauf. „Ich weiß, dass du diesen Tag im Jahr lieber übergehen würdest... trotzdem würde ich dich heute Abend sehr gerne entführen.“ Er grinste neckisch. „Constantin...“, versuchte sie seine Bemühungen schon im Keim zu ersticken.

      „Aurelia, komm schon. Nur dieses eine Mal. Es ist auch nichts spektakuläres. Ich verspreche es.“

      Sie sah in seine braunen Augen mit dem flehenden Blick darin. „Na schön“, willigte sie seufzend ein. „Wann und wo?“

      „Heute Abend. Um sieben unten an der Haustür. Ich warte dort auf dich.“ Sein Gesicht strahlte förmlich.

      Aus der Ferne erklang das Leuten von Glocken. Ein Lächeln legte sich auf Aurelias Lippen, als sie aufstand und Constantin ihre Hand reichte. „Komm, das Frühstück wartet.“ Er erwiderte ihr Lächeln und ließ sich von ihr aufhelfen. Bester Stimmung ergriff er ihren Arm und zog sie beschwingten Schrittes mit sich.

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      „Du bist nicht konzentriert!“

      Ein schmerzhafter Druck bohrte sich zwischen ihre Rippen.

      Meister Albion stand hinter ihr und stach mit dem Ende seines Gehstockes in ihren Rücken. Aurelia blickte ihn entschuldigend an und mit einem lauten Knall fiel die Kugel, die sie unter der Decke hatte schweben lassen, zu Boden.

      Sie stand in der Mitte des Übungsraumes. Ihre Aufgabe bestand darin, verschiedene Zauber zu wirken, während sie eine Holzkugel schweben ließ. Dies sollte ihre Konzentrationsfähigkeit steigern, doch heute wollte ihr einfach nichts so recht gelingen.

      Nachdenklich strich sich Meister Albion durch seinen weißen Bart, welcher ihm bis auf die Brust reichte. Seine ebenso weißen Haare standen wirr von seinem Kopf. Mit seinem Gehstock wirkte er wie ein gebrechlicher, alter Mann, doch Aurelia wusste nur zu gut, dass dieser Eindruck mehr als täuschte. Der Meister war zwar alt, aber in keinster Weise gebrechlich. Den Stock schien er nur mit sich herum zu tragen, weil es ihm gefiel und er sich hervorragend dazu eignete, seine Schüler zu piesacken. Er musterte sie streng aus seinen grauen Augen.

      „Du vergisst das Atmen. Versuche es noch einmal,“ sagte er und stach ihr abermals mit dem Stock in den Rücken.

      Seufzend schloss Aurelia die Augen und atmete tief durch. Sie lockerte ihre verspannten Muskeln, ließ die Kugel erneut empor steigen und versuchte sich auf ihre Atmung zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken begannen bereits wieder abzuschweifen. Dies war der eine Tag im Jahr, an dem es ihr immer schwer fiel, sich auf ihre Aufgaben zu fokussieren. Es war der Tag, an dem damals ihre Welt in einem flammenden Inferno zu Asche verbrannte.

      So sehr sie sich auch bemühte, die Bilder wollten nicht verschwinden. Die Erinnerung daran, wie Meister Albion sie knapp eine Woche später mehr tot als lebendig auf der Straße gefunden hatte, flammten auf.

      Vor ihrem geistigen Auge sah sie sein Gesicht, als er sie auf sein Pferd hievte, um sie mit zum Orden der weißen Zauberer zu nehmen. Sie hörte ihre eigenen Schreie, als er ihr erklärte, dass sie im Orden nicht bleiben könne und versuchte eine neue Familie für sie zu finden. Sie hatte sich gewehrt, getobt und gebrüllt. Sie wolle keine neue Familie - lieber würde sie sterben.

      Letzten Endes hatte der Meister resigniert und sie im Orden aufgenommen. Mittlerweile waren zehn Jahre vergangen. Heute war ihr zwanzigster Geburtstag und sie lebte noch immer als Schülerin im Orden. Täglich übten sie und Constantin sich in der klassischen Kampfkunst oder lauschten Meister Albions endlosen Monologen über die Geschichte Canthans. Wenn sie nicht gerade die dicken, staubigen Wälzer in der Bibliothek studierten, war die Verfeinerung der Anwendung von Magie ein weiterer Schwerpunkt. Ein Kampfzauberer formte sich schließlich nicht von allein.

      Einst hatte der Orden zur Eliteeinheit der königlichen Armee gehört, doch nach dem Anschlag auf das Königshaus und der Ermordung der königlichen Familie vor gut zwanzig Jahren, geriet der Orden zusehends in Vergessenheit.

      Heute war von der ehemaligen Bedeutung fast nichts mehr zu spüren. Es gab nur noch ein Dutzend Kampfzauberer und Constantin und sie waren die einzigen Schüler.

      Canthan hatte nach dem Verlust des Königs dunkle Zeiten durchlebt. Zwar war Roderich, der Bruder König Heinrichs, dem Attentat entkommen und hatte den hölzernen Thron bestiegen, jedoch regierte er mit eiserner Hand.

      Das Volk litt Hunger und jegliches Aufbegehren wurde brutal niedergeschlagen. Räuberische Banden zogen durch das Land und nahmen den Menschen ihr letztes Hab und Gut. Aber am Meisten fürchteten sich die Leute vor den königlichen Inquestoren. Es waren kleine Gruppen von Soldaten, immer in Begleitung von mindestens einem Zauberer, welche das Land nach jungen, magisch begabten Frauen durchkämmten. Auf Geheiß des Königs nahmen sie sie mit sich und brachten sie nach Syndia, hinauf ins Schloss Ehrenthal. Danach wurden sie nie wieder gesehen.

      Man munkelte, dass König Roderich dunkle Magie betrieb und die Frauen geopfert wurden, doch niemand konnte es beweisen und es schien auch niemand erpicht darauf, die Wahrheit herauszufinden. Alles was den Menschen blieb, war, ihre Frauen und Töchter zu gegebener Zeit zu verstecken.

      Ein lauter Knall riss Aurelia aus ihren Gedanken. Blaue Blitze zuckten zwischen ihren Händen, aber die Kugel war ein weiteres Mal zu Boden gestürzt. Meister Albion musterte sie schweigend.

      Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln und hob die Kugel auf. Seufzend reichte sie sie dem Meister.

      „Verzeiht, Meister. Ich fürchte, heute kann ich meine Gedanken nicht sammeln. Vielleicht finde ich etwas Ruhe beim Zeichnen von Runen?“ Sie sah ihn hoffnungsvoll an.

      Meister Albion brummte nur, nickte und winkte sie hinaus. Erleichtert dankte sie ihm und verschwand aus dem Raum.

      Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, lehnte sie sich einen kurzen Augenblick dagegen und holte tief Luft.

      Dann stieg sie die schmalen Stufen hinauf ins Erdgeschoss. Der Übungsraum lag im Keller und hatte keine