Der Stempelschneider. Jürg und Susanne Seiler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürg und Susanne Seiler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742730275
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sind die Familie, die sie suchen,“ versichere ich ihm nun, „die andern sind auf dem Markt, damit wir nicht zu sehr auffallen.“

      „Das ist sehr gut, aber wie bringen wir euch jetzt von hier weg?“

      Er überlegt eine Weile. Dann erklärt er:

      „Wir fahren oft am Abend nochmals auf das Meer hinaus, besonders, wenn wir nur einen kleinen Fang gemacht haben. Ich nehme euch mit, bringe euch auf die andere Seite der Bucht und falls das Wetter erlaubt, um den Vorsprung dort drüben herum auf die andere Seite zur grossen Bucht, an der Korinth liegt. Das ist das Herrschaftsgebiet der Korinther, die Athener haben dort nichts mehr zu sagen. Natürlich könnte ein Meuchelmörder auch dort noch sein Unwesen treiben, aber ihr seid schon wesentlich sicherer als hier. Bis am Abend müsst ihr aber irgendwo bleiben, ihr könnt nicht so lange auf dem Markt herumstehen, das würde auffallen.“

      Wieder überlegt er, dann hat er eine Idee:

      „Mein Sohn bringt euch in ein Versteck und holt euch wieder ab, wenn es Abend wird.“

      Wir bedanken uns bei dem hilfsbereiten Fischer, der seinen Sohn herbei ruft. Die zwei unterhalten sich eine Weile, dann nickt der Sohn.

      „Wo sind eure Frauen?“ will Theophanos nun wissen.

      „Dort drüben, sie bewundern die bunten Stoffe bei dem grossen Stand dort an der Ecke.“

      „Gut,“ meint der Fischer, „mein Sohn geht nun mit euch voran an den Frauen vorbei. Sagt ihnen, sie sollen mit Abstand folgen. Teilt euch etwas auf, damit ihr nicht zu sehr auffällt. “

      Theophanos der Jüngere zieht nun mit uns los. Zuerst wollen wir schon in einen zackigen Schritt verfallen, Theophanos flüstert aber:

      „Langsam, gemütlich, wie ein gewöhnlicher Marktbesucher!“

      So schlendern wir am Stand mit den bunten Stoffen vorbei, und Ariston flüstert Ismene zu:

      „Folgt uns, aber nicht zu nahe!“

      Sie hat verstanden, bewundert noch ein Stück Stoff, und spaziert dann mit Anisa hinter ihm und Phoebe her. Niko und ich folgen den Frauen. Zuerst führt uns Theophanos zurück zur Stadtmauer, biegt vorher aber in einen schmalen, überwucherten Weg ein, der sich zwischen ärmlichen Hütten hindurch windet, ab und zu über eine kleine Weide führt und sich dann wieder zwischen eng nebeneinander stehenden Hütten durchschlängelt. Wir sind offenbar in dem ärmsten Teil der Stadt Pagai, noch ausserhalb der Stadtmauern. Eine alte Frau trägt Wasser in eine Hütte, sie beäugt uns misstrauisch, ein Junge scheucht ein paar Ziegen vor sich her über den Pfad, ein alter Mann vor einer Hütte grüsst Theophanos freundlich, dieser grüsst zurück, geht aber unbeirrt weiter.

      Weiter vorne ragt ein grösseres Haus über all die kleinen verlotterten Hütten hinaus. Beim mächtigen Tor davor bleibt Theophanos stehen, schiebt seine Hand durch ein kleines Loch am Rande des Tores, zieht an einem Riegel und das Tor schwingt auf. Ariston und Phoebe huschen hinein. Als Ismene und Anisa beim Tor angekommen sind, bleiben sie verwundert stehen. Wo sind die andern? Theophanos stösst das Tor einen Spalt breit auf und zieht die verblüfften Frauen hinein. Niko und ich folgen und so stehen wir alle in einem kleinen Hof. Theophanos aber winkt uns, überquert den Hof, öffnet die Türe zum Haus. Erst jetzt bemerken wir, dass das Gebäude sehr alt und schon fast am Zusammenbrechen ist. Theophanos durchquert die grosse, nach Moder riechende Halle, stösst am andern Ende eine kleine Türe auf, und wir treten auf der anderen Seite in eine verlassene Gasse, die uns zu einem kleinen von einer Mauer umgebenen Garten führt. Der Garten ist ein kleines Paradies, ein grosses Wasserbecken spendet Kühle, Reben und Blumen ranken sich der Mauer entlang und der Feigenbaum lockt mit reifen Früchten.

      „Hier könnt ihr bleiben bis die Sonne die Reise zum Horizont antritt, ich werde euch dann holen!“

      Er klettert auf der anderen Seite über die Mauer und ist verschwunden.

      Das ist nun wahrlich ein wunderbarer Platz zum Warten. Alle suchen sich ein lauschiges Plätzchen unter einem Baum oder setzen sich auf das kleine Mäuerchen beim Brunnen. Nur Phoebe klettert auf den grossen Feigenbaum und setzt sich in eine breite Astgabel.

      „Von hier aus sehe ich das ganze Gässchen, das ist gar nicht schlecht,“ flüstert sie uns zu.

      Bald merken wir, wie müde wir sind, und alle fangen an zu dösen, bis ein lauter Knall uns weckt. Alle springen auf, aber es war nur eine grosse, dicke Feige, die auf einen Pflasterstein gefallen ist. Schon wollen wir uns wieder hinsetzen, da bedeutet Phoebe uns, dass wir still sein sollen. Auf dem Gässchen ist jemand, Schritte sind zu hören und bald auch Stimmen, Männerstimmen. Sie kommen immer näher.

      „Versteckt euch!“ flüstert Phoebe, „da kommen zwei ganz üble Gesellen!“

      Guter Rat, aber wo? Ein Hase, eine Schildkröte fände leicht einen Unterschlupf, aber ein Mensch? Ismene und Anisa stellen sich hinter eine Rebe und ziehen die Ranken so gut es geht vor sich, Niko und ich legen uns flach hinter eine wuchernde Salbei und Ariston rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn verzweifelt durch den Garten. Schliesslich drückt er sich hinter eine Pflanze, die von der Mauer herunterhängt und wird sofort von ihren spitzen Dornen gnadenlos zerkratzt. Aber jetzt ist es schon zu spät, um einen andern Platz zu suchen, direkt vor unserm Garten sind Schritte und Männerstimmen zu hören.

      Vor dem Garten bleiben die Männer stehen.

      „Müssen wir wirklich all diese schäbigen Hütten absuchen, Gässchen für Gässchen, das bringt doch nichts, wenn sie wirklich nach Pagai gekommen sind, versuchen sie mit einem Schiff weiter zu gelangen, also sind sie am Hafen!“

      „Kann sein, aber sie wurden gesehen, und die Schiffe haben wir im Auge, dort sind sie nicht aufgetaucht, also verstecken sie sich irgendwo.“

      „Aber schau mal all die Hütten an, da suchen wir noch wochenlang!“

      „Mag sein, aber der Befehl lautet: Sucht alle Gassen und Hütten ab, also tun wir genau das.“

      Zu meinem Entsetzen klettert Phoebe nun auf die Mauer.

      Sofort ruft einer der Männer:

      „He, du da, was machst du da?“

      „Ich klaue Feigen,“ antwortet Phoebe.

      Mein Inneres erstarrt zu Eis, Ariston taucht aus dem Dornengestrüpp auf mit dem Schwert in der Hand, aber ich bedeute ihm, vorerst zu warten.

      „Wollt ihr auch ein paar?“ fragt jetzt Phoebe und wirft den Männern ein paar Feigen zu.

      „Oh, danke, die sind wunderbar süss! Aber du bist ja ein rechter Schlingel! Wem gehört denn der Feigenbaum?“

      „Der gehört dem reichen Geizhals, dem alten Panos!“

      Das lässt mich aus der Salbei auftauchen. Der alte Panos, also bitte!

      „Der ist stinkreich,“ erzählt jetzt Phoebe „und er hat den besten Feigenbaum. Wenn er nicht da ist, klaue ich jeweils welche.“

      „Und wenn er dich erwischt, versohlt er dir den Hintern, nicht wahr?“ lacht jetzt einer der Männer.

      „Schon,“ meint Phoebe, „aber ich lasse mich nicht erwischen!“

      Jetzt hört man eine andere Stimme:

      „Hör zu, du Bengel, du kennst sicher alle Leute hier.“

      „Natürlich!“ ruft Phoebe.

      „Hast du irgendwelche Fremden gesehen?“

      „Wo denn?“

      „Egal wo, hier in den Gassen oder Fremde, die in eine dieser Hütten gegangen sind.“

      Phoebe überlegt.

      „Am Hafen waren Fremde, sie kauften alles Mögliche auf dem Markt, aber hier in diesem Quartier ist niemand aufgetaucht, das hätte ich bemerkt. Ich passe immer gut auf, sonst werde ich ja irgendwann erwischt!“

      Nun ruft der Anführer:

      „Gut,